2. Bundesliga

Schalke: Simon Terodde im Interview über den Torrekord

Ausführliches Gespräch mit dem Rekordtorjäger der 2. Liga

Terodde im Interview: "Im Training schieße ich gern aufs leere Tor - ohne hinzugucken"

Schalkes Stürmer Simon Terodde hat 153-mal in den 2. Liga getroffen.

Schalkes Stürmer Simon Terodde hat 153-mal in den 2. Liga getroffen. imago images/RHR-Foto

Simon Terodde wurde in den vergangenen Tagen mit Interviewanfragen überhäuft, im kicker spricht der neue Rekordtorschütze der 2. Liga nun ausführlich über seine Fähigkeiten, Trainer und Weggefährten und natürlich über den einen oder anderen Treffer. Rund 90 Minuten dauerte das Gespräch mit Schalkes Stürmer.

Sie brauchten nur noch den Ball einzuschieben: War ausgerechnet Ihr Rekordtor gegen Ingolstadt einer der einfachsten Treffer Ihrer Karriere, Herr Terodde?

Das mag sein. Ich habe gesehen, dass Dominick Drexler den Ball hatte, da wusste ich, dass er zu mir herüberspielen würde. Ich musste mich also eigentlich nur noch auf den Torabschluss konzentrieren.

War es angesichts seiner Bedeutung das emotionalste Tor Ihrer Karriere?

Da es das 3:0 war, würde ich es nicht als solches bezeichnen, ich habe mich einfach sehr über die idealen Rahmenbedingungen meines Treffers gefreut: ein Heimspiel, direkt vor der Nordkurve, wir haben gewonnen. Ich habe im Grunde erst am nächsten Tag registriert, dass ich Geschichte geschrieben habe. Auch viele Weggefährten von meinen Ex-Vereinen haben sich gemeldet und mir gratuliert. Es macht mich stolz zu spüren, dass mir diesen Rekord so viele Menschen gönnen.

Welches Tor war Ihr anspruchsvollstes?

Ich bin ja eher der klassische Verwerter - es passiert selten, dass ich mal zwei, drei Gegner ausspiele. Mit Stuttgart ist mir das kurz vor dem Aufstieg mal gelungen, womit ich mich aber selbst überrascht habe. Wenn ich so darüber nachdenke, erinnere ich mich, dass eines meiner schwersten Tore zugleich eines meiner schönsten war.

Welches?

Das war ein Seitfallzieher mit Union Berlin gegen den 1. FC Kaiserslautern. Soweit ich weiß, war es das einzige Mal, dass ein Treffer von mir überhaupt mal für das "Tor des Monats" nominiert wurde. Nur eines! Von 153! Gewonnen hat dann aber ein anderer (lacht).

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren ersten Zweitligatreffer, der Ihnen im Dezember vor zehn Jahren gelungen ist?

Das war das 4:0 mit Union Berlin gegen den FSV Frankfurt. Ich wurde nach langer Verletzungspause eingewechselt und habe den Ball per Grätsche über die Linie gedrückt. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich zehn Jahre später den Allzeitrekord knacke … Dieses Tor damals war schon ein besonderer Dosenöffner.

Und welcher war Ihr wichtigster Treffer?

Das ist noch gar nicht lange her. Da würde ich tatsächlich mein Tor auf Schalke zum 3:1-Heimsieg gegen Fortuna Düsseldorf nennen, das liegt bei den wichtigsten weit vorn.

Man hat beim Jubel einfach die Erlösung bei mir, aber auch bei der Mannschaft und unseren Fans im Stadion gespürt.

Simon Terodde

Warum?

Es hatte eine besondere Wucht. Wir haben uns in einer speziellen Situation befunden, wussten nicht so recht, wohin unser Weg nach der Niederlage gegen den HSV oder dem Unentschieden zu Hause gegen Aue geht. Man hat beim Jubel einfach die Erlösung bei mir, aber auch bei der Mannschaft und unseren Fans im Stadion gespürt.

Erinnern Sie sich an Ihr schnellstes Tor?

War das nicht erst im August mit Schalke gegen Kiel in der 2. Minute?

Nein, Sie haben auch schon eins in der 1. Minute erzielt, für Bochum …

Unser 4:2 in Heidenheim, jetzt erinnere ich mich! Das war der letzte Spieltag 2016, es ging für mich im Fernduell mit Nils Petersen vom SC Freiburg noch um die Torjägerkanone. Am Ende habe ich sogar drei Tore geschossen, da konnte mir Nils nicht mehr gefährlich werden.

In Ihrer Karriere haben Sie bisher fünf Dreierpacks erzielt und 36-mal doppelt getroffen. Wie heiß sind Sie auf einen Viererpack?

Ich wehre mich nicht dagegen, aber vier in einem Zweitligaspiel sind schon eine Hausnummer …

Wissen Sie noch, welches Ihr spätestes Tor war? Auch mit Bochum, auch recht kurios.

Das wird dann das Spiel gewesen sein, als ich in der 96. Minute gegen Bielefeld erst den Elfmeter nicht reingemacht, dann aber im Nachschuss zum 2:2 getroffen habe. Ich bin mit dem Ball im Arm zurück zur Mittellinie gelaufen, weil ich unbedingt noch gewinnen wollte, aber der Schiedsrichter hat leider sofort abgepfiffen.

Ihre Elfmeterquote ist für einen Rekordtorschützen wie Sie nicht überragend. 18 waren drin, acht aber nicht.

Ich rede nicht gerne über Elfmeter, das bringt Unglück.

Haben Sie nur eine Variante in petto, die Sie jetzt nicht verraten wollen?

(lacht) Nein, nein.

Werden Sie nervös am Punkt?

Nein. Aber in der Tat ist es so, dass ich dafür erst einmal ein Bewusstsein entwickeln musste.

Inwiefern?

Zu Bochumer Zeiten hat mal einer meiner Mitspieler, der sich sicher fühlte, verschossen. Im Anschluss kam Trainer Gertjan Verbeek auf mich zu und sagte: Simon, du bist Stürmer, du musst da die Verantwortung übernehmen. Das hat mir die Augen geöffnet. Seitdem übernehme ich die Verantwortung. Und auch wenn ich verschießen sollte, trete ich beim nächsten Mal wieder an.

30 Tore mit links, 89 mit rechts, 33 per Kopf, dazu sogar eines mit der Hüfte: Was sagt diese Ausgewogenheit über Sie als Stürmertyp aus?

Das sind alles Dinge, die ich versuche, gezielt zu trainieren. Am deutlichsten wird das bei der Kopfballquote. In der Jugend beim MSV Duisburg bin ich mal mit über 20 Toren Schützenkönig geworden, da war aber kein Kopfballtor dabei. Auch im Profifußball war das anfangs nie meine Stärke, trotz meiner Körpergröße von über 1,90 Metern. Bei Union Berlin habe ich dann aber intensiv am Kopfballpendel trainiert, im Nachhinein kann ich sagen, dass mir das sehr viel gebracht hat.

Auf Distanzschuss-Training haben Sie dafür lieber verzichtet?

Meine Quote ist da nicht so berauschend, richtig?

Im Strafraum stehe ich oft auf Zehenspitzen.

Simon Terodde

Bei Ihren 153 Toren befanden Sie sich 149-mal innerhalb des Strafraums.

Deshalb passt die Bezeichnung Strafraumstürmer perfekt zu mir! Nein, im Ernst: Das ist sicherlich ein Defizit, an dem ich noch arbeiten könnte. Andererseits sagt es wieder etwas über mich als Spielertyp aus. Ich bin nicht der, der aus 30 Metern mit Vollspann draufschießt, sondern handele viel nach Instinkt.

Kann man Instinkt trainieren?

Richtig zu stehen ist tatsächlich auch eine Frage des Trainings. Ich schieße im Training gern den Ball aufs leere Tor, ohne dabei hinzugucken. Das mag auf manche befremdlich wirken, aber ich merke, dass es meine Sinne schärft. Ich weiß, wo das Tor steht - im wahrsten Sinne des Wortes. Außerdem versuche ich immer, meine Handlungsschnelligkeit weiter zu verbessern. Auch hier können Kleinigkeiten eine Rolle spielen. Ich stehe zum Beispiel im Strafraum oft auf meinen Zehenspitzen - so bin ich ständig auf dem Sprung und verschaffe mir damit im Zweifel einen Bewegungsvorsprung.

Terodde

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Schaut man sich Ihren Torjubel an, könnte man meinen, Sie halten schon seit Jahren Ausschau nach dem Torrekord. Was steckt hinter Ihrer Geste?

Nach einem Kopfballtor mit Union Berlin in Duisburg habe ich im grellen Schein des Flutlichts meine Eltern auf der Tribüne gesucht. Die Geste habe ich dann einfach beibehalten. Mittlerweile symbolisiere ich mit dieser Handhaltung zumeist, dass ich den Vorlagengeber suche. Bei Auswärtsspielen sind es oftmals aber auch unsere mitgereisten Fans, die ich anvisiere.

Marco Terrazzino, Ihr Mitspieler einst in Bochum, hat die meisten Terodde-Tore aufgelegt - zehn. Dann folgt schon Dominick Drexler mit neun, acht davon zu Kölner Zeiten. War die Co-Produktion gegen Ingolstadt jetzt nur der Anfang auf Schalke?

Manchmal passt es einfach, bei diesen beiden trifft das sicher zu, auch auf Emiliano Insua - mit dem ich einst beim VfB Stuttgart gespielt habe. Es geht um gemeinsames Spielverständnis, natürlich auch um blindes Vertrauen. Deshalb war ich mir auch so sicher, dass Dominick gegen Ingolstadt nicht selber schießen, sondern rüberpassen würde. Ich habe den Eindruck, dass etwas Ähnliches gerade auch mit Thomas Ouwejan hier auf Schalke entsteht. Ich habe schnell gemerkt, dass er einen fantastischen linken Fuß hat.

Welcher Trainer hat Sie am meisten geprägt - besagter Verbeek, unter dem Sie 31-mal trafen und damit so häufig wie unter keinem anderen?

Ohne Frank Schaefer hätte ich nie erreicht, was ich erreicht habe. Ich stand damals vor einer sportlich sehr ungewissen Zukunft, mir fehlte die Perspektive, als er mich 2009 zum 1. FC Köln geholt hat.

Ich habe mich bewusst für den Rückschritt in die Regionalliga entschieden. Aus heutiger Sicht muss ich sagen: Das war eine der wegweisenden Entscheidungen in meinem Leben.

Simon Terodde

In die Regionalliga-Elf, wohlgemerkt.

Genau. Mein Zweitligadebüt hatte ich da schon hinter mir, im Oktober 2008 für den MSV Duisburg gegen Ingolstadt. Ich habe mich ein Dreivierteljahr später bewusst für den Rückschritt in die Regionalliga entschieden. Aus heutiger Sicht muss ich sagen: Das war eine der wegweisenden Entscheidungen in meinem Leben. Wenn ich beharrlich versucht hätte, mich bei einer Profimannschaft durchzusetzen, wäre ich vielleicht irgendwann in der Versenkung verschwunden.

Warum hat es unter Frank Schaefer klick gemacht?

Er hat mir verdeutlicht, dass es für einen Stürmer nicht nur darum geht, Tore zu schießen, sondern auch defensiv fleißig zu sein. Es war nicht so, dass er mich immer spielen ließ - im Gegenteil. Ich saß viel auf der Bank, als junger Spieler gibt man dann gerne auch mal dem Trainer die Schuld. Sagt sich trotzig, dass der keine Ahnung hat. Aber nein, der Punkt war, dass ich mich weiterentwickeln musste. Das habe ich dann erkannt.

2011 erfolgte dann der Wechsel von den Kölner Profis, bei denen Sie inzwischen angekommen waren, zum Zweitligisten Union Berlin. Ihr Durchbruch?

Es war der perfekte Schritt, als junger Spieler dorthin zu wechseln. Eine wunderbare Zeit, an die ich mich gerne zurückerinnere.

23 Tore in 87 Spielen reichten nicht aus, um den neuen Trainer Norbert Düwel zu überzeugen, Ihnen drohte dauerhaft die Bank. Doch dann tauchte 2014 die Rettung auf: Peter Neururer.

Er kam mit der Harley Davidson zum Gespräch, schaute mich an und machte mir klar, dass er mich unbedingt verpflichten wollte. Er hatte die Fähigkeit, mich starkzureden. Ich erinnere mich, was er damals im kicker über mich sagte: Der Simon Terodde ist wahnsinnig schnell! Und in einer überragenden Form. Ich war nie ein Pfeil auf dem Feld und zu jener Zeit Bankdrücker in Berlin, aber Peter Neururer hat das so gut vermittelt, dass ich das selbst geglaubt habe. Es lief dann für mich fast wie von alleine.

In der ersten VfL-Saison 2014/15 erzielten Sie 16 Tore, nur Rouwen Hennings vom KSC noch eines mehr. Ein Ansporn, künftig mal die Torjägerkanone ins Visier zu nehmen?

Ja, tatsächlich. Die Anzahl der Tore nahm zu. Erst acht im ersten Union-Jahr, dann zehn im zweiten und die 16 bei Bochum - da hatte ich Lust auf mehr.

Die Schallmauer von 20 durchbrachen Sie dann deutlich, wurden 2016 mit 25 Treffern zum ersten Mal Zweitliga-Torschützenkönig.

Da habe ich zum ersten Mal das Gefühl gehabt, wirklich im Profifußball angekommen zu sein. Bis dahin habe ich immer nur aufgeschaut zu Spielern wie Petersen, Alex Meier, Mo Idrissou oder Lukas Podolski. Plötzlich gehörte ich selbst zu dem Kreis, das hat mich schon mit Stolz erfüllt.

2017 schossen Sie den VfB Stuttgart mit 25 Toren zur Zweitliga-Meisterschaft, 2019 den 1. FC Köln mit 29 Treffern ebenfalls. Lassen sich diese beiden Bundesliga-Aufstiege miteinander vergleichen?

Von der Emotionalität her nicht, die Voraussetzungen waren verschieden. Beim VfB waren wir im Aufstiegsjahr eine recht junge Mannschaft, trotzdem habe ich vom ersten Training an die Erwartungshaltung gespürt - an die Mannschaft, aber auch an mich als Stürmer. Da muss man sich erst einmal reinfinden. Im ersten Heimspiel vor 60.000 Zuschauern gegen St. Pauli ist mir jeder Ball vom Fuß gesprungen. Bei Köln war die Erwartungshaltung nach dem Bundesligaabstieg aber noch höher, schon allein deshalb, weil wir eine eingespielte Mannschaft waren. Nicht aufzusteigen kam nicht infrage.

Nach einem Jahr Bundesliga gingen Sie 2020 wieder zurück in die 2. Liga, zum HSV. Strahlt es für Sie einen größeren Reiz aus, Traditionsvereine wie Stuttgart, Köln, Hamburg oder nun Schalke aus der 2. Liga zu schießen, als sich in der Beletage durchzusetzen?

Es macht mir schon viel Spaß, in der 1. Liga zu spielen. Für meine Quote von zehn Toren in 58 Spielen brauche ich mich auch nicht zu schämen, denke ich. Ich habe mich immer ganz bewusst für meine Stationen entschieden. Stuttgart, Köln, Hamburg, Schalke: Für mich hat das mehr als nur einen Hauch von 1. Liga.

Sind 153 Tore in 262 Spielen weniger wert als in 201?

Da sieht man mal, was Dieter Schatzschneider geleistet hat! Ich kann vor seiner damaligen Leistung nur den Hut ziehen.

Wie groß ist der Anreiz, ausgerechnet in seiner Heimat Hannover am Freitag den alleinigen Rekord aufzustellen?

Ich würde auch einen 2:0-Sieg ohne eigenes Tor nehmen. Am Freitag steht das Spiel im Fokus, aber ich freue mich, Dieter Schatzschneider kennenzulernen. Ich finde es total sympathisch, dass er mir den Rekord gönnt, aber offen zugibt, dass er ihn gern behalten hätte.

Er prophezeit, dass niemals wieder jemand so viele Tore in der 2. Liga schießt. Teilen Sie seine Meinung?

Ich denke, da ist was dran. Vielleicht mehr noch als bislang wird es die große Ausnahme bleiben, dass jemand mit vielen Toren der 2. Liga dauerhaft treu bleibt.

Noch nie ist jemand in der 2. Liga viermal Torschützenkönig geworden, Sie könnten nun der Erste sein. Lust, auch hier Geschichte zu schreiben?

Das wäre sicher eine schöne Sache, andererseits muss ich sagen, dass ich damals beim VfL Bochum, als ich 25-mal traf, oder zuletzt mit dem Hamburger SV, als es am Ende 24 Tore waren, lieber seltener getroffen hätte, wenn wir dafür aufgestiegen wären.

Interview: Toni Lieto

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