2. Bundesliga

Darum ist Hertha BSC kein Top-Team

Der Absteiger steckt im Niemandsland der 2. Liga fest

Darum ist Hertha BSC kein Top-Team

Die Enttäuschung über die Niederlage in Nürnberg ist Hertha-Kapitän Toni Leistner ins Gesicht geschrieben.

Die Enttäuschung über die Niederlage in Nürnberg ist Hertha-Kapitän Toni Leistner ins Gesicht geschrieben. picture alliance/dpa

Die Stimmung? "Betrübt", sagte Tjark Ernst, der noch einer der besseren Berliner war an diesem verkorksten Sonntagnachmittag im Max-Morlock-Stadion zu Nürnberg. "Wir sind alle sauer auf uns selbst", befand Herthas Keeper. "Wir sind selbst verantwortlich für diese Niederlage. Die Fehler und Unkonzentriertheiten haben sich wie ein roter Faden durch das ganze Spiel gezogen, das betrifft uns alle. Das hat uns gekillt."

Der Aufwärtstrend der Vorwochen, in denen Hertha aus sechs Spielen vier Siege eingefahren und den verpatzten Saisonstart korrigiert hatte, ist abrupt gestoppt worden - in einem Spiel, in dem Hertha mit der eigenen frühen Führung alle Trümpfe in der Hand hielt und verspielte. Ein Eigentor von Toni Leistner, eine Rote Karte für Marc Oliver Kempf, den ein viel zu kurz geratener Querpass von Andreas Bouchalakis in die Bredouille brachte, ein über weite Strecken irritierend passiver, blutleerer Auftritt: Hertha schlug sich gegen einen Kontrahenten, der unter der Woche gegen eine Grippewelle angekämpft hatte, selbst. Zur Spitze der Liga, in der aktuell die Nord-Teams aus Hamburg, Kiel und Hannover den Trend setzen, fehlt aktuell viel. Hertha ist in der 2. Liga Mittelmaß - das sind die Gründe:

Kompaktheit

19 Gegentore nach zehn Spielen - nur Schalke und Osnabrück (jeweils 23) sind defensiv verwundbarer. Hertha bietet den Gegnern seit Saisonbeginn zu viele Räume und Möglichkeiten. 64 zugelassene Chancen sind der dritthöchste Wert hinter Osnabrück (71) und Schalke (67). Sowohl im Zentrum als auch auf außen sind die Berliner in vielen Phasen anfällig. Auch das Pressing, bei dem etwa Torschütze Smail Prevljak in Nürnberg zuweilen nur die Beobachter-Rolle einnahm, ist ausbaufähig. Die Innenverteidiger um Kapitän Leistner müssen in der letzten Kette oft ausbaden, was zuvor nicht bereinigt wurde. Nur zwei Zu-Null-Spiele stehen in der Bilanz, obwohl Keeper Ernst und Innenverteidiger Leistner in dieser Saison zwei der stabilsten Hertha-Profis sind und öfter Schlimmeres verhindert haben. Drumherum und davor fehlt es an Konstanz und Konsequenz - und an der Feinabstimmung.

Passivität

In etlichen Spielen büßt das mit viel Erfahrung gespickte Team fast von einem Moment auf den anderen Spielkontrolle und Souveränität ein. Es fehlt an Widerstandskraft, Herthas Spiel wird oft zu reaktiv. Nach dem 0:3 beim HSV gestand Stürmer Haris Tabakovic im kicker-Interview: "Ich habe nicht erwartet, dass wir kollektiv so eingeschüchtert spielen, auch ich, mit 29." Nürnberg war bereits das zweite Spiel in dieser Saison (nach dem 4:6 in Magdeburg, als eine viermalige Führung nicht reichte), das Hertha nach Führung noch verloren hat. Keinem anderen Zweitliga-Team passierte das häufiger. "Nach der 1:0-Führung waren wir wie gelähmt", sagte Trainer Pal Dardai über den Auftritt in Nürnberg. "Wir haben mit dem Ball nichts investiert und gegen den Ball auch nicht." Leistner bescheinigte der Mannschaft "totale Lethargie" und zog die einzig passende Schlussfolgerung: "So kannst du nicht auftreten." Auffällig: Nach Rückstand hat Hertha noch keinen einzigen Punkt geholt, als einziges Team der Liga.

Offensive

Die Berliner leben von ihrer Effizienz - und der individuellen Klasse ihrer Offensivakteure. Mit 52 Chancen hat sich Hertha die fünftwenigsten Chancen aller 18 Teams erspielt, mit 36,6 Prozent aber die beste Chancenverwertung der Liga. Tabakovic (7 Tore/2 Assists), Prevljak (4/3) und Fabian Reese (3/3) sorgen für die enorme Produktivität, die an guten Tagen beinahe vergessen lässt, dass aus dem zentralen Mittelfeld zu wenig Offensivimpulse kommen. Seit der Syndesmose-Verletzung von Palko Dardai spielt Hertha praktisch ohne Zehner in einem 4-4-1-1 - mit Prevljak als hängender Spitze. Es fehlt an Kreativität, phasenweise auch an Tiefe und Tempo.

Zentrale

Neuzugang Bouchalakis (1,86m) und Marton Dardai (1,88m) bilden seit Wochen die Doppel-Sechs. Ob sich dieses Tandem auf Strecke tatsächlich gewinnbringend ergänzt und Herthas Spiel wie gewünscht ordnet und orchestriert, ist eine der Schlüsselfragen. Beide stehen für Spielverständnis und Übersicht, beide sind große, eher schwerfällig wirkende Spieler. Dass Hertha in Nürnberg vor allem nach der Pause lange Zeit keinen Zugriff bekam, lag auch am überforderten Duo vor der Abwehr.

Der griechische Nationalspieler Bouchalakis, der das Spiel in der Regel sehr gut liest, hat immer noch mit der Umstellung auf die intensive, robuste 2. Liga zu kämpfen. Dardais Fehlerquote ist zu hoch. Ein wuseliger, wendiger Balldieb fehlt im Kader. Möglich, dass Dardai wegen Kempfs Rot-Sperre am Samstag gegen Paderborn ins Abwehrzentrum an die Seite Leistners rückt. Dann könnte Bilal Hussein im Mittelfeld starten - oder Michal Karbownik von der Linksverteidiger-Position ins zentrale Mittelfeld rücken.

Tempo

Bei der Zahl der Sprints (224 pro Spiel) ist Hertha ein Top-Team, nur Elversberg zieht mehr Sprints an (227). Dennoch offenbart die Mannschaft in manchen Sequenzen Tempodefizite - und nutzt ihrerseits die Geschwindigkeit ihrer Sprinter zu selten. Marten Winkler (36,02km/h) ist aktuell gleichauf mit Kaiserslauterns Aaron Opoku der zweitschnellste Spieler der 2. Liga hinter Osnabrücks Christian Conteh (36,22 km/h). Auch Neuzugang Reese (Platz 21; Top-Speed 34,63km/h) ist im Vorderfeld der Liga zu finden. Der nächste Berliner -Defensivallrounder Karbownik  - liegt ligaweit auf Platz 62 (33,94km/h), auch Bouchalakis (33,27 km/h, Platz 97) ist in den Top 100.

Steffen Rohr, hub

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