Bundesliga

100 Jahre Cajkovski: "Ball rund, Stadion rund, Tschik rund"

Meister mit Köln, Europacupsieger mit Bayern

100 Jahre Cajkovski: "Ball rund, Stadion rund, Tschik rund"

Ein Fußball-Verrückter, ein Erfolgstrainer, ein toller Mensch mit einem großen Herzen: Zlatko "Tschik" Cajkovski.

Ein Fußball-Verrückter, ein Erfolgstrainer, ein toller Mensch mit einem großen Herzen: Zlatko "Tschik" Cajkovski. imago sportfotodienst

Knapp 60 Jahre ist es her, also noch kein Menschenleben, da geschieht im deutschen Spitzenfußball etwas, was heute allen Beteiligten und Beobachtern Schnappatmung bescheren würde. Der Trainer des 1. FC Köln - damals hintereinander 1962 Deutscher Meister und 1963 Vizemeister geworden - wechselt zum FC Bayern München, seinerzeit ein Verein aus der Regionalliga Süd, zweitklassig also und noch ziemlich weit entfernt vom heutigen Ruhm.

Ein Meistertrainer steigt freiwillig ab und lässt die historische Chance aus, mit dem FC erster Bundesliga-Champion zu werden. Stattdessen scheitert er mit den Bayern im ersten Anlauf Richtung Bundesliga und überlebt auch das im Amt. Erst 1965 werden die Münchner Mitglied der Eliteliga.

Zlatko "Tschik" (kroatisch für "Stummel") Cajkovski heißt dieser Teufelskerl, der als Spieler getrost in die Kategorie Weltklasse eingeordnet werden darf, als Trainer festigt er schnell seinen Ruf als Förderer von Talenten und ganz sicher gehört er zu den Baumeistern, die das Fundament gießen, auf dem das Haus des FC Bayern gebaut wurde. Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Franz "Bulle" Roth, Georg "Katsche" Schwarzenbeck - sie alle gehen als blutjunge Top-Talente durch die Schule des Mannes aus Zagreb, dessen Selbstbeschreibung so lautet: "Ball rund, Stadion rund, Tschik rund."

In Rekordzeit futtert sich der ehemalige rechte Läufer nach Beendigung seiner Karriere ein veritables Bäuchlein an. In Köln, wo er die reine Spieler-Laufbahn ausklingen lässt, animiert ihn sein damaliger Trainer und späterer Ausbilder Hennes Weisweiler recht derb zum Laufen: "Decken, Tschik, du Arschloch!"

Overath: "Er konnte uns alles vormachen. Er beherrschte jeden Trick"

Am Ende deckt er lieber den Tisch daheim bei seiner Frau Rada, macht den Trainerschein, sammelt Erfahrungen in Israel und Holland und avanciert mit seiner Art zur großen Nummer in Deutschland: "Für junge Spieler war er ideal", erinnert sich "Tschiks" Entdeckung Wolfgang Overath, der - als Amateurspieler aus Siegburg kommend - ein komplettes Jahr Verbandssperre absitzen muss und dennoch eine Menge bei Cajkovski lernt: "Er konnte uns alles vor machen. Er beherrschte jeden Trick."

Kein Wunder. Der kleine Mann mit dem überschäumenden Temperament (dessen Bruder Zeljko ebenfalls Nationalspieler wird) ist zweifacher Olympia-Silbermedaillen-Gewinner, wird in die FIFA-Weltelf berufen (was damals einem Ritterschlag gleichkommt), absolviert 57 Länderspiele für Jugoslawien (55/7 Tore) und Kroatien (2/0), nimmt 1950 und 1954 an den Weltmeisterschaften teil. Es ist die Generation der Cajkovskis, Zebecs, Horvaths und Boskovs, große Fußballer, die auf völlig unterschiedliche Art und Weise zu großen Trainern wachsen.

Seine Herangehensweise ist die des väterlichen Kumpels, der schier überläuft vor Verständnis für seine Spieler, denen er Raum lässt, ihre Fähigkeiten zu entfalten. Meister mit dem FC, zweimal Pokalsieger und Sieger im Europapokal der Pokalsieger mit dem FC Bayern - das ist eine stolze Liste an Erfolgen. "Zuletzt tanzten wir ihm auf der Nase herum", gibt Sepp Maier in seiner Autobiografie "Ich bin doch kein Tor" 1980 zu. Der Hauptgrund dafür, dass die Bayern ihn austauschen und seinen gestrengen Landsmann Branco Zebec holen, der prompt Meister wird. Am Ende fehlt wohl die Distanz, wie die Geschichte von Maier erahnen lässt, in der er erzählt, wie "Tschik" seinen Teller in Rekordzeit leer isst, und in der Folge "wie ein hungriger Hund" um die Tische schleicht und den Spielern Pommes frites und Fleisch stibitzt.

War ein Komödiant von hohen Gnaden: Zlatko Cajkovski mimt einen Dirigenten

War ein Komödiant von hohen Gnaden: Zlatko Cajkovski mimt einen Dirigenten. imago/WEREK

Kein Wunder, dass er 1967 in der Komödie "Wenn Ludwig ins Manöver zieht" eine Gastrolle als Kompanie-Koch übernimmt. Das Schauspieltalent liegt dem gelernten Textil-Kaufmann im Blut, er ist ein Komödiant von hohen Gnaden, der allerdings übergangslos ins Drama wechselt, wenn etwas schiefgeht. Als der 1. FC Köln 1962 im Landesmeister-Cup beim FC Dundee 1:8 verliert, stöhnt Cajkovski vor dem Abflug: "Winscht' ich, Maschine stirzt ab."

Bin ich nicht Lehrer für Sprache, bin ich Lehrer für Futtball!

Zlatko "Tschik" Cajkovski

Seine improvisatorischen Fähigkeiten lernen die Profis des 1. FC Köln 1973 kennen. An jedem Sonntag nach einem Spiel baut sich der "Stummel" vor seinem Team auf, liest mit seinem drolligen Akzent ("Bin ich nicht Lehrer für Sprache, bin ich Lehrer für Futtball!") aus einer Kladde seine Einzelkritik vor. Kritik und Lob werden verteilt, der Finger wandert übers Blatt, akribisch werden die Notizen vorgelesen aus dem Heft, das der Trainer hütet wie eine Portion Cevapcici. "Irgendwann musste Tschik dringend aufs Klo", erinnert sich Toni Schumacher, dem heute bei dieser und anderen Geschichten die Tränen vor Lachen kommen, "wir haben uns natürlich sofort die Kladde geschnappt. Und was haben wir gesehen? Sie war jungfräulich. Absolut leer. Keine Seite hatte auch nur einmal einen Stift gesehen. Und seine Einzelkritik hatte er immer aus dem Stegreif vorgetragen."

Der junge Schumacher - den Cajkovski zum Bundesligaspieler formt - erlebt seinen Trainer in einer Situation, die "ich mein Leben lang nicht vergessen werde." Der FC logiert unter seinem jugoslawischen Coach vor Heimspielen nahe Köln-Porz, von wo Bernd Cullmann und Herbert Neumann stammen. Beide pflegen beste Kontakte in die lokale Gastronomie, lassen sich bei jedem Aufenthalt eine opulente Scampi-Platte kommen. Genossen werden die Schalentiere heimlich in einem Raum, in dem Trainingskleidung, Regenjacken und Anoraks der Spieler sortiert werden. In einem gekachelten Raum mit Bergen von Klamotten fühlen sich die Spieler sicher vor dem Trainer. Bis es irgendwann plötzlich raschelt und kratzt, der Berg Klamotten zum Leben erwacht und Cajkovski darunter hervorkrabbelt. Die Delikatesse wechselt ohne große Worte den Besitzer.

Nach seinem Aus bei den Bayern ist Cajkovskis große Zeit vorbei

100 Jahre "Tschik" Cajkovski - ein Fußball-Verrückter, ein Erfolgstrainer, ein toller Mensch mit einem großen Herzen, den irgendwann das Glück verlässt. Mit dem Aus beim FC Bayern 1968 ist die ganz große Zeit vorbei. Er wird zum Feuerwehrmann, der heute hier, morgen dort entlassene Kollegen ersetzt. Erfolg verbucht er nur noch einmal, als Double-Sieger 1978 mit AEK Athen. 1984 beendete er seine Karriere. Es folgen gesundheitliche Probleme, Herzoperationen, Diabetes, die Amputation des rechten Unterschenkels. Am 27. Juli 1998 verstirbt dieser große, kleine Mann, der dem deutschen Fußball so viel geben konnte, in München an Nierenversagen.

Frank Lußem

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