Bundesliga

Lieblingsspiel: Hannover gewinnt Aufstiegskrimi gegen TeBe Berlin

Aufstiegsrunde 2. Liga, Hannover - Tennis Borussia Berlin, 24. Mai 1998

Lieblingsspiel: Als Sievers mal wieder zum Eisblock wird

Tiefflieger: Gerald Asamoah trifft früh per Flugkopfball zum 1:0.

Tiefflieger: Gerald Asamoah trifft früh per Flugkopfball zum 1:0. imago images

Es liegt etwas in der Luft an diesem Abend des 24. Mai 1998. Dieses Prickeln ist schon greifbar auf dem Weg zum Stadion. Ich bin 17, mein Fan-Herz gehört dem 1. FC Köln, und doch fasziniert mich diese Mannschaft und der Fußball, den Hannover 96 zu dieser Zeit spielt. Es macht Spaß, mit Bruder und Kumpel im Zug nach Hannover zu fahren, zu Fuß vom Bahnhof, vorbei am Waterloo-Platz, hin zum Stadion zu spazieren. Den Weg, den wir früher so häufig mit unserem Vater gegangen waren.

Es ist ein Duell der Giganten, auch wenn es keine Bundesliga ist. Auf der einen Seite Hannover 96. Ausgerechnet 1996 abgestiegen aus der 2. Liga und auferstanden aus einem Scherbenhaufen. Gegenüber Tennis Borussia Berlin, mit viel Geld der "Göttinger Gruppe" aufgepimptes Projekt, bei dem mit Kreso Kovacec, Fahed Dermech und Dejan Raikovic auch noch drei Ex-96er auflaufen.

Versinkt Hannover endgültig in der Bedeutungslosigkeit?

Die "Roten" mit dem Rücken zur Wand. Im Vorjahr nach der ersten überragenden Saison in der Regionalliga gab es das so bittere Aus in den Aufstiegsspielen gegen Energie Cottbus (Flutlichtausfall!), und nun verlor das Team das Hinspiel in Berlin mit 0:2. Versackt Hannover endgültig in der sportlichen Bedeutungslosigkeit, weil es immer noch einen Gegner gibt, der noch stärker ist?

Klar, es ist nicht die ganz große Fußball-Bühne, auf der 96 nach dem Abstieg auftritt, aber es ist großer Sport, den diese von Manager Franz Gerber und Trainer Reinhold Fanz aus allen Himmelsrichtungen zusammengeholte Mannschaft bietet. Aus unbekannten Namen werden Identifikationsfiguren, regionale Riesen. Gerald Asamoah, Otto Addo, Jens Rasiejewski, Fabian Ernst als die jungen Wilden an der Seite erfahrener Recken wie Jörg Sievers, Carsten Linke oder Dieter Hecking. Eine Mischung, die Spaß macht - bis es um alles geht. Da kommt die Angst hinzu.

Ein Gegner, der gar nicht erst versucht, Sympathiepunkte zu sammeln

Die Cottbus-Erinnerung steckt noch in den Köpfen, als TeBe an diesem Abend im alten Niedersachsenstadion zum Rückspiel antritt. Ein Gegner, der gar nicht erst versucht, Sympathiepunkte zu sammeln - trotz Hermann Gerland an der Seitenlinie. Aber da pöbelt Goran Curko zwischen den Pfosten, Bruno Akrapovic fieselt durchs Mittelfeld. Sie gehen zur Sache, sie provozieren, sie spielen so abgezockt, dass es eigentlich chancenlos erscheint, diesen Goliath im gelben Auswärtsdress in die Knie zu zwingen.

Doch was Hannover hat, ist neben der eigenen Qualität auch ganz viel Mentalität. Die "Roten" mit Herzblut. Und Zuschauer, die von diesem Team mitgerissen werden. Aus den großen Fragezeichen nach dem Abstieg sind ganz viele Ausrufezeichen geworden. 50.000 Fans sind da an diesem Abend, an dem es um so viel geht. Es ist eine ganz besondere Stimmung im Stadion, als die Mannschaften die vielen Stufen durch den langen Spielertunnel nach unten auf den Rasen kommen.

Grenzenlose Freude: Hannover-Profis feiern den Aufstieg in die 2. Liga.

Grenzenlose Freude: Hannover-Profis feiern den Aufstieg in die 2. Liga. imago images

Und es gelingt ein perfekter Start. 7. Minute, Flanke Markus Kreuz, Flugkopfball Asamoah. Der Ball im langen Eck, dahinter noch eine Laufbahn und dann wir weit unten in der Südkurve. Nicht die besten Plätze, aber immerhin hatten wir noch Karten bekommen. Es brodelt. Pyrotechnik nicht nur im Fan-Block, sondern als tatsächlicher Ausdruck von Emotionen auch auf der Haupttribüne. Gehalten von Menschen ohne Sturmhauben.

Der Anfangseuphorie folgt ein Dämpfer. Addo muss nach rund 25 Minuten verletzt vom Feld. Ausgerechnet er. Ein Unterschiedsspieler, der seine Gegenspieler wie Slalomstangen umkurven konnte, der ein Garant für den Erfolg der vergangenen beiden Jahre war - und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist.

Grenzenlose Euphorie dank "Milo" und Sievers

Zittern, hoffen, bangen. Bis zur 84. Minute. Vladan Milovanovic, ein aus Celle verpflichteter Knipser, wird als Joker zum Helden. Linke serviert den Ball per Kopf, Milovanovic setzt zum Fallrückzieher an. Er liegt in der Luft, das Stadion hält gefühlt den Atem an. 2:0, "Milo" mit dem Sprung über die Bande, Trikot aus, alles muss raus in diesem Augenblick, der die Verlängerung bringt. Und schließlich das Elfmeterschießen.

Es ist längst dunkel geworden...

Es ist längst dunkel geworden, der Innenraum ist voller Menschen, den Strafraum beherrscht aber einer ganz alleine. Jörg Sievers als Torwart, der in Situationen wie diesen zum Eisblock wird. 1992 schon Elfmeterheld in der Pokalsieger-Saison, nun der entscheidende Mann beim Wettschießen aus elf Metern. Ernst, Linke und Kreuz verwandeln sicher.

Sievers hält gegen Akrapovic, Harun Isa setzt den Ball neben das Tor, Francisco Copado scheitert am Keeper, dessen Name bei jedem Schuss ein ganzes Stadion brüllt. Der Rest ist Jubel, Erleichterung. Freude am Fußball, die ich mitnehme aus dem Stadion. Vorbei am Waterloo-Platz, hin zum Bahnhof. Wir müssen den letzten Zug nach Hause bekommen.

Thomas Hiete

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