Bundesliga

Würdigung zum BVB-Abschied von Marco Reus

Zum BVB-Abschied

Reus' große Karriere - und das latente Gefühl, dass noch mehr drin gewesen wäre

Marco Reus verabschiedet sich im Sommer aus Dortmund.

Marco Reus verabschiedet sich im Sommer aus Dortmund. IMAGO/Sven Simon

Als Marco Reus im Sommer 2012 von Borussia Mönchengladbach zu Borussia Dortmund zurückkehrte - zu jenem Klub also, für den der gebürtige Dortmunder bereits in seiner Jugend zehn Jahre lang gekickt hatte, ehe er aufgrund seiner damals zu schmächtigen Statur aussortiert wurde -, da hätte wohl niemand geahnt, dass er zwölf Jahre lang bleiben würde. Dortmund war gerade zum zweiten Mal in Serie Deutscher Meister geworden, hatte durch einen Sieg im DFB-Pokalfinale über den FC Bayern auch noch das Double klargemacht und galt als "Europes hottest club", der aus Talenten Stars formte und sie dann für viele Millionen in die weite Welt entließ.

Wie Shinji Kagawa, der als No-Name aus Japan gekommen war und den Reus nun ersetzen sollte, weil der Japaner fortan bei Manchester United für Furore sorgen wollte. Reus hingehen galt als Topstar von morgen, dem schon bald die Welt zu Füßen liegen dürfte, nachdem er Mönchengladbach mit 18 Toren und zwölf Assists in der Saison 2011/12 in den Europapokal geführt hatte.

Dortmund als Zwischenstation? Nicht für Reus

Dortmund als Zwischenstation? So lautete für zahlreiche Profis in den Zehner-Jahren des 21. Jahrhunderts das Karrieremotto. Nicht aber für Reus. Er blieb. Zwölf Jahre lang. Und das nicht mangels Alternativen. Der heute 34-Jährige hatte mehrfach die Gelegenheit, den berühmten nächsten Schritt zu gehen. Der FC Barcelona wollte ihn, dazu allerhand Topteams aus der Premier League. Doch egal, wer lockte: Reus wollte nicht weg von seiner Borussia, seiner Stadt, seiner Heimat.

Der Offensivspieler, der in all den zwölf Jahren, die er für das Profiteam des BVB kickte, stets der Spieler mit den meisten Trikotverkäufen war, war immer einer der größten internationalen Stars des BVB. Einer, der überall erkannt wurde. Ob in den USA oder in Asien. Doch er selbst blieb stets still, fast schüchtern. Er wollte nicht in die große weite Welt. Er wollte seine Ruhe in seinem gewohnten Umfeld. Dass ihm, der fünf Jahre lang Kapitän des BVB war, das zuweilen auch negativ ausgelegt wurde, zählt zu den üblichen Gemeinheiten der Fußballbranche, in der Vereinstreue oft gefordert wird - aber wehe, sie wird dann auch umgesetzt… Dann gilt man schnell als ambitionslos.

Reus setzt beim BVB Bestmarken

424 Pflichtspiele absolvierte Reus seit seinem Wechsel zur Saison 2012/13 für den BVB, erzielte dabei 168 Tore und bereitete 129 Treffer vor. Nur Manfred Burgsmüller (135 Tore) und Michael Zorc (131 Tore) trafen in der Liga häufiger für den BVB als Reus (118 Tore), der dabei 47 Mal die 1:0-Führung für die Borussia erzielte - Vereinsrekord. Zudem hat er die meisten Europapokaltreffer für Schwarz-Gelb geschossen (33) und - gemeinsam mit Mats Hummels - die meisten Europapokalspiele für den Klub absolviert (89 Spiele). Es sind Werte, die bleiben und die Reus zu einem der ganz großen Spieler dieses an großen Spielern nicht gerade armen Klubs machen.

Im Video: Reus erklärt seinen Abschied aus Dortmund

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Doch zur Wahrheit gehört eben auch, dass die Leistungen von Reus zuletzt nicht mehr so stark waren, dass sein Vertrag hätte verlängert werden müssen. Die Trennung in beidseitigem Einvernehmen ist daher eine gesichtswahrende Lösung für beide Seiten und bietet die Chance, dem scheidenden Reus einen gebührenden Abschied zu bereiten.

Das latente Gefühl, es sei mehr drin gewesen

Neben den Bestmarken, die er in Dortmund aufstellte, gehört zu Reus‘ Karriere auch das latente Gefühl, dass sie unerfüllt blieb, weil so viel mehr möglich schien. In seiner Vita fehlen die internationalen Erfolge - auch weil ihn unmittelbar vor der WM 2014 wie so oft in seiner Karriere das Verletzungspech ereilte und er den Triumph von Rio deshalb vor dem TV erleben musste. Und es fehlt der nationale Meistertitel.

Marco Reus mit dem DFB-Pokal

Zweimal gewann Marco Reus den DFB-Pokal mit dem BVB. imago images/Laci Perenyi

Zweimal war Reus mit dem BVB ganz nah dran. Doch weder 2019 noch 2023 schafften er und seine Mitspieler es, als Erste über die Ziellinie zu kommen. So werden am Ende lediglich zwei DFB-Pokalsiege auf seiner Habenseite stehen. Viel zu wenig Titel eigentlich für einen Spieler seiner Qualität, der - wenn der Körper leider nicht so oft gestreikt hätte - auch deutlich mehr als jene 48 Länderspiele (15 Tore) absolviert hätte, die aktuell in seinem Arbeitszeugnis stehen.

Mit einem Sieg in Wembley würde sich ein Kreis für Reus schließen

Reus wurde in seiner Karriere oft vorgeworfen, er sei in großen Spielen nicht zu sehen. Viele Gelegenheiten, das zu widerlegen, dürften sich ihm nicht mehr bieten, auch wenn er seine Karriere andernorts noch etwas fortsetzen wird.

Doch, Moment, eine Chance gibt es ja noch für den großen Wurf. In der Champions League. Nach dem 1:0-Hinspielsieg im Halbfinale über Paris Saint-Germain hat sich der BVB jenen "kleinen Vorteil" erspielt, den sich Trainer Edin Terzic zuvor erhofft hatte. Reus kann noch aktiv mithelfen, dass der Vorsprung reicht für den Einzug ins Finale. Auf dem Rasen, aber auch abseits davon. Indem er seine Erfahrung einbringt, sich in den Dienst der Mannschaft stellt, sie positiv pusht, auch wenn er nicht eingesetzt wird. Das Finale 2024 findet in Wembley statt. Dem Ort, wo Reus 2013 in seinem ersten Profijahr beim BVB im Finale dem FC Bayern mit 1:2 unterlag. Mit einem Triumph dort würde sich für Reus ein großer Kreis schließen. Unabhängig von seiner weiteren sportlichen Zukunft: Es kann eigentlich kein größeres Ziel für ihn als Profi mehr geben.

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