Bundesliga

Schiedsrichter und VAR: Die große Kluft

Unverständnis gegenüber Referees wächst - mehr Selbstkritik nötig

Schiedsrichter und VAR: Die große Kluft

Pikante Szene: Leverkusens Fosu-Mensah bekommt gegen Stuttgart den Ball an die Hand.

Pikante Szene: Leverkusens Fosu-Mensah bekommt gegen Stuttgart den Ball an die Hand. imago images

Auf der einen Seite stehen die Schiedsrichter. Sie müssen pro Spiel etwa 170 Entscheidungen treffen. Auf der anderen Seite stehen Spieler, Trainer und das Publikum. Diese Gruppe hat sich schon immer über Referees aufgeregt, wenn diese vermeintlich oder tatsächlich falsch und zum eigenen Nachteil entschieden. Das wird sich wohl nie ändern ...

Ein Fachjargon entgegen der Idee des Volkssports

Oft genug ist die Kritik überzogen, wenn ein Unparteiischer an den Pranger gestellt wird. In der Bundesliga und 2. Liga herrscht zwischen beiden Polen derzeit eine große Kluft. Es geht um strittige Szenen, Fehler, oft um Handspiel und den VAR, vor allem aber auch um den Umgang der Referees damit, deren Erklärungen. Diese werden meist in einem Fachjargon vorgetragen, den - entgegen der Idee des Volkssports - längst nicht mehr alle verstehen. Das Verstehen ist jedoch die Basis von Verständnis für das Handeln der Referees, das oft fehlt.

Sicher nicht alle Fußballfreunde wissen, was "bad play" oder "deliberate save" mit der Abseitsregel zu tun hat - und warum deshalb ein Tor zählt oder nicht. Nicht mal unbedingt, wenn man die Übersetzungen "misslungenes Spielen des Balles" oder "bewusste Torabwehraktion" kennt. Bei Fouls fallen Begriffe wie "Trefferbild", und bei "faktischen Entscheidungen" - etwa Foul inner- oder außerhalb des Strafraums - soll der Schiedsrichter auf den VAR hören und sich kein eigenes Bild in der sogenannten Review Area machen.

Schiri-Boss Fröhlich macht es wie die Trainer

Die Schiedsrichter sind natürlich nicht für das VAR-Protokoll des IFAB oder die komplizierter gewordenen Spielregeln verantwortlich, sie sollen aber für deren Einhaltung sorgen - möglichst nachvollziehbar, verlässlich und im Sinne des Spiels. Dafür gibt es in vielen Fällen den Ermessensspielraum. Dieser wird jedoch, so der derzeitige Eindruck, vor allem ausgereizt, um strittige Entscheidungen im Nachhinein so zu legitimieren, wie man es gerade braucht. Verständlich, dass die Sportliche Leitung um Schiri-Boss Lutz Michael Fröhlich analog zu Trainern ihre Schützlinge erst einmal verteidigt. Nicht selten mindern deren Erklärungen wider die öffentliche Meinung jedoch die Akzeptanz, gerade die des weiter umstrittenen VAR.

Mehr Fehlerbewusstsein erwünscht

Derzeit werden Klagen über eine fehlende Vergleichbarkeit von Szenen sowie Forderungen nach mehr Selbstkritik der Referees laut. Nach kicker-Informationen sehen selbst einige Bundesliga-Schiris die Kommunikation der DFB-Verantwortlichen kritisch. Manche wünschen sich, unabhängig von beteiligten Personen, ein klareres öffentliches Bekenntnis zu Fehlern. Sie verstehen, dass etwa Stuttgarts Sportdirektor Sven Mislintat das nicht geahndete Handspiel des Leverkuseners Fosu-Mensah am Samstag als "krassen Fehler" wertete. Da hätte VAR Felix Zwayer eingreifen und Kollege Sven Jablonski zur Strafstoß-Entscheidung verhelfen müssen. Das räumt auch Fröhlich ein. Nicht der erste verpasste Handelfmeter, wie er zugibt: "Nach dem 13. Spieltag hatten wir vier Situationen, in denen ein letztendlich strafbares Handspiel nicht geahndet wurde." Daran werde man mit den Schiris "natürlich arbeiten, um die gleiche gute Abgrenzung wie vor dem Jahreswechsel schnell wieder zu erreichen".

Nach dem 13. Spieltag hatten wir vier Situationen, in denen ein letztendlich strafbares Handspiel nicht geahndet wurde.

Lutz Michael Fröhlich

Auch Dr. Jochen Drees scheint das Verlangen nach mehr Selbstkritik zu spüren. Zur gemeinhin als Schwalbe gewerteten Aktion von Fürths Stürmer Jamie Leweling am Sonntag gegen Würzburg sagt der VAR-Chef: "Da die vom Schiedsrichter getroffene Einordnung als klar und offensichtlich falsch anzusehen ist, hätte es hier einen On-Field-Review und eine Korrektur der Strafstoßentscheidung geben müssen." Ein eher seltener Einzelfehler, in diesem Fall von VAR Matthias Jöllenbeck. Eine "Denkpause", die mancher Spieler nach einem groben Patzer bekommt, lehnt Drees auf Nachfrage ab. Aussetzer im Videocenter sind aber besonders fatal. Denn in Coronazeiten, in denen das Publikum nur vor den Bildschirmen sitzt, dominiert noch mehr als sonst die Macht der Bilder samt Zeitlupen. Fröhlich sagt zwar nachvollziehbarerweise: "Die korrekte Entscheidung auf dem Feld ist das erste Qualitätsmerkmal für die Schiedsrichter und muss es bleiben." Letztlich bestimmen aber die Szenen, die jedem TV-Zuschauer serviert werden, den öffentlichen Diskurs.

Hohe VAR-Eingriffsschwelle "entspricht den Wünschen der allermeisten Vereinsvertreter"

Das treibt auch Bundesliga-Referees um, von denen manche die Gefahr sehen, man entferne sich in einer "Schiedsrichter-Blase" zu sehr von der Basis. Einige finden, der eine oder andere Gang mehr in die Review Area könnte die Akzeptanz steigern. So bleibt für viele Außenstehende unverständlich, warum der am Samstag von Dr. Martin Thomsen verhängte Handelfmeter für Darmstadt gegen Nürnberg bestehen blieb. VAR Bibiana Steinhaus fand zwar keinen Bildbeleg gegen diese Entscheidung, aber auch keinen einzigen, der ein strafbares Handspiel nachwies. Thomsen ging nicht in die Review Area. Für Drees korrekt, weil in einem solchen Fall die Wahrnehmung auf dem Platz zähle. Drees sieht keinen Bedarf für eine Absenkung der derzeit hohen VAR-Eingriffsschwelle, denn diese "entspricht im Übrigen auch den Erwartungen und Wünschen der allermeisten Vereinsvertreter".

Das fühlt sich derzeit anders an. Stichwort Kluft. Fröhlich findet: "Insgesamt machen unsere Schiedsrichter einen guten Job - besser, als es die aktuellen Diskussionen vermuten lassen. Diese beruhen vor allem auf komplexen Einzelszenen, die sich in kürzester Zeit aneinanderreihten und bei den Beteiligten eine persönliche Betroffenheit hervorriefen." Richtig ist, dass es diese Saison überwiegend gute Spielleitungen gab. Wichtig ist aber auch, dass sich Schiedsrichter und VAR verbessern müssen, um eine Häufung dieser Einzelszenen zu vermeiden. Dabei geht es nicht um die Utopie, alle zufriedenzustellen. Sondern darum, die Kluft möglichst kurzfristig wieder zu verkleinern.

Carsten Schröter-Lorenz

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