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Schweers' Erkenntnisse: Eine neue Weltspitze, Deutschland ohne Anschluss und "junge Wilde"

WM-Kolumne der Ex-Nationalspielerin

Schweers' Erkenntnisse: Eine neue Weltspitze, Deutschland ohne Anschluss und "junge Wilde"

Zwei, die groß bei der WM auftrumpften: Spaniens Salma und Aitana.

Zwei, die groß bei der WM auftrumpften: Spaniens Salma und Aitana. IMAGO/Xinhua

Abpfiff der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland. Spanien ist überraschender und gleichzeitig verdienter Weltmeister geworden. Zum ersten Mal gelang ihnen der Titel-Coup.

Ein tolles Turnier wurde von einem ebenso spannenden und intensiven Finale zwischen Spanien und England beendet. Ich war der festen Überzeugung, dass England sich nach dem Halbfinale den Titel holt. Sie haben sich von Spiel zu Spiel gesteigert, aber die Spanierinnen zerstörten ihr Spiel durch das schnelle Kurzpassspiel und überraschten das englische Team mit einem hohen Pressing.

Frauen-WM, Finale

Auch das Spiel um Platz drei zwischen dem Gastgeberland Australien und Schweden war sehr aufregend. Sam Kerr hätte ihre Nation nach ihrem starken Treffer zum 1:1 im Alleingang zum dritten Platz schießen können. Die Schwedinnen waren am Ende aber zu stark und holten sich nach einem beeindruckenden Turnier die Bronzemedaillen.

Qualitativer Quantensprung

Insgesamt betrachtet haben wir aus meiner Sicht einen qualitativen Quantensprung erlebt, vergleicht man die Wettkämpfe von vor vier Jahren in Frankreich mit dieser WM. Das taktische Niveau, die Flexibilität vieler Teams und das technische Vermögen der Spielerinnen sind auf einem Top-Level angelangt. Das gesamte Spiel wird aber durch eine stark verbesserte Athletik und Physis viel hochklassiger. Dazu waren Australien und Neuseeland tolle Gastgeber für die WM, die in einer neuen Qualität umgesetzt wurde.

Folgend meine persönlichen top vier Erkenntnisse:

1. Wir haben eine neue Weltspitze

Das Turnier hat gezeigt, dass wir eine neue Weltspitze haben. Die bis dahin etablierten Nationen wie die USA, Deutschland oder auch Brasilien haben neue Konkurrenz bekommen. England, Spanien, Schweden oder auch die Niederlande sind mindestens auf Augenhöhe. Die Südamerikanerinnen waren vor allem durch ihre starke Physis schwer zu bespielen, Japan hat mich technisch überzeugt und siegte in der Gruppe gegen die späteren spanischen Weltmeisterinnen mit 4:0. Aus Afrika werden zukünftig weitere Konkurrenten erwachen, Australien ist auf die Fußballlandkarte getreten, vor allem durch eine unbändige Begeisterung der Landsleute.

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2. Deutschland hat den Anschluss verloren

Ich sehe nicht alles schwarz, aber was Deutschland spielerisch über die letzten Jahre anbietet, ist zu wenig. Ja, wir sind Vize-Europameisterinnen und daran kann man erkennen, dass das Team alle Voraussetzungen mitbringt. Wir haben dazu ein sehr erfahrenes Trainerteam und den größten Verband der Welt im Hintergrund. Aber wir bringen unser Potenzial nicht konstant auf den Platz. Es muss ein zwingendes Umdenken stattfinden, wir brauchen aus meiner Sicht viel klarere Entscheidungen.

Der Frauenfußball darf kein Lippenbekenntnis mehr sein, sondern muss weiter und noch schneller im Verband gefördert werden. Ich finde, dass wir unsere besten Spielerinnen da einsetzen sollten, wo sie im Klub die besten Leistungen bringen. Die Zeit für Experimente ist vorbei, wir sollten dringend Ergebnisse liefern. Die WM muss jetzt klar aufgearbeitet werden. Nach dem Ausscheiden bei der Weltmeisterschaft in Frankreich hat mir eine klare Reflektion aller Beteiligten gefehlt, ich war damals noch selbst im Kader. Diese Fehler dürfen nun nicht wiederholt werden.

3. Prägende Spielerinnen waren vor allem jung

Weltfußballerin Putellas musste weichen, konnte nach ihrer langwierigen Kreuzbandverletzung vor der letzten Europameisterschaft bei der WM zwar wieder mit dabei sein, dem spanischen Team aber nicht so ihren Stempel aufdrücken. Die Leaderin des FC Barcelona musste sich meist mit einem Platz auf der Bank vertraut machen. Die "jungen Wilden" liefen ihr den Rang ab. Beim FC Barcelona wurde sie durch Aitana Bonmati, die beste Spielerin der WM, schon 1:1 ersetzt. Zuletzt musste sie für die 19-jährige Salma ihren Platz im Mittelfeld räumen und das zurecht. Zwei herausragende Spielerinnen dieser WM.

Weiter fiel aber auch eine sehr erfahrene Spielerin auf. Die Schwedin Amanda Ilestedt (30), die zur neuen Saison für Arsenal London spielt, wurde nach dem Endspiel mit dem bronzenen Ball ausgezeichnet. Es freut mich extrem für Amanda, die ein Turnier wie ein Märchen gespielt hat. Nicht nur hinten war sie für ihre Mannschaft eine echte Stütze. Bei Standards war sie im gegnerischen Sechzehner immer eine Gefahr und zeichnete sich als Innenverteidigerin mit vier starken Turniertreffern aus.

4. Der schwere Weg in der Nations League

Die bisherigen WM-Kolumnen

Lange Zeit zum Trübsal blasen hat die deutsche Mannschaft nicht, so beginnt im September bereits die Nations League. Deutschland ist gefordert, weil es nur noch zwei Plätze für die olympischen Spiele zu vergeben gibt. Ich traue es unserer Mannschaft aktuell nicht zu, in die Phalanx der vier, fünf absoluten Top-Teams in Europa einzudringen. Wie bereits gefordert, nur wenn Mannschaft, Trainer und Verband schonungslos analysieren und ein Umdenken stattfindet, kann die Mannschaft ihr Potenzial abrufen. Aber wir brauchen dringend flexiblere Taktiken, die uns weniger ausrechenbar machen.

Die Mannschaft muss dringend Strategien entwickeln, wie sie mit Widerständen lernt umzugehen. Ein Ansatz könnte auch aus meiner Sicht eine breitere Verteilung von Verantwortung sein. Hier sind ab jetzt vor allem die Mittzwanziger angesprochen, verstärkt vorwegzugehen. Wenn wir zurück in die Weltspitze wollen, dürfen wir ab sofort keine Ausreden mehr gelten lassen.

Verena Schweers

Verena Schweers hat in der Bundesliga für den SC Freiburg und die Top-Klubs VfL Wolfsburg und Bayern München gespielt. Unter anderem gewann sie je zweimal die Champions League und die deutsche Meisterschaft. Die Verteidigerin absolvierte zudem 47 Länderspiele für die DFB-Auswahl. Im Sommer 2020 beendete sie ihre aktive Laufbahn.