Bundesliga

Wenn die Fans fehlen: "Unser Sport ist kühl geworden"

Ein Jahr Geisterspiele

Wenn die Fans fehlen: "Unser Sport ist kühl geworden"

Unions Keeper Andreas Luthe vermisst das "gemeinsame Leiden mit den Fans".

Unions Keeper Andreas Luthe vermisst das "gemeinsame Leiden mit den Fans". imago images

Nicht alles ist anders in diesen Zeiten, aber vieles. Und das geht für die Profis des SC Freiburg schon mit der unmittelbaren Spielvorbereitung los. Im Gegensatz zu den Heimspielen vor der Pandemie sitzen Nils Petersen und seine Kollegen gemeinsam einige Stunden im Hotel, um ein Wettkampfgefühl zu erzeugen. "Aber dann fahren wir mit dem Teambus zum Stadion und es interessiert die Leute nicht groß", schildert der Torjäger seine Empfindungen im Interview mit dem kicker, das einen Schwerpunkt bildet auf insgesamt 18 Seiten zum Thema "Ein Jahr Geisterspiele" in der Montagsausgabe. "Früher habe ich um halb zwölf am Bahnhof Littenweiler in Stadionnähe schon 20 Fahnen und 48 Trikotträger gesehen. Da wusstest du: Heute kannst du die Leute glücklich machen! Natürlich jubeln uns jetzt die Fans zu Hause zu, aber das kriegen wir ja nicht mit."

Freiburgs Nils Petersen

Wie Trainingsspiele: Freiburgs Nils Petersen. imaogo images

Jena, Cottbus, Bayern, Bremen, Freiburg. Überall machte Nils Petersen seine Tore; 17 in 29 Auftritten im DFB-Pokal, 60 in 110 Zweitligaspielen sowie 82 Treffer in 236 Einsätzen in der Bundesliga. Der 32-Jährige hat viel gesehen, nur Tore ohne echten Jubel kannte auch er nicht - bis Corona kam. Selbst nach seinem 1:0-Siegtreffer gegen Gladbach verspürte er Leere, "weil das Gefühl nach einem Heimtor mit all den glücklichen Gesichtern unbeschreiblich ist. Wenn ich zu meiner zukünftigen Frau und Freunden auf der Tribüne schaue und sehe, wie sie abdrehen, da fährt mir ein Schauer des Glücks durch den Körper und ich spüre richtige Schwingungen im Stadion".

Es fühlt sich teilweise wie ein Trainingsspiel an.

Nils Petersen

Auf diese Rückkopplung muss er seit einem Jahr verzichten. Stuttgart hat national bislang die letzte reguläre Kulisse erlebt. 54 307 Fans an einem Montagabend beim Topspiel der 2. Liga zwischen dem VfB und Arminia Bielefeld. Am Dienstag dieser Woche liegt das exakt ein Jahr zurück. Am 11. März 2020 kam es zum ersten Geisterspiel: Mönchengladbach gegen Köln. Ohne Fans sei es natürlich auch schwierig, Wettkampfspannung zu erzeugen. "Ich hasse dieses Gefühl von Aufregung, Nervosität, Bauchschmerzen, da gehst du dreimal auf Toilette und schwitzt viel, das ist unangenehm", beschreibt Petersen seine innere Unruhe vor Spielen, wenn die Ränge voll besetzt sind. "Das ist jetzt alles ein bisschen weniger, weil das direkte Feedback der Leute fehlt. Es fühlt sich teilweise wie ein Trainingsspiel an."

Andreas Luthe war Erstklässler, als ihn sein Vater erstmals zu einem Profispiel mit ins Stadion nahm. "Das hat mich nie wieder losgelassen", betont der Schlussmann von Union Berlin, "wenn du als Kind ein volles Stadion erlebst, willst du irgendwann da unten auf dem Feld stehen. Das treibt dich an." Genau das hat Luthe geschafft. Aber Fußball in Corona-Zeiten hat nicht mehr viel gemein mit jenem Gefühl aus Kindheitstagen. "Unser Sport ist kühl geworden. Sachlich", bilanziert der 33-Jährige in seiner Kolumne für den kicker. "Es wird unterschätzt, wie sehr den Spielern die Zuschauer fehlen. Wenn du nach einem gewonnenen Spiel vor der Kurve stehst und mit den Fans feierst oder nach einer Niederlage an den Zaun gehst und mit ihnen über die Scheiß-Situation diskutierst - all das fehlt."

Es wird unterschätzt, wie sehr den Spielern die Zuschauer fehlen.

Andreas Luthe

Wie Petersen gehört auch Luthe zu den meinungsstarken und reflektierten Profis der Branche. Der Keeper sitzt für die Spielergewerkschaft VDV und das Spieler-Bündnis, das er mitbegründet hat, in der Taskforce "Zukunft Profifußball" der DFL. "Den meisten Spielern, die ich kenne, geht es sehr nahe, wenn es mal nicht läuft. Gemeinsam mit den Fans zu leiden prägt und schweißt zusammen. Doch momentan fällt es mir schwer einzuschätzen, welche Meinung da draußen über unseren Sport herrscht."

Fan Fritz Eckenga fehlt das "Feiern, Trauern, Blödsinnreden"

Fritz Eckenga

BVB-Fan und Kabarettist Fritz Eckenga. imago images

Fritz Eckenga kann damit dienen, was von den Fans da draußen über die Profis da drinnen gedacht wird. Seit den 80ern ist er Dauerkartenbesitzer beim BVB. Zunächst stand er auf der Süd, und als er sich dafür zu alt fühlte, zog er um auf die Westtribüne, Block 33. Mit Geisterspielen kann der 66 Jahre alte Fußballliebhaber rein gar nichts anfangen, ihm fehle neben der "Energie, die durchs Stadion geht" und dem "Gefühl, Einfluss nehmen zu können auf das Spiel" vor allem "das Gemeinschaftserlebnis: die Verabredung mit Freunden, die Zusammenkunft in der Kneipe weit vor dem Anpfiff und das Essengehen danach. Das Feiern, das Trauern, das Blödsinnreden".

Wenn mir jetzt vieles von dem, was für mich wesentlich ist, weggenommen wird, stellt sich für mich die Sinnfrage immer deutlicher.

Fritz Eckenga

Doch es ist nicht nur das, was Eckenga seit der Einführung der Geisterspiele den Spaß am Fußball verdirbt. Was ihn extrem stört, ist "dieser Geschäftsbetrieb Profifußball". In der "reduzierten Form" werde klar: "Das einzige Ziel ist es, den Laden in irgendeiner Weise wirtschaftlich aufrechtzuerhalten und Profit zu erzielen. Nur noch darum geht es." Corona habe den Fußball nicht verändert. Doch "wenn der Fokus so sehr darauf gerichtet ist, wird der Spagat, den ich schon zu normalen Zeiten gemacht habe, nämlich den Verstand an der Stadiongarderobe abzugeben, immer größer", führt er aus.

Für Eckenga ist Fußball ein Teil seines Lebens und seiner Lebensgeschichte, "ich kann nicht darauf verzichten. Doch ich bin auch nicht so naiv, dass ich alles andere ausblenden kann. Diesen Geschäftsbetrieb, diese Unsummen von Geld, die umgesetzt werden. Wenn mir jetzt vieles von dem, was für mich wesentlich ist, weggenommen wird, stellt sich für mich die Sinnfrage immer deutlicher. Manchmal frage ich mich, wie dieser Spagat noch auszuhalten ist".

Ein Jahr Geisterspiele - die große kicker-Titelgeschichte in der Montagsausgabe.

Ein Jahr Geisterspiele - die große kicker-Titelgeschichte in der Montagsausgabe. kicker

Die Geister, die keiner rief - in der kicker-Montagsausgabe (auch als eMagazine abrufbar) blicken wir auf insgesamt 18 Seiten auf ein Jahr Geisterspiele zurück. Was hat sich für Profis, Trainer, Schiedsrichter, Gastro, Amateure und die 90 Minuten verändert? Und vor allem: Was empfinden die Fans? Darüber sprechen Andreas Luthe, Nils Petersen, Frank Schmidt, Manuel Gräfe, junge und ältere Fans, Stadionsprecher Arnd Zeigler, Radioreporter Stephan Kaußen, RWO-Präsident Hajo Sommers, Imbiss-Betreiber Kanniah Jeyakaran.

Carsten Schröter-Lorenz, Uwe Röser

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