Bundesliga

Jura-Professor: "Verträge enden nicht mit dem 30. Juni, wenn..."

Jura-Professor macht Klubs Hoffnung

"Verträge enden nicht mit dem 30. Juni, wenn..."

Steht eigentlich ab 1. Juli beim FC Bayern unter Vertrag: Alexander Nübel.

Steht eigentlich ab 1. Juli beim FC Bayern unter Vertrag: Alexander Nübel. imago images

Der Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Sportrecht an der Uni Mannheim ist davon überzeugt, dass die Verträge über den 30. Juni hinaus gelten können - auch unabhängig von Sondervereinbarungen, denen auch die Spieler zustimmen müssten und die viele der bislang befragten Experten als Voraussetzung hierfür genannt haben. Diese Rechtsauffassung würde von Ligen wie von Klubs massiv den Handlungsdruck nehmen. Als Argumente führt der Jurist einen Passus aus dem DFB-Mustervertrag an und den Grundsatz der gestörten Geschäftsgrundlage, den Fischinger durch die Corona-Krise erfüllt sieht.

Herr Fischinger, der Fußball hofft, die Saison zum 30. Juni irgendwie zu Ende zu bringen, auch weil mit diesem Stichtag viele Profiverträge enden. Viele Experten sagen, es bräuchte Sondervereinbarungen, um Spieler im Notfall darüber hinaus zu halten, arbeitsrechtlich sei jedenfalls ein Halten nicht möglich. Sie argumentieren anders. Wie genau?

Sondervereinbarungen sind empfehlenswert, um Rechtssicherheit zu schaffen. Nach meiner Einschätzung enden die Arbeitsverträge aber unabhängig von ihnen nicht mit dem 30. Juni, wenn die Saison bis circa Ende Juli oder Mitte August fortgesetzt wird und die "Transferfenster" so verschoben werden, dass vor der nächsten Saison Wechsel möglich sind. Stattdessen laufen sie bis zum tatsächlichen Saisonende. Das lässt sich bei Spielern, bei denen der Mustervertrag des DFB angewandt wird, schon mit dem Vertrag selbst begründen. Dort heißt es: "Der Vertrag gilt [...] bis zum 30.6.2020 (Ende des Spieljahres 2019/2020)". Dieser Zusatz zeigt, dass der Wille der Vertragspartner darauf zielt, den Spieler für das gesamte Spieljahr einzustellen. Auch die Interessenlage beider Parteien spricht für diese Vertragsauslegung. Gerade für Vereine wie Fortuna Düsseldorf, wo zig Spielerverträge betroffen sind, ist es essentiell, dass nicht vor Saisonende große Teile des Kaders wegbrechen. Und die Spieler erhalten ja ihr Gehalt über den 30. Juni hinaus.

Es gibt aber doch Verträge, bei denen als Beendigungsdatum nur der 30. Juni 2020 genannt wird...

Das ist richtig. Der Mustervertrag der DFL spricht allein vom 30. Juni. Doch hier helfen die Grundsätze der "Störung der Geschäftsgrundlage". Das ist ein juristisches Instrument zur Korrektur von Verträgen in Situationen, in denen sich die maßgeblichen Umstände stark veränderten. Vorliegend gingen beide Parteien irrig von einem Saisonende zum 30. Juni aus und machten diesen Umstand zur Grundlage für die Befristung.

Das heißt konkret?

Dass es durch die schwerwiegend gestörte Geschäftsgrundlage dem Verein nicht mehr zumutbar ist, an der Ursprungsvereinbarung festzuhalten. Der Vertrag ist deshalb anzupassen. Maßgeblich ist dabei, was die Parteien vereinbart hätten, wenn sie die Störung vorausgesehen hätten, also dass sich die Verträge automatisch bis zum tatsächlichen Ende der Saison 2019/2020 verlängern.

Meine Rechtsauffassung ist, dass sich ihr bisheriger Vertrag über den 30. Juni hinaus automatisch verlängert und erst mit tatsächlichem Saisonende endet.

Wie sieht es für Profis wie Alexander Nübel aus, dessen Vertrag bei Schalke 04 zum 30. Juni endet und der eigentlich ab 1. Juli beim FC Bayern München unter Vertrag steht?

Meine Rechtsauffassung ist, dass sich ihr bisheriger Vertrag über den 30. Juni hinaus automatisch verlängert und erst mit tatsächlichem Saisonende endet, je nach Konstellation per Vertragsauslegung oder Störung der Geschäftsgrundlage. Erst am darauffolgenden Tag beginnt dann der Vertrag mit dem neuen Verein. Natürlich ist trotz dieser Einschätzung zu empfehlen, dass sich die Beteiligten abstimmen und rechtssichere Vereinbarungen treffen.

Könnte die Liga, wie beispielsweise von Experten gefordert, einfach ihr Reglement ändern und Kontrakte einfach um zwei Monate verlängern?

Ja und nein. Es ist zwischen Verbands- und Arbeitsrecht zu trennen. Verbände haben nicht die Möglichkeit, direkt in die Arbeitsverträge zwischen den Vereinen und Spielern "hineinzuregieren" und diese "per Order Mufti" zu verlängern oder auszusetzen. Aber es ist natürlich möglich und auch dringend zu empfehlen, dass die Verbände durch die Verschiebung der Transferfenster eventuelle verbandsrechtliche Hürden für konstruktive Lösungen beseitigen.

Die auslaufenden Verträge der Bundesliga-Spieler

Vielen Klubs drohen Finanzengpässe. Was können Vereine tun, wenn sich Profis unsolidarisch zeigen und nicht auf ihr hohes Grundgehalt verzichten wollen? Gibt es Möglichkeiten, zu kürzen?

Das wird schwierig, selbst bei einem eventuellen Saisonabbruch. Der Jurist spricht hier vom Betriebsrisiko des Arbeitgebers. Grundgehälter müssen uneingeschränkt selbst dann bis zum Vertragsende fortgezahlt werden, wenn der Spielbetrieb ruht. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht die Möglichkeit eines Kürzungsrechts bei echter Existenzgefährdung des Unternehmens mehrfach angedeutet. Eine solche Situation ist angesichts der hohen Fixkosten und der erheblichen Einnahmeausfälle bei Profivereinen vorstellbar. Eine gewisse Chance, unter Verweis auf diese Rechtsprechung eine Kürzung vorzunehmen, sehe ich daher schon. Die Hürden sind aber sehr hoch, eine Garantie gibt es nicht, weil das Bundesarbeitsgericht die Ausnahme bislang noch nie angewandt hat. Immerhin können Vereine die Probleme gegebenenfalls über Kurzarbeitergeld oder über Entschädigungen vom jeweiligen Bundesland nach § 56 IfSG zum Teil abmildern.

Und was ist mit Prämien wie Einsatz- und Torprämien? Haben die Spieler insoweit Ansprüche?

Die Frage ist nicht leicht und eindeutig zu beantworten. Denn einerseits bemisst sich der Lohnanspruch beim Betriebsrisiko nach dem Lohnausfallprinzip. Der Arbeitnehmer erhält also das Entgelt einschließlich leistungsbezogener Vergütungen, das er erhalten hätte, wenn er hätte arbeiten können. Dazu zählen beispielsweise Einsatzprämien. Andererseits ist aber die Einbindung der Vereine in die verbandsrechtlichen Wettkampfstrukturen und die Abhängigkeit von verbandsorganisierten Spielen zu berücksichtigen. Setzt der Verband die Saison aus, erscheint es kaum sachgerecht, dass die Spieler trotzdem die Prämien verlangen können sollen.

Die Kündigung ist oft kontraproduktiv, weil dann keine Ablöse mehr verlangt werden kann.

Könnten die Vereine die Arbeitsverträge zur Not kündigen?

Denkbar erschiene unter Umständen eine Änderungskündigung zur Entgeltsenkung. Bei dieser wird der Arbeitsvertrag zwar gekündigt, dem Spieler aber zugleich eine Fortsetzung zu geringeren Bezügen angeboten. Zulässig ist das jedoch nur, wenn es absolut notwendig ist, um eine Stilllegung des Betriebs wegen Insolvenz oder eine deutliche Reduzierung der Belegschaft zu verhindern und andere kostensparende Maßnahmen nicht möglich sind. Eine Beendigungskündigung aus wirtschaftlichen Gründen dürfte kaum möglich sein, hierfür genügt nicht einmal die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zudem ist die Kündigung oft kontraproduktiv, weil dann keine Ablöse mehr verlangt werden kann.

Wie verhält es sich bei einer verkürzten Saison mit Verlängerungsklauseln, die an eine bestimmte Anzahl von Pflichtspiel-Einsätzen anknüpfen?

Sinn solcher Klauseln ist es, dass sich nur die Verträge solcher Spieler verlängern, die in der laufenden Saison für die Mannschaft wichtig genug sind. Bei einer verkürzten Saison spricht daher viel dafür, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die notwendige Einsatzzahl verhältnismäßig zu kürzen. Verlangt die Klausel zum Beispiel 25 Einsätze in Liga und DFB-Pokal, wo die Mannschaft maximal 40 Partien erreichen kann, beträgt die notwendige Einsatzquote 62,5 Prozent. Überträgt man die Quote auf die aktuell gespielten 29 Partien, müsste der Spieler in abgerundet 18 Spielen zum Einsatz gekommen sein, damit sich sein Vertrag verlängert.

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