Bundesliga

Steil nach vorne, steil nach oben: Die Geschichte von Edmond Tapsoba

Ein Mann aus Ouagadougou, der mittlerweile ligaweite Bestmarken im Passspiel aufstellt

Steil nach vorne, steil nach oben: Die Geschichte von Tapsoba

Wie Phönix aus der Asche: Edmond Tapsoba.

Wie Phönix aus der Asche: Edmond Tapsoba. imago images

Es hatte was von Phönix aus der Asche, als Edmond Tapsoba sein erstes Bundesligaspiel bestritt. Bayer-Trainer Peter Bosz - eigentlich bekannt dafür, Neuzugänge langsam an sein System ranzuführen und viel Geduld mit ihnen zu zeigen - stellte den Mann aus Burkina Faso acht Tage nach dessen Ankunft aus Guimaraes im Topspiel gegen Borussia Dortmund in die Startaufstellung. Mit Recht: Bayer Leverkusen gewann an diesem kalten Februar-Abend eines der spektakulärsten Spiele der vergangenen Saison mit 4:3. Der Neuzugang, hierzulande nur wenigen Insidern bekannt, spielte zum einen 90 Minuten durch und zum anderen so, als wäre er schon Jahre Teil dieser Mannschaft. Ruhig, unaufgeregt und abgeklärt am Ball agierte er in einem hitzigen Spiel.

Für Edmond Tapsoba war der Schritt nach Leverkusen nur die Fortsetzung seiner Lebensgeschichte, die vor allem eine Richtung kennt: Steil nach oben. Tapsobas erste Erfahrungen mit dem Ball am Fuß begannen in Karpala, einem Bezirk im Südosten von Ouagadougou, Burkina Fasos Hauptstadt. "Schon als ich ein kleiner Junge war, habe ich die ganze Zeit Fußball gespielt. Fußball war die absolut wichtigste Sache. Ich habe immer nach einem Ball gesucht. Nur das hat mich interessiert", erzählt Tapsoba, der aus einer ärmlichen Familie stammt, in einem Interview auf der Bayer-04-Homepage. Mit 12 oder 13 Jahren wurde er in ein gerade errichtetes Jugendinternat des Salitas FC - gegründet vom ehemaligen burkinischen Fußballer Boureima Maiga - aufgenommen. "Der Verein hat mich bezahlt, was meiner Familie geholfen hat. Es ist immer so: Du kämpfst und verdienst Geld für deine Familie. Das mache ich heute noch", verriet der heute 21-Jährige im Gespräch mit "The Athletic".

Es ist immer so: Du kämpfst und verdienst Geld für deine Familie. Das mache ich heute noch.

Wenig später wurde Tapsoba Teil der ersten Mannschaft, mit der er den Aufstieg von der dritten in die erste burkinische Liga schaffte. "Es war nicht leicht, gegen ältere Spieler zu spielen, aber wir hatten talentierte Spieler und das ist der Punkt, an dem mein Spiel sich wirklich entwickelt hat", erinnert er sich. Durch Kontakte des Vereins-Direktors wurden Mannschaften aus Portugal auf die Spieler von Salitas aufmerksam - speziell auf den Kapitän, Edmond Tapsoba.

Der Schritt nach Europa und ein Anruf von Deco

2017 - mit erst 18 Jahren, damals aber schon A-Nationalspieler seines Landes - wagte er den Schritt aus Westafrika nach Westeuropa, zum Zweitligisten Leixoes SC. "Es war schwierig. Ich habe meine Familie vermisst und meine Familie hat mich vermisst. Es gab Zeiten, in denen ich mich gefragt habe, ob ich das Richtige tat, aber es war gleichzeitig auch eine Motivation, um für meine Familie erfolgreich zu sein", gab Tapsoba bei "The Athletic" einen Einblick in sein Seelenleben.

Der Erfolg besiegte schließlich den Trennungsschmerz. Nach einem halben Jahr in der U 19 von Leixoes wurde nicht nur Vitoria Guimaraes auf ihn aufmerksam, sondern auch die portugiesische Legende Deco. Als der ehemalige Spieler von Porto, Barcelona und Chelsea, der heute als Berater arbeitet, sich bei Tapsoba meldete, hielt dieser den Anruf für einen schlechten Scherz. Es war keiner, vielmehr wurde es jetzt ernst mit der Karriere des filigranen Abwehrspielers mit dem Radarblick. Gemeinsam mit Deco wagte Tapsoba im Januar 2018 zunächst den Schritt zum Jugendteam von Vitoria Guimaraes. In der Saison 2018/19 bestritt Tapsoba 30 Spiele bei der Zweitvertretung von Guimaraes in der zweithöchsten Spielklasse und erzielte sieben Tore.

Tapsoba über Vieira: "Er sah etwas in mir. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein"

Auch diese Leistungen blieben nicht unbemerkt, weswegen Tapsoba häufig mit der ersten Mannschaft trainierte und Trainer Ivo Vieira zu beeindrucken wusste. "Vieira legt sehr viel Wert auf den Ballbesitz und das passt zu mir. Er hatte Vertrauen in mich, schon seit der Vorbereitung, als ich in den Freundschaftsspielen ziemlich gut spielte. Er arbeitete mit mir an meinem Spiel, wollte, dass ich mich mehr konzentriere und das Spiel besser lese. Er sah etwas in mir. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein", sagt Tapsoba.

Edmond Tapsoba

Hier noch im Trikot von Vitoria Guimaraes: Edmond Tapsoba. imago images

Im ersten halben Jahr bei der Profi-Mannschaft bestritt er fast alle Spiele, landete automatisch bei einer Menge Scouts ganz oben auf dem Wunschzettel. Es gab konkretes Interesse aus der englischen Premier League, doch der Innenverteidiger entschied sich gemeinsam mit Berater Deco und Mentor Maiga - der selbst viele Jahre als Profi in Belgien spielte - für Bayer Leverkusen. "Das war die Mannschaft, von der wir dachten, dass sie besser für meinen Spielstil geeignet ist", erklärt Tapsoba, der nach diesem Transfer mit 20 Millionen Euro Ablöse teuerste burkinische Fußballer.

Beispielloser Start in Leverkusen

Ein Glücksgriff, wie sich bereits am 9. Februar 2020 beim Debüt gegen den BVB andeutete: "Die Anpassung bereitete mir keine großen Probleme. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sich die Spielsysteme von Guimaraes und Bayer 04 ähnlich sind. Ich musste also nicht viel umstellen", sagt der schnelle Innenverteidiger, der es gewohnt ist - wie in Bosz' dominantem Spielstil gefordert - hoch zu stehen und den Raum in seinem Rücken zuverlässig zu verteidigen. Tapsoba legte einen beispiellosen Start hin: Von seinen ersten sieben Bundesligaspielen gewann Bayer sechs, dazu kam ein Unentschieden gegen RB Leipzig.

Tapsobas Anteil an Bayers Siegen ist messbar groß. Der Innenverteidiger stellt mittlerweile Bestmarken auf. Er gefällt nicht nur dem subjektiven Auge angesichts seiner kicker-Durchschnittsnote von 2,57 - nur Robert Lewandowski (1,83) und Erling Haaland (2,33) sind als Spieler mit mindestens fünf Einsätzen besser. Auch aus objektiver Sicht gehört er zu den Top-Spielern der Liga. Ein Blick auf die Zahlen verrät: Tapsoba hat in der laufenden Saison die meisten angekommenen Pässe gespielt (650, 108 mehr als der zweitplatzierte Mats Hummels), seine Fehlerquote ist dabei erstaunlich gering (89,8% Passquote).

Lässig, aber selten zu lässig

Edmond Tapsoba ist heute im Spielaufbau aus der Defensive Dreh- und Angelpunkt des Leverkusener Spiels, fast ein Spielmacher auf der Innenverteidiger-Position. Er verleiht dem Spiel der Werkself eine neue Dimension durch seine scharfen Pässe in die Tiefe, durch seine raumgreifenden Lösungen aus Drucksituationen, durch seine Schnelligkeit, durch seine diagonalen Flugbälle, die mit hoher Genauigkeit beim Empfänger landen. Er strahlt dazu extreme Ruhe auch unter Stress aus, wirkt sehr lässig, aber selten zu lässig. Zudem ergänzt er sich nahezu perfekt mit seinem Nebenmann Sven Bender, der als aggressiver Balleroberer Lücken zwischen den Linien schließt und aktiv Druck auf den ballführenden Spieler ausübt. Tapsoba ist mehr der ruhige, der abwartende Verteidiger - mit und gegen den Ball, auf und abseits des Platzes. Was sich vor neun Monaten bei seinem Debüt andeutete, ist längst Gewissheit geworden: Mit dem Jungen aus Burkina Faso hat Bayer alles richtig gemacht - und Tapsoba hat mit Bayer alles richtig gemacht. Denn sein Weg geht weiterhin nach oben.

Eliano Lußem

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