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Was jedes Kind weiß, müssen Schiris wieder lernen

Kommentar

Was jedes Kind weiß, müssen Schiris wieder lernen

Schiri Vincic prüft in der Review-Area das vermeintliche Handspiel von Henrichs.

Schiri Vincic prüft in der Review-Area das vermeintliche Handspiel von Henrichs. IMAGO/Picture Point LE

Wer aus der 0:7-Klatsche von RB Leipzig bei Manchester City am Dienstagabend unbedingt noch etwas Positives für den deutschen Fußball ableiten will, der könnte immerhin festhalten: In puncto Schiedsrichterwesen sind andere Verbände dem DFB offensichtlich keineswegs voraus. Eine erfreuliche Erkenntnis ist das aber nicht. Vielmehr werden Handspiel-Entscheidungen wie die des slowenischen Referees Slavko Vincic im Zusammenspiel mit seinem spanischen Video-Assistenten Alejandro José Hernandez Hernandez zu einem Problem für den Fußball auf allen Ebenen. 

Wer wie Leipzigs Benjamin Henrichs völlig regelgerecht im eigenen Strafraum zum Kopfball hochsteigt und dann noch im Sprung von hinten angeköpft wird, hatte erkennbar alles andere im Sinn als den Ball mit der Hand zu spielen. Wenn dieses so genannte "Handspiel" dann auch noch in einer minimalen Berührung besteht, die weder Schiedsrichter noch Gegenspieler oder Zuschauer überhaupt wahrnehmen können, liegt abseits aller Regelfragen sowieso kein relevanter Eingriff ins Spielgeschehen vor. Wenn sich dann aber der VAR einschaltet, weil er am TV in Zeitlupe den zarten Kontakt zwischen Hand und Ball nachweisen kann - dann wird der Sport zum Lotteriespiel.  

Mit der Regel "Hand ist Hand" ließe sich vielleicht sogar besser leben

Fragt man sich, worauf VAR und Schiedsrichter im konkreten Fall Henrichs ihre Entscheidung überhaupt gründen konnten, liefert der Text der IFAB-Regel 12 immerhin einen kleinen Hinweis. Demnach sei eine bestimmte Arm- bzw. Handhaltung dann strafbar, wenn "der Spieler das Risiko eingeht, dass der Ball an seine Hand/seinen Arm springt". Aus jeglichem Kontext gerissen nimmt dieses Risiko allerdings jeder Spieler schon dann auf sich, wenn er nur den Platz betritt. Die logische Konsequenz wäre dann: Hand ist Hand, unabhängig von der Intention. Damit ließe sich im Sinne größtmöglicher Rechtssicherheit vielleicht ja sogar besser leben als mit der aktuellen Auslegungspraxis. Doch lautet die Grundvoraussetzung in Regel 12 ausdrücklich: "Nicht jede Ballberührung eines Spielers mit der Hand/dem Arm ist ein Vergehen." 

Die Kriterien für Strafbarkeit sind eigentlich zweifelsfrei festgelegt

Vielmehr werden die beiden Kriterien der Strafbarkeit konkret so festgehalten:  Erstens Absicht. Und zweitens eine "unnatürliche Körpervergrößerung". Diese liege vor, "wenn Hand-/Armhaltung weder die Folge einer Körperbewegung in der jeweiligen Situation ist noch mit dieser Körperbewegung gerechtfertigt werden kann".  Auf den Fall Henrichs und viele andere wie den des Mainzers Leandro Barreiro beim 1:1 in Berlin am vergangenen Samstag angewandt, ließe sich daraus zweifelsfrei folgern: Kein Strafstoß. Erst zusätzliche und im Prinzip überflüssige Anmerkungen wie der oben genannte "Risiko-Hinweis" schaffen offenkundig Verwirrung.  Zumal am Regeltext in jüngerer Vergangenheit viel zu häufig herumgedoktert wurde mit vermeintlichen Erläuterungen, die jedoch lediglich für Unklarheit sorgten.  

Die UEFA drückt ihren Referees einen irreführenden Kompass in die Hand

Wie am Dienstagabend einmal mehr erwiesen, sind offenkundig immer mehr Schiedsrichter überfordert, beim Aufnehmen des Regeltextes Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Und folglich auch damit, das Wesentliche des Regeltextes mit dem Geschehen auf dem Feld in Einklang zu bringen. Umso bedenklicher, dass die UEFA und ihr Schiri-Chef Roberto Rosetti dieser Entwicklung auch noch Vorschub leisten. Nach kicker-Informationen gibt es die Anweisung, einen nicht am Körper anliegenden Arm grundsätzlich als nicht regelkonform einzustufen.  Diese Erkenntnis schreit wiederum nach zwei Konsequenzen: Den Regeltext endlich auf das wirklich Wesentliche zu beschränken. Und zweitens, den Unparteiischen auf der Suche nach dem richtigen Kurs nicht auch noch einen irreführenden Kompass mitzugeben. Was Hand ist und was nicht, wusste früher schließlich mal jedes Kind. Im Prinzip gilt das sogar heute noch. Der eine oder andere Spitzenschiedsrichter muss es aber erst wieder lernen. 

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