Bundesliga

Kommentar zu Hertha BSC - Zurück zum Realismus

Hertha: Ein Kommentar von Steffen Rohr

Zurück zum Realismus

Hat seine Tauglichkeit als Bundesliga-Coach mehrfach bewiesen: Bruno Labbadia.

Hat seine Tauglichkeit als Bundesliga-Coach mehrfach bewiesen: Bruno Labbadia. imago images

Nur dabei statt mittendrin - das Gefühl hatte man bei Alexander Nouri in den zwei Monaten, in denen er die Verantwortung für die Mannschaft trug, häufiger. Und vermutlich war die Distanz zwischen den Profis und ihrem bemühten, aber glücklosen Vorgesetzten nie so groß wie an jenem Freitagabend Ende Februar in Düsseldorf. Hertha lag zur Pause 0:3 zurück, auf dem Platz hatte sich die Elf 45 quälend lange Minuten in ihre Einzelteile aufgelöst. In der Kabine richtete erst Torhüter Thomas Kraft einen lautstarken Appell an seine Kollegen, dann nahmen die Führungsspieler Per Skjelbred, Vladimir Darida und Vedad Ibisevic die Dinge in die Hand und entwarfen an der Taktiktafel die dringendst nötigen Korrekturen für die zweite Halbzeit. Nouri stand auch dabei, viel gesagt hat er nicht in jenen 15 Minuten. Das Spiel endete 3:3, Krafts Ansprache griff, die taktischen und personellen Ausbesserungen fruchteten. Nouri saß bei allen drei Berliner Toren derart unbeteiligt auf der Bank, als habe er den Platz dort bei einem Preisausschreiben gewonnen und dafür zähneknirschend einen lange geplanten, geselligen Abend bei Freunden abgesagt.

Nouris Verhalten irritierte

Spätestens in jenen Stunden - sechs Tage nach dem desaströsen Heim-0:5 gegen den Aufsteiger 1. FC Köln - wurde überdeutlich: Nouri fehlt es an Akzeptanz und Autorität. Der frühere Bremer Cheftrainer, den Jürgen Klinsmann Ende November für viele überraschend in seinen Stab berufen hatte, kam nach dem Blitz-Abgang des Chefs im Februar zugegebenermaßen in eine heikle und schwierige Situation. Aber einiges, was ihm seinen neuen Job hätte erleichtern können, unterließ er. Dass er von seinem Zweieinhalb-Monats-Vorgesetzten Klinsmann, der erst alle im Stich ließ und dann nachtrat, nach dessen krachender Flucht lange, viel zu lange nicht abrückte, kostete Nouri viel Reputation in der Kabine. Dass er in dieser Woche, in der Hertha den Trainingsbetrieb auf dem Platz in Achter-Gruppen wieder aufnahm, nicht in Berlin war, sondern die Einheiten und auch die Vorab-Gespräche mit jedem einzelnen Profi Athletiktrainer Henrik Kuchno überließ, irritierte einige im Verein.

Massive Zweifel an Nouri

Nouri hat von seinen vier Spielen als Chef auf Zeit nur eins verloren, aber das Gros der Mannschaft nie gewonnen. Das wäre in einem nach wie vor im Raum stehenden Saisonfinale mit dichter Taktung und der sportlich unverändert kritischen Lage des Liga-Dreizehnten womöglich eine zu schwere Hypothek geworden. Spätestens nach der Saison wäre ohnehin Schluss gewesen für Nouri. Angesichts der massiven Zweifel an ihm und vor dem Hintergrund der Corona-bedingten Aussetzung des Spielbetriebs und der zu erwartenden verkürzten Vorbereitung auf die neue Saison zog Hertha die womöglich wichtigste Auswechslung der Saison jetzt vor. Das macht Sinn - was den Inhalt und das Timing angeht. Manche Schritte sind unvermeidbar, wenn man danach mit sicherem Tritt weitergehen möchte.

Labbadias Berufung ist nicht das schlechteste Signal

Die Wahl von Bruno Labbadia zeigt eine Rückkehr zum Realismus, die manche dem Big-City-Club gar nicht mehr zugetraut hatten. Nach dem gescheiterten Experiment mit dem Bundesliga-Novizen Ante Covic setzte Hertha mit dem früheren Bundestrainer und Weltmeister Klinsmann auf das Kontrastprogramm - und griff in der Januar-Transferperiode mit 77 Millionen Euro an Ablösen für vier neue Spieler so tief in die Kasse wie kein anderer Verein weltweit. Klinsmann wollte den ganzen Klub auf links drehen. Der eigenen Mannschaft eine Hierarchie und ein strukturiertes Offensivspiel an die Hand zu geben, versäumte er. Jetzt kommt mit Labbadia jemand, der seine Tauglichkeit als Bundesliga-Coach bewiesen hat und der für klare Vorstellungen steht - und für Arbeit statt für Visionen, die den Blick auf die Realität verstellen.

Zehn Monate nach dem Ende der viereinhalbjährigen Ägide von Pal Dardai unternimmt Hertha den nächsten Versuch, die Nachfolge zufriedenstellend zu regeln. Die Ziele bleiben unverändert, aber sie werden jetzt nicht mehr wöchentlich in Facebook-Livechats befeuert: Hertha will sich 2020/21 für die Europa League qualifizieren und auf Sicht in die Champions League. Dass der zögernde Niko Kovac auch jetzt wie schon im November nicht zu bekommen war, brachte Labbadia in die Pole Position. Seine Berufung ist nicht das schlechteste Signal in dieser an Fehltritten, Hybris und Enttäuschungen reichen Hertha-Saison: Der Klub übertönt die Realität nicht mehr, sondern lässt sich auf sie ein.

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