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Wie Sean McVay die Los Angeles Rams in den Super Bowl führte - das große Porträt

Head Coach der Los Angeles Rams im Porträt

Der Lehrer: Wie Sean McVay die Rams in den Super Bowl führte

33 und schon Super-Bowl-Coach: Sean McVay.

33 und schon Super-Bowl-Coach: Sean McVay. Getty Images

Jamison Crowder mit der Wheel Route an der rechten Seitenlinie zum First Down, dann Jordan Reed aus einer 4x1 Individual Iso Slant zum Touchdown. In den Schlusssekunden des siebten Spieltags 2015 dreht Washington den Rückstand gegen Tampa Bay in einen 31:30-Sieg und verbessert seine Bilanz auf 3:4. Später schreit Kirk Cousins "U like that?" in die Katakomben-Kameras und wird zum Internet-Hit.

Sean McVay erinnert sich gut an den Spielzug. Zum einen, weil er Washingtons Offensive Coordinator war und ihn ansagte; zum anderen, weil er am Ende ein Grund für die erste Play-off-Teilnahme der Redskins seit drei Jahren war; und vor allem, weil McVay sich an jeden Spielzug erinnert. Ein Bleacher-Report-Quiz vor ein paar Monaten beweist, dass sich der jetzige Head Coach der Los Angeles Rams nicht nur an Aktionen der Vorwoche, sondern auch an detaillierte Auszüge aus Spielen vor über drei Jahren erinnert. Selbst High-School-Plays hat er noch im Kopf.

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Fotografisches Gedächtnis? "Wenn das nicht abgesprochen war..."

Das Video, das nicht nur Björn Werner im kicker-Interview zum Staunen bringt ("Wenn das nicht abgesprochen war..."), gibt in zwei Minuten und zwölf Sekunden wieder, warum zwei Jahre nach seiner Ankunft in Los Angeles die Hälfte der Liga nach dem "nächsten Sean McVay" sucht. Der jüngste Head Coach der NFL-Geschichte hat sich mit seiner akribischen Arbeit, der Beziehung zu seinen Spielern und dem Football-verrückten Kopf binnen kürzester Zeit einen Namen gemacht. Sonntagnacht (0.30 Uhr, LIVE! bei kicker.de, auf DAZN und bei ProSieben) trifft der gerade 33-Jährige im Super Bowl auf den 33 Jahre älteren Bill Belichick - ein vorgezeichneter Weg.

McVay entstammt einer Football-Familie, sein Vater Tim spielte als Defensive Back für die Indiana University, sein Opa John war als General Manager der San Francisco 49ers an deren fünf Super-Bowl-Siegen zwischen 1981 und 1994 beteiligt. Weil John McVay zuvor von 1965 bis 1972 als Head Coach an der University of Dayton tätig war, ließ sich die Familie im Südwesten Ohios nieder. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr lebte Sean McVay in Dayton und ging später an die Marist School in Brookhaven (Georgia), für deren Football-Team (die "War Eagles") er vier Jahre als Quarterback und Defensive Back aktiv war - und das sogar erfolgreich.

Vetternwirtschaft im Football: Sean McVay profitiert von John McVay

In seinem Senior Year führte McVay die War Eagles zur State Championship und wurde zum 4A Offensive Player of the Year in Georgia ernannt. Obwohl er an der Miami University (Oxford, Ohio) nicht an seine erfolgreiche High-School-Zeit anknüpfen konnte, überzeugte McVay auch dort schon mit dem Blick über den Tellerrand. "Er hat alles verstanden", lobte sein College-Coach Shane Montgomery, der McVay zum Wide Receiver umgeschult hatte, später. "Er hat die ganze Offense verstanden und war ein großartiger Anführer."

Einen Touchdown-Pass fing McVay am College nicht, dem Sport wollte er trotzdem auch nach seinem Abschluss treu bleiben. Da seine Familie vor allem dank Großvater John gut vernetzt und mit der Familie Gruden befreundet war, bekam McVay 2008 durch Vitamin B einen Fuß in die Tür. Jon Gruden , damals noch Head Coach der Tampa Bay Buccaneers, installierte McVay als Assistenz-Wide-Receivers-Coach. "Wie viele Kids werden schon direkt aus dem College in der NFL angestellt?", merkte Vater Tim McVay lobend an. "Wirklich nicht viele. Er war auf einmal einer der Assistenten von Jon und hat sich dieser Aufgabe komplett verschrieben."

Nachdem Gruden bei den Bucs entlassen wurde, musste auch McVays NFL-Karriere kurz pausieren, er arbeitete stattdessen in der (nicht mehr bestehenden) United Football League als Wide-Receivers-Coach für die Florida Tuskers - unter Offensive Coordinator Jay Gruden, Johns Bruder. Jener Gruden, der McVay später auf die große Bühne brachte.

Diesmal folgt Gruden McVay - und der Aufstieg nimmt Formen an

2010, also zwei Jahre nach seinem College-Abschluss, holte Head-Coach-Urgestein Mike Shanahan McVay als Assistenz-Tight-Ends-Coach zu den Washington Redskins, weil McVay "Fragen stellte, die Leute in seinem Alter normalerweise nicht stellen", wie die "Washington Post" Shanahan später zitierte. Im Jahr darauf wurde der "Assistenz"-Zusatz aus seiner Berufsbezeichnung gestrichen.

Sein Vorgänger weiß noch genau, wie sich McVay schnell nach oben arbeitete. "Ich habe durch die Wand gehört, wie er Plays installiert hat", erzählte Matt LaFleur, neuer Head Coach der Green Bay Packers , der Plattform "The Ringer". "Das war ziemlich beeindruckend." LaFleur war damals zum Quarterbacks-Coach aufgestiegen und hatte demnach mehr und mehr mit McVay zu tun. "Ich wusste, dass er Head Coach wird, als ich mich das erste Mal mit ihm getroffen habe. Er hat einfach eine wahnsinnig positive Energie, ist extrem intelligent, liebt Football mehr als irgendjemand, den ich kenne und ist einfach brillant. Ich glaube, er könnte ein fotografisches Gedächtnis haben."

McVay empfiehlt sich für L.A.: "Es dauerte keine zehn Minuten"

Als Jay Gruden McVay 2014 in die Hauptstadt folgte und als neuer Head Coach der Redskins vorgestellt wurde, beförderte er seinen alten Weggefährten zum Offensive Coordinator; McVay war damals gerade 28. Er verabschiedete sich drei Jahre danach mit der Empfehlung der zweitbesten Passing-Offense der Liga, die Play-offs verpasste Washington dennoch.

Sean McVay und Jared Goff

Verstehen sich: Sean McVay und Quarterback Jared Goff. Getty Images

McVay hatte sich einen Namen gemacht, auch wenn er damals noch nicht als der "Offensivguru" (O-Ton Björn Werner) gepriesen wurde, der er heute ist. Unter anderem die Rams suchten 2017 einen neuen Head Coach, hatten gerade den Umzug nach Los Angeles vollständig hinter sich gebracht, die unsägliche Jeff-Fisher-Ära beendet und die Saison mit Nummer-eins-Pick Jared Goff (sieben Spiele, sieben Niederlagen) und einer 4:12-Bilanz als schlechteste Offense der Liga abgeschlossen. Goff galt schnell als Draft-Desaster.

General Manager Les Snead lud McVay zum Interview ein. "Es dauerte keine zehn Minuten" , wie er später "The Ringer" verriet, da war Snead schon überzeugt. "Aus der Intuition heraus. Ihm zuzuhören, mit diesem Enthusiasmus und seiner Kommunikationsfähigkeit. Ich dachte mir nur: 'Weißt du was? Ich kauf dem das ab.'"

Der jüngste Head Coach der Liga krempelt ein Franchise auf links

Ein Jahr später hatte der mit 31 Jahren jüngste Head Coach der NFL-Geschichte die schlechteste in die beste Offense umgewandelt, in seinem ersten Jahr die Play-offs erreicht, Goff vom Draft-Desaster zum Pro-Bowl-Quarterback geformt und wurde zum Coach des Jahres ernannt. "Es ist unglaublich", sagte Patriots-Receiver Julian Edelman neulich, der zu College-Zeiten selbst gegen McVay spielte und ihm am Sonntag gegenübersteht. "Er ist in meinem Alter und führt eine gesamte Organisation zum Super Bowl."

Lesen Sie auch: Teil I und Teil II des großen kicker-Interviews mit dem ehemaligen NFL-Profi Björn Werner - über den Super Bowl, Draft-Kuriositäten, die nächste deutsche Welle und vieles mehr.

Wie? Zum einen mit Ausstrahlung und Kommunikation. "Für jeden, der Sean trifft, ist Alter völlig irrelevant", meint nicht nur Left Tackle Andrew Whitworth, eine von McVays wichtigsten Neuverpflichtungen. "Sobald du dich mit ihm unterhältst, wird dir klar, dass sein Intellekt und sein Spielverständnis auf einer anderen Ebene sind." Auch Goff ist voll des Lobes: "Wie er die Dinge kommuniziert, wie er die kompliziertesten Spielzüge so einfach aussehen lässt. Da dachte ich mir nur 'wow'." Der "Ringer" fasst es so zusammen: "McVay trainiert Football nicht, er lehrt Football."

Auch Werner ist begeistert: "Das finden die Leute cool"

Nicht nur die Kommunikation, sondern auch die Spielweise kommen Goff & Co. zugute. Kein Team spielt mehr 11-Personell (eine Formation mit einem Running Back, einem Tight End und drei Wide Receivern) als die Rams (96 Prozent). Aus einer Formation, die vor jedem Snap nahezu gleich aussieht, erschöpfen sich unendliche Möglichkeiten, die die gegnerische Defense oft auf dem falschen Fuß erwischen. "Deshalb sind wir so schwer zu verteidigen", lobt Goff, der sich jeden Montag und Freitag mit McVay trifft, um neue Spielzüge für den kommenden Gegner vorzubereiten.

Durch das Play-action-lastige Spiel entkommt Goff außerdem dem Pass Rush. Der 24-Jährige, wie McVay und so viele andere in seinem ersten Super Bowl, ist unter Druck am anfälligsten und offenbarte das auch Mitte der Saison. Gemeinsam haben sich der Quarterback und sein Coach aus dem Loch befreit.

McVay ist kein normaler Trainer, nicht nur wegen seines Alters. "Er kontrolliert die Superstars", erklärt Ex-NFL-Profi Werner, "das sieht man auch nicht oft." Um 4 Uhr morgens ist McVay der erste am Trainingsgelände der Rams in Thousand Oaks, nordwestlich von Los Angeles. Er wird wöchentlich zum Twitter-Helden; mal wegen zu heftiger Jubelattacken mit Goff; mal, weil er den gegnerischen Kader besser kennt als dessen Trainer; mal wegen seines Athletiktrainers, dessen einzige Aufgabe im Spiel darin besteht, McVay von den Schiedsrichtern um dem Spielfeld fernzuhalten, um Strafen zu vermeiden. "McVay zeigt seine Emotionen und wie sehr er Football liebt", sagt Werner. "Das finden die Leute cool."

"Mit ihm wollen sicher auch viele Spieler nach dem Spiel ein Bierchen trinken"

Eine Super-Bowl-Pleite wäre für die Rams ein Nackenschlag, aber kein Beinbruch. Auch wenn Goff bald nicht mehr unter seinem Rookie-Vertrag spielt und die Free-Agency-Optionen dann etwas eingeschränkt werden, ist der junge Kader darauf ausgelegt, für längere Zeit oben mitzuspielen. Björn Werner würde McVay den Triumph wünschen, auch wenn er eher auf die Erfahrung von Tom Brady und Bill Belichick setzt. McVays Ruf täte es keinen Abbruch: "Mit ihm wollen sicher auch viele Spieler nach dem Spiel ein Bierchen trinken."

Mario Krischel