Motorsport

Marco Wittmann: "Irgendwie wird's weitergehen"

Der zweimalige Champion zur Zukunft der DTM

Marco Wittmann: "Irgendwie wird's weitergehen"

Marco Wittmann, zweimaliger Champion, macht sich erhebliche Sorgen um die DTM.

Marco Wittmann, zweimaliger Champion, macht sich erhebliche Sorgen um die DTM. imago images

kicker: In diesen Zeiten ist die Frage nach dem Befinden keine reine Formsache. Wie also geht es Ihnen, Herr Wittmann?

Marco Wittmann: Danke, es geht mir gut. Ich bin gesund, das ist aktuell das Wichtigste. Und arbeiten darf ich auch in der Werkstatt meines Vaters, die wir keinen Tag schließen mussten. Trotzdem sehnt man sich nach der Normalität, mal Freunde zu sehen oder essen zu gehen.

kicker: Wie sieht Ihr momentaner Tagesablauf aus?

Wittmann: Ich bin viel in der Werkstatt, und für mich, da der Motorsport derzeit brachliegt, ist das ein guter Ausgleich. Ich treibe viel Sport, mehr denn je sogar. Denn jetzt bin ich viel mehr zu Hause als sonst, wenn die Saison läuft und man ständig auf Reisen ist. Da ist es manchmal gar nicht einfach, das Fitnessprogramm mit einzuplanen. Von halbacht bis fünf arbeite ich, danach kommt der Sport.

kicker: Was machen Sie in der Werkstatt?

Wittmann: Ich bin ja gelernter Karosseriebauer und ganz normal mit im Einsatz. Ich repariere Autos, wir kümmern uns um Unfallschäden, machen Kundendienste und in den letzten Wochen ganz oft den Wechsel auf Sommerreifen.

kicker: Ist das ein Vorgriff auf die Zeit nach der aktiven Karriere?

Wittmann: Könnte schon sein, aber darüber habe ich mir intensiv noch keine Gedanken gemacht. Der Motorsport steht für mich an erster Stelle. Ob ich danach weiter im Sport bleiben werde als Berater oder in anderer Funktion oder ob ich zurück in die Werkstatt gehe, das ist alles noch eine Weile hin. Eine Option aber ist es bestimmt.

kicker: Viele Ihrer Rennfahrerkollegen vertreiben sich momentan die Zeit mit Sim-Racing. Sie auch?

Wittmann: Da bin ich nicht mit dabei.

kicker: Was hält Sie ab?

Wenn man die Sim-Rennen sieht, wie viele Unfälle, Einschläge und Überschläge es da gibt - und dann fahren am Ende doch alle durchs Ziel?

Marco Wittmann

Wittmann: Ich sehe natürlich, dass der Boom für Sim-Racing derzeit extrem ist, dass fast alle Fahrer involviert sind. Aber ich kann mich damit echt nur schwer anfreunden. Denn es ist einfach nicht die Realität, das muss man mal klar sagen. Wenn man die Sim-Rennen sieht, wie viele Unfälle, Einschläge und Überschläge es da gibt - und dann fahren am Ende doch alle durchs Ziel? Außerdem haben viele meiner Kollegen jetzt schon einen solchen Vorsprung, dass ich das gar nicht aufholen könnte. Ich müsste mir also erst mal einen Simulator kaufen, mich jeden Tag zehn Stunden dransetzen, um irgendwann so schnell zu sein wie die anderen. Für mich zählt immer: richtig oder gar nicht. Ich bevorzuge das reale Leben und hoffe, dass die Saison irgendwann losgeht. Ab da hat dann sowieso keiner mehr Zeit für Sim-Racing.

kicker: Dass Sim-Racing hilft, um Strecken zu lernen und "scharf" zu bleiben als Rennfahrer, ist also eher ein Märchen?

Wittmann: Ich glaub halt nicht dran. Wenn ich nach München zu BMW-Motosport fahre und mich dort in den echten Simulator setze, dann ist das für mich eine Hilfe. Das ist wirklich extrem nah an der Realität.

kicker: Weil es dann auch die Rückmeldung des "Autos" an den Körper gibt?

Wittmann: Ganz genau, dann spüre ich das Auto, gewinne Erkenntnisse und kann wirklich etwas ausprobieren, das ich im realen Leben an der Rennstrecke umsetzen kann. Sim-Racing für mich ist einfach eine extrem hoch entwickelte Spielkonsole, da kann man Spaß haben, aber nur sehr wenig profitieren. Wenn es wirklich um Reaktionsschulung ginge oder um die "Schärfe" als Rennfahrer, dann darf ich nicht andauernd solche Unfälle produzieren - die tun nämlich weh im richtigen Leben ... Viel lieber nehme ich da schon meine Playstation her und spiele mit Freunden FIFA, das macht viel mehr Spaß. Und jetzt fragen Sie mich bitte nicht, ob ich dort ein Fürther oder ein Nürnberger Trikot anhabe - ich kann Ihnen sagen: keines von beiden.

kicker: Es gibt Bilder von Ihnen im Trikot und zwar beim Laufen für Wings for Life, gemeinsam mit Ihren BMW-Kollegen Jens Klingmann, Philipp Eng und Martin Tomczyk. Worum geht es da?

Das Catcher Car hat mich erst nach 26 Kilometern eingeholt

Wittmann: Wings for Life kannte ich schon, als ich noch Red-Bull-Athlet war. Es wurde 2003 von Red Bull gegründet, um die Rückenmarksforschung voranzubringen und damit querschnittsgelähmten Menschen zu helfen. Man läuft für die, die nicht laufen können. Man zahlt 20 Euro Startgeld und wer will, gerne auch mehr, das Geld geht dann zu 100 Prozent in die Forschung. Normalerweise findet der Wings-for-Life-Run an vielen Orten weltweit statt. Durch COVID-19 wurde er abgesagt, aber jeder konnte letzten Sonntag dank einer App für sich laufen. Martin hat mich zwei Tage vorher gefragt, ob ich mitmache - fand ich cool und ist für einen guten Zweck. Die App zählt die Kilometer, sie pusht dich über den Kopfhörer, und das Catcher Car hat mich erst nach 26 Kilometern eingeholt.

kicker: Wow!

Wittmann: Dabei bin ich eigentlich nicht der Langstreckler. Ich laufe viel, aber sonst eher so zehn bis zwölf Kilometer. Meine Beine tun immer noch ein bisschen weh.

kicker: So fit wie nie, haben Sie gesagt. Was machen Sie gerne, was eher nicht?

Wittmann: Laufen auf jeden Fall für gute Fitness und Ausdauer. Dazu das übliche Kraftprogramm, Koordination, Mentaltraining, Reaktionstraining - das mach ich von daheim aus. Ich habe mir im Keller einen kleinen Fitnessraum ausgebaut und versuche immer, so viel Abwechslung wie möglich in mein Sportprogramm zu bringen.

kicker: René Rast hat uns Ähnliches erzählt und dass er dann, wenn es losgeht, noch fitter sein will als alle anderen, um damit sofort einen Startvorteil zu haben.

Wenn man so viel daheim ist, verleitet einen natürlich auch das gute Essen, also musst du schon viel Sport machen.

Marco Wittmann

Wittmann: So geht es derzeit ja uns allen im Prinzip. Du bist sieben Tage die Woche daheim, da kannst du locker fünf-, sechsmal trainieren. Außerdem: Wenn man so viel daheim ist, verleitet einen natürlich auch das gute Essen, also musst du schon viel Sport machen.

kicker: Ab wann war Ihnen klar, dass es dieses Jahr keine normale Saison geben würde?

Wittmann: Die Wintertests im Februar liefen noch ganz normal. Richtig klar wurde es einem erst, als der letzte offizielle Test für Ende März abgesagt wurde. Zu dieser Zeit wurde ein Event nach dem anderen abgeblasen, da hatte es auch schon den Super-Gau beim Formel-1-Auftakt in Melbourne gegeben. Ab diesem Moment musste man befürchten, dass es schwierig wird.

kicker: Ausgerechnet Ihr Heimrennen am Nürnberger Norisring soll nun am 11./12. Juli den Auftakt zur Saison bilden. Kein anderes Rennen aber erfordert in der Vorbereitung einen höheren Aufwand, weil es ja nicht auf einer permanenten Rennstrecke stattfindet.

Wittmann: Als Mitglied des Motorsport-Club Nürnberg bin ich im engen Austausch mit den MCN-Verantwortlichen. Für sie ist es wirklich schwerer als für andere. Die Entscheidung, ob es beim angedachten Termin bleibt, muss jetzt gefällt werden, denn Mitte Juli kommt schnell. Da brauchen alle Klarheit.

kicker: Auf keinen Fall wird es Zuschauer geben bei diesem Rennen. Stimmen Sie zu, dass man ein Geisterrennen leichter im Fernsehen verfolgen kann als ein Geister-Fußballspiel?

Wittmann: Warum?

kicker: Weil man bei einem Rennen vor allem auch auf das hört, was dort passiert. Die Motoren liefern die Soundkulisse wie immer. Im Fußball aber herrscht Friedhofsruhe.

"Wir alle wollen zurück zum Racing und den Zuschauern was bieten, wenn es auch im Moment nur im Fernsehen eine geile Show ist.

Marco Wittmann

Wittmann: Stimmt wahrscheinlich, den Unterschied habe ich mir noch gar nicht so vor Augen geführt. In beiden Fällen aber wäre es positiv, wenn etwas stattfinden könnte. Geisterrennen sind für uns als Fahrer, aber auch für alle anderen im Team, nur eine Notlösung. Gerade am Norisring sorgen doch die Zuschauer für das Flair. Genauso aber muss man sagen, dass sich derzeit alle Menschen nach Live-Sportveranstaltungen sehnen, weil im Fernsehen viel Schrott gezeigt wird und andauernd Wiederholungen. Wenn heute die Bundesliga startet oder wir am Norisring, dann hätten wir im TV richtig viele Zuschauer und gute Einschaltquoten. Dass ich trotzdem den Norisring lieber mit Zuschauern fahren würde, ist doch klar, geht aber halt dieses Jahr nicht. Dann muss man eben abwägen, und wir alle wollen zurück zum Racing und den Zuschauern was bieten, wenn es auch im Moment nur im Fernsehen eine geile Show ist.

kicker: Könnte man, um den Kalender noch einigermaßen zu füllen, auch drei statt der sonst üblichen zwei Rennen pro Wochenende fahren? Zumal eine Austragung der Rahmenserien ja mehr als fraglich sein dürfte.

Wittmann: Machen könnte man das, aber Sinn und Zweck darin sehe ich eigentlich nicht. Zwei Rennen pro Wochenende sind ein gutes Konzept. Ich hätte auch die Befürchtung, den gewohnten Charme einzubüßen. Wenn wir positiv denken und Mitte Juli wirklich starten, dann kann man mit einem Zwei-Wochen-Rhythmus schon noch viele Veranstaltungen in einen solchen Kalender packen. Bis Mitte, Ende Oktober kann man in Europa locker fahren, November wäre sicher schon schwieriger. Ich denke immer positiv und halte mich auch jetzt am letzten Strohhalm fest.

kicker: Gutes Stichwort angesichts des vergangene Woche fürs Jahresende angekündigten Ausstiegs von Audi.

Wittmann: Das war eine extrem schockierende Nachricht. Gemunkelt wurde schon länger, aber damit, dass es jetzt zu diesem Zeitpunkt passiert, hat kaum jemand gerechnet. In einer Zeit, in der so viele Leute durch den ganzen Corona-Wahnsinn ohnehin schon am Existenzminimum kratzen, ist das natürlich nicht die schönste Meldung. Es trifft ja nicht nur die Fahrerkollegen von Audi und die Teammitglieder dort, sondern uns bei BMW ganz genauso. Auch unsere Zukunft ist plötzlich ungewiss. Und vergessen dürfen wir die Fans nicht und die Partnerserien, da steckt ja noch einiges dahinter.

kicker: Die DTM wird mit einiger Sicherheit eine neue Ausrichtung brauchen. Wo liegt die Lösung?

Wittmann: Das weiß letzten Endes, wenn überhaupt, nur der Gerhard (Gerhard Berger, DTM-Chef, die Red.). Nur er kennt die Möglichkeiten, er hat alle Gespräche dazu geführt. Ich wünsche mir, dass es die DTM weiterhin gibt, in welcher Form, das wird sicher die große Frage. Wir als BMW standen und stehen dahinter und hoffen, dass Gerhard auch weiterhin wirklich alles, alles geben wird. Da geht es um Fragen, ob man neue Hersteller bekommen kann oder ein neues Autokonzept benötigt.

Die DTM hat im Tourenwagensport einen einzigartigen Stellenwert - und den dürfen wir nicht verlieren.

Marco Wittmann

kicker: GT-Autos anstelle der sündhaft teuren Prototypen hat schon der im Februar zurückgetretene DMSB-Präsident Hans-Joachim Stuck ins Gespräch gebracht. Das wäre günstiger. Auch attraktiv genug?

Wittmann: Da bin ich zwiegespalten. Im GT-Bereich stören mich zwei Sachen: die Balance of Performance, die in keiner Serie bisher richtig gut funktioniert hat, und die Anzahl an Amateurfahrern in solchen Serien. Die DTM aber hat im Tourenwagensport einen einzigartigen Stellenwert - und den dürfen wir nicht verlieren. Man müsste dann schon etwas schaffen, das immer noch das Nonplusultra und die Nummer 1 im Tourenwagensport ist.

kicker: In der DTM fahren bisher ausschließlich Vollprofis. Wäre dies eventuell die schmerzlichste Veränderung?

Wittmann: Vielleicht braucht man in Zukunft mehr Privatteams. Aber man muss halt sagen, dass die DTM-Autos extreme Rennautos sind, das Schnellste überhaupt, was es im Tourenwagensport gibt. Diese Basis sollten wir nicht verlieren. Gerhard träumt ja immer am liebsten von 1000 PS, und wenn er jetzt auf ein anderes Format setzen muss, dann sicher nicht auf Autos mit 400 PS. Er steht für Motorsport ohne Fahrhilfen, mit richtig Leistung, ganz wenig Gewicht - und den Ansatz wird er auch weiterhin verfolgen.

kicker: Wobei die bisherigen Prototypen halt einfach sündhaft teuer sind.

Wittmann: Richtig, und deswegen kann ich den Audi-Ausstieg auch nicht richtig nachvollziehen, denn man hat ja schon bisher extrem viel Geld für die Entwicklung des Turbomotors in die Hand genommen - für am Ende gerade mal zwei Jahre. Ich halte das nicht für effizient. Ich bin sehr gespannt und sehe im Moment für mich auch einige Fragezeichen. Gleichzeitig versuche ich, positiv nach vorne zu sehen und mir zu sagen: Irgendwie wird's weitergehen. Die DTM hat so viele Jahre lang gekämpft, und ich glaube, dass sie auch diese Krise überstehen und eventuell noch gestärkt aus ihr herausgehen wird.

Interview: Stefan Bomhard

Ausgewählte Einsendungen: Sport Action