Bundesliga

Wohlgemuth richtet den VfB neu aus

Stuttgarts Sportdirektor will Defizite in den Bereichen Leistungskonstanz, Effektivität und Widerstandsfähigkeit abbauen

Wohlgemuth richtet den VfB neu aus

Will in der kommenden Saison den VfB Stuttgart neu ausrichten: Sportchef Fabian Wohlgemuth.

Will in der kommenden Saison den VfB Stuttgart neu ausrichten: Sportchef Fabian Wohlgemuth. IMAGO/Sportfoto Rudel

Mehrere Tage lang waren der Sportchef samt Sportvorstand Alexander Wehrle und Trainer Sebastian Hoeneß sowie Trainerteam und Spezialisten aus dem Analyse- und Scoutingbereich zusammengekommen, um die verkorkste Saison 2022/23 zu durchleuchten. Unterschiedlichste Fakten und Zahlen wurden analysiert und besprochen.

Worin liegen die Ursachen für die teils massiven Leistungsschwankungen, wie erklärt sich die Diskrepanz zwischen dem Potenzial und den Darbietungen einzelner Spieler? Wie sieht es mit der Hierarchie und der  Kommunikation im Team aus? Wie steht es um die Ambitionen eines jeden Profis im VfB-Trikot, um seine Entwicklungsbereitschaft, seine Identifikation mit Verein, Mannschaft, Umfeld?

Fragen über Fragen als Folge der Frage aller Fragen: Wie kann es sein, dass die Leistungsdaten des VfB einen statistisch erwartbaren 6. Platz hergeben, die Abschlusstabelle aber Rang 16 ausweist? Ein Missverhältnis, das eines unterstreicht: Beim VfB ist viel Potenzial im Nichts versandet. Verschwendung, die man in Zukunft verhindern will.

"Geht darum, wie wir unsere Defizite abbauen"

"Im Kern geht es darum, wie wir unsere Defizite in puncto Leistungskonstanz, Effektivität und Widerstandsfähigkeit abbauen", lässt Wohlgemuth verlauten. Nachlässigkeiten, die erklärbar seien, weil sie "auch mit der mannschaftlichen Reife zu tun haben". Die dennoch abgestellt werden müssen, will man nicht nur tabellarisch nach vorne kommen. Schwerpunkte, die keine neue Erkenntnis darstellen, weil sie schon im Jahr zuvor die Leistungen der Mannschaft negativ beeinflussten.

"Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt mit der richtigen Strategie an jeder dieser Stellschrauben ansetzen: in der taktischen Arbeit und natürlich bei der Kaderentwicklung in den kommenden Transferperioden", so der Sportdirektor, dessen Team wie kaum ein anderes "in der Liga so weit unterhalb der eigenen Möglichkeiten geblieben ist".

Bei der Entwicklung des Teams ist weiter Geduld gefragt

Gerade die fahrlässige Chancenverwertung kostete die Verantwortlichen reichlich Nerven und den Traditionsverein von 1893 fast die Liga. "Es gibt deutliche Unterschiede zur Konkurrenz, wenn es um die Effizienz vor den beiden Toren geht. Hier müssen wir deutlich zulegen, um in der kommenden Saison möglichst immer eine gesunde Distanz zu den gefährdeten Tabellenregionen zu wahren."

Wir wollen eine Mannschaft, der es beständiger gelingt, am eigenen Limit zu spielen.

Fabian Wohlgemuth

Erst unter Sebastian Hoeneß, dem vierten Trainer der Spielzeit, wurde es besser. Es habe "eine Entwicklung gegeben, die uns Mut macht". Womit es allerdings nicht getan ist und schon gar nicht getan sein soll. "Wir wollen mehr Selbstorganisation auf dem Platz, eine Mannschaft, der es beständiger gelingt, am eigenen Limit zu spielen."

Dies sei angesichts der sichtlich schleppenden Entwicklung des Teams in den vergangenen beiden Spielzeiten, in denen man jeweils auf den letzten Drücker die Liga halten konnte, nicht so einfach und so schnell zu schaffen, wie man es gerne hätte. Wie es auch die Anhänger gerne hätten. Geduld ist gefragt. "Wir sollten nicht zwei Schritte auf einmal nehmen wollen und dadurch am Ende den Erhalt der Spielklasse riskieren. Wir setzen vielmehr auf gesundes Wachstum, auch wenn dies manchmal die Geduld strapazieren kann."

Auf dem Weg zur Besserung sind bereits erste Personalien, gerade im Trainerteam und im Scoutingbereich getroffen worden: Der frühere Herthaner Malik Fathi ist als weiterer Co-Trainer an die Seite von Hoeneß gestoßen. Thomas Henning (vom SC Paderborn), Andreas Herrmann (Manchester United) und Stefan Brandenburger (VfL Wolfsburg) komplettieren das Scoutingteam. Sie sollen helfen, die Neuausrichtung von unten heraus mit Leben zu füllen.

VfB auf Transfereinnahmen angewiesen - Führungsspieler sollen gehalten werden

"Natürlich geben uns die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, gerade bei den Transfers, keinen großen Spielraum. Trotzdem brauchen wir einen weiten Blick für die Entwicklungsziele des VfB. Wir müssen pragmatisch mit der aktuellen Situation umgehen und an kreativen Lösungen arbeiten. Zukünftig wollen wir die im Kader vorhandene Qualität länger halten und gleichzeitig das Risiko bei eigenen Verpflichtungen herunterfahren", sagt Wohlgemuth dazu.

Der 44-Jährige weiß, dass er abwanderungswillige Leistungsträger wie Borna Sosa und Konstantinos Mavropanos nicht halten kann. Weder mit Blick auf deren Beweggründe, sich neu orientieren zu wollen, noch aus finanzieller Sicht des Klubs, der trotz der winkenden Millionen aus dem geplanten Investoreneinstieg von Porsche mit MHP als Namensgeber der Arena auf Transfereinnahmen angewiesen ist.

Wenn wir eine Mannschaft entwickeln wollen, die mehr als nur der Vertrag an unseren Klub bindet, darf nicht jeder Spieler ein potenzielles Geschäftsmodell sein.

Fabian Wohlgemuth

Weitere Abgänge sind nicht ausgeschlossen. Zumal der aktuelle Kader ohne Neuzugänge weit über 30 Spieler zählt. Allerdings sollen Führungsspieler gehalten werden. Leistungsträger, wie etwa Hiroki Ito, der den neuen VfB personifizieren soll. "Da geht es auch und vor allem um unsere Glaubwürdigkeit", so Wohlgemuth am Montag gegenüber dem kicker. "Wie ernst ist es mit unserer Strategie, junge, ambitionierte und charakterstarke Spieler in Stuttgart zu halten und um sie herum eine Mannschaft mit Zukunft aufzubauen?"

Die Tage, in denen Spieler mit dem Blick auf den möglichen Profit verpflichtet wurden, sollen nicht fortgesetzt werden. "Wenn wir eine Mannschaft entwickeln wollen, die mehr als nur der Vertrag an unseren Klub bindet, darf nicht jeder Spieler ein potenzielles Geschäftsmodell sein. Wir müssen mehr Spieler im Kader haben, die wir gezielt deshalb verpflichten, weil wir sie langfristig in Stuttgart Fußball spielen sehen wollen."

Gesundes sportliches Umfeld für Integration von Talenten wichtig

Dass die Talente aus dem eigenen Haus weiterhin eine wichtige Rolle spielen sollen, steht außer Frage. "Natürlich ist es ein wichtiges Ziel, möglichst auch eigenen Nachwuchs in die Lizenzspielermannschaft zu integrieren - nicht nur aus sportlichen Gründen. Allerdings braucht die absolute Mehrheit der jungen Spieler Anlaufzeit und vor allem ein gesundes sportliches Umfeld für eine erfolgreiche Integration. In einem Team, das Wochenende für Wochenende um das sportliche Überleben spielt, ist das kaum möglich", warnt Wohlgemuth.

Der Klassenerhalt, auch das bleibt die Prämisse, steht über jedem und allem. Diesen künftig vorzeitig zu sichern und Abläufe und Verflechtungen zu optimieren, steht auf der Agenda ganz oben, die auch die Verpflichtung eines neuen Sportvorstands vorsieht.

Wehrle will sich auf Posten des Vorstandsvorsitzenden konzentrieren

Amtsinhaber Wehrle will sich in Zukunft mehr auf den Posten des Vorstandsbosses konzentrieren können und hat dem Aufsichtsrat diesen Schritt ans Herz gelegt. "Trotz des geglückten Klassenerhalts bin ich davon überzeugt, dass wir uns kein ,Weiter so‘ leisten können und unsere Situation eine andere Struktur erforderlich macht", sagt der AG-Vorstandschef.

"Ich bin dem Aufsichtsrat sehr dankbar, dass er meiner Initiative gefolgt ist, die für mich der Kern meiner Analyse war. Meine Zuständigkeit für den Sport war von Anfang an als Übergangslösung vorgesehen, die keinesfalls über 2024 hinaus reichen sollte. Wenn wir diese Veränderung früher angehen können, bin ich darüber sehr froh."

George Moissidis

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