Bundesliga

Hertha: "Eine richtige Grätsche, die uns nicht gut getan hat"

Herthas Trainer über Wucht und Wirkung des 1:6 gegen Leipzig

Korkut: "Eine richtige Grätsche, die uns nicht gut getan hat"

Immer mit einem Schuss Optimismus: Tayfun Korkut.

Immer mit einem Schuss Optimismus: Tayfun Korkut. Getty Images

62 passable Minuten, Sieghoffnungen nach dem zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich - und am Ende ein 1:6: Hertha BSC, im Jahr 2022 weiter sieglos, konnte auch gegen RB Leipzig den freien Fall nicht stoppen und hat gegen den Angstgegner aus Sachsen womöglich einen Wirkungstreffer kassiert. Dem 0:6 im Hinspiel im September noch unter Pal Dardai folgte am Sonntagabend ein 1:6 unter der Anleitung von Dardai-Nachfolger Tayfun Korkut: Zwölf Gegentore binnen einer Saison gegen ein Team - das gab's bei Hertha noch nie. Bisheriger Minuswert waren elf Gegentore, die sich die Berliner 1979/80 vom HSV einschenken ließen (Hinspiel: 1:5/A, Rückspiel: 0:6/H).

Die Begleitumstände waren außergewöhnlich kompliziert. Unter der Woche hatten sich nach positiven Corona-Tests bereits Suat Serdar und Niklas Stark in Isolation begeben. Am Wochenende folgten sechs weitere Profis (Maximilian Mittelstädt, Kevin-Prince Boateng, Marvin Plattenhardt, Lukas Klünter, Jurgen Ekkelenkamp, Dong-Jun Lee) und sieben Staff-Mitglieder. Im Spiel selbst wurde es nach Marc Oliver Kempfs Roter Karte und dem Elfmeter zum 1:2 nach gut einer Stunde dann nochmal komplizierter - und schmerzhaft deutlich. Am Montag sprach Hertha-Coach Korkut in einer Medienrunde über …

… den Spielverlauf gegen Leipzig: "Wahnsinn, ein Stück weit. Der, der nicht im Stadion war, und das Ergebnis nachliest, wird sich denken: Die haben keine Chance gehabt. Und genau das war ja nicht der Fall. In der Analyse hat sich zu gestern nicht viel geändert. Das Ergebnis will und kann ich nicht kleinreden. Aber ich werde auch die Leistung nicht kleinreden lassen, vor allem die ersten 62 Minuten nicht. Ich hatte nicht das Gefühl, dass das 0:1 uns rausgebracht hat, im Gegenteil: Wir sind im Plan geblieben, das war ganz wichtig. Die Mannschaft ist nicht weggekippt. Nach der Halbzeit sind wir noch ein Stück mutiger geworden und haben verdient den Ausgleich gemacht. Und danach hatten wir diese zwei richtig guten Situationen mit Jove (Stevan Jovetic, d. Red.). Wenn wir die nutzen, reden wir höchstwahrscheinlich von einem ganz anderen Spiel. Ich mag's nicht so, im Konjunktiv zu reden. Trotzdem will ich dieses Spiel in zwei Teilen bewerten, alles andere wäre nicht realistisch."

… den Auftritt bis zur Roten Karte gegen Marc Oliver Kempf und dem Elfmeter zum 1:2: "Die Mannschaft hat den Plan diszipliniert umgesetzt, sie hat es richtig gut gemacht. Wir haben uns in das Spiel reingearbeitet und hatten unsere Momente, haben zum richtigen Zeitpunkt den Ausgleich gemacht. Gegen Dortmund, auch ein Top-Gegner (3:2 für Hertha im Dezember, d. Red.), lief es so ähnlich. Da haben wir den Ausgleich gemacht und sind in Führung gegangen, dann ist das Spiel komplett auf unsere Seite gekippt. Das haben wir gestern nicht geschafft. Ganz im Gegenteil: Mit dem Elfmeter und der Roten Karte ist es die letzte halbe Stunde komplett gegen uns gegangen."

… den Auftritt in Unterzahl: "Wir sind mit einem Mann weniger mehr gelaufen. Die Gegentore, die wir danach bekommen haben, das hat nichts mit Willen oder Mentalität zu tun. Wir haben sogar noch versucht, mit einem Mann weniger nach vorn zu spielen - und haben dann Räume gelassen. Wir waren da vielleicht ein Stück weit zu gierig, um noch ein Tor zu machen. Dass wir da etwas reifer spielen müssen, das wissen wir. Aber orientieren werden wir uns absolut an der ersten, sehr langen guten Phase des Spiels."

… Wucht und Wirkung des 1:6: "Das war jetzt eine richtige Grätsche, die uns nicht gut getan hat. Aber wir stehen auf. Jetzt geht es um Nehmerqualitäten. Die müssen wir absolut zeigen. Das sind keine einfachen Situationen. Das ist mehr als eine Herausforderung jetzt. Wir müssen uns mit der gleichen Konzentration wie letzte Woche auf das nächste Spiel vorbereiten und dann mit allem, was wir können, versuchen, das Pendel klarer auf unsere Seite zu bekommen, damit wir Punkte holen."

… den Corona-Ausbruch am Tag vor dem Spiel: "Diese Woche wurde es echt extrem, aber wir haben es nicht thematisiert - keiner aus dem Verein. Am Samstag hatten wir einen extremen Ausbruch innerhalb der Gruppe. Man weiß nicht so richtig, wie man sich angesteckt hat. Wir hatten es geballt. Warum das so geballt kam, da kann man viele Theorien anstellen. Dass das auch eine Rolle spielt, ist klar. Wir müssen schauen, wer rechtzeitig zum nächsten Spiel zurückkommt. Ich muss mit den Ärzten sprechen, wer es schafft. Es sind ein paar Hindernisse, die wir haben. Aber so ist es im Leben auch. Auch da gibt es schwierige Momente, die man zusammen überwinden muss. So ein Moment ist das. Ich bin guter Dinge, dass wir auch jetzt wieder schnell die Köpfe hochkriegen."

… seinen Eindruck vom Team: "Ich spüre bei der Mannschaft: Sie hört zu, sie will - und sie will umsetzen. Das ist für mich in einer schwierigen Situation unheimlich wichtig. Es rennt nicht jeder rum und macht sein eigenes Ding. Und das brauchen wir auch die nächsten Wochen, dass wir uns nicht uneinig sind."

Mainzer Trio und BVB-Bestnote: Die kicker-Elf des 23. Spieltags

… das Wir-Gefühl: "Es geht viel darum, dass die Gruppe zusammenbleibt. Nicht, dass es daran Zweifel gibt. Aber es geht darum, dass man noch mal darauf hinweist. In schwierigen Zeiten muss man eng zusammenbleiben. Dann kann man auch mehr abbekommen und fällt nicht so schnell um - oder einer kann dem anderen, bildlich gesehen, wieder hochhelfen. Es fängt an mit konzentrierter Arbeit. Aber es spielt sich auch viel im Kopf ab. Es geht darum, positiv zu bleiben und nicht alles schwarz zu sehen. Im Fußball kann sich mit einem Sieg alles ändern. Das habe ich so oft erlebt. Wir waren kurz davor, es kippen zu lassen. Deswegen regt mich das so auf. Wenn man so ein Spiel verliert, mit keiner guten Leistung, und sich abschießen lässt, dann hat man ganz klar andere Probleme. Dann hat man auch nichts, woran man sich festhalten kann. Aber wir haben genug, woran wir uns festhalten können."

… seine Aufgabe: "Wir hatten eine erste gute Phase (nach Amtsantritt Ende November, d. Red.), haben unser Spiel relativ zügig reinbekommen. Jetzt hatten wir ein paarmal Gegenwind. Jetzt hatten wir ein Spiel drin, wo wir kurz davor waren, einen superpositiven Moment zu haben. Die Leute von außen schauen sich das an und fragen sich: Was ist da los? Aber es geht darum, dass wir die Balance behalten und nicht anfangen, mit Parolen zu arbeiten. Jede Mannschaft verträgt eine andere Dosis an Informationen. Manche Mannschaften brauchen mehr Emotionalität, manche mehr taktische Arbeit. Genau das ist jetzt mein Job, die richtige Dosis zu wählen, inwieweit wir kritisieren und inwieweit wir an den positiven Dingen dranbleiben."

… die Rückendeckung durch Geschäftsführer Fredi Bobic, der Korkut nach dem Leipzig-Spiel "eine klare Ansprache und einen klaren Plan" bescheinigte: "Ich brauche das nicht von Fredi, das weiß er aber auch. Egal, was passieren sollte: An unserem Vertrauensverhältnis wird sich nichts verändern. Er weiß, wie ich arbeite. Dass er solche Worte wählt, ist für mich wichtig, aber das ändert nichts an meiner Arbeit. Die geht genauso weiter, egal, wie schwierig es ist."

… die Auswechslung von Torschütze Stevan Jovetic: "Jove hat etwas in der Muskulatur am hinteren Oberschenkel gespürt, er wollte ausgewechselt werden. Nach dem 1:3 war für mich klar, dass ich ihn rausnehme. Wenn man sich die letzten Spiele anschaut: Er ist ein wichtiger Faktor für uns. Da muss ich den Spieler schützen, das ist logisch. Ich hätte ihn gern draufgelassen, das ist klar. Er war bei allen gefährlichen Aktionen beteiligt."

… die personelle Lage vor dem Freiburg-Spiel am Samstag: "Ich geh' davon aus, dass Dedryck Boyata (der Kapitän hatte sich Ende Januar im Testspiel gegen Lech Posen eine Bänderverletzung am Sprunggelenk zugezogen, d. Red.) zum Trainingsstart diese Woche dabei sein wird. Aber er war länger raus, das war keine kleinere Sache. Da muss man schauen. Trotzdem sind natürlich alle willkommen, die gesund sind. Suat Serdar hatte Corona schon ein bisschen früher, er dürfte rauskommen, Niklas Stark auch. Einige werden kaum Trainingseinheiten haben. Das sind alles Sachen, die wir annehmen müssen. Ich bin der Letzte, der anfängt zu jammern. Am Ende ist es, wie es ist. Da müssen wir gemeinsam drüber. Das werden wir machen."

Steffen Rohr