Bundesliga

Michael Zorc: Zwei Leben für Borussia Dortmund

Dortmunder Legende hört auf

Michael Zorc: Zwei Leben für Schwarz-Gelb

Zwei Leben für den BVB: Michael Zorc.

Zwei Leben für den BVB: Michael Zorc. IMAGO/Michael Weber

Es sind schon Talente an bescheideneren Vergleichen zerbrochen. Dieser junge Deutsche erinnere ihn an Franz Beckenbauer, sinnierte Inter-Trainer-Legende Helenio Herrera während der Junioren-Weltmeisterschaft im Oktober 1981 in Australien. Michael Zorc hieß der schwarzbemähnte Libero der deutschen Mannschaft, die das Finale gegen Katar in Sydney 4:0 gewann.

Und dieser Zorc, frischgebackener Weltmeister und Gewinner des Silbernen Balls als zweitbester Spieler des Turniers? Der setzte sich nach der Rückkehr hin und lernte für sein Abitur am Dortmunder Heisenberg-Gymnasium - Abschlussnote 2,9, Thema in der mündlichen Prüfung Erdkunde: das peruanische Bewässerungssystem.

Sechs Tage nach dem WM-Finale stand er 16.500 Kilometer entfernt schon wieder auf dem Rasen und gab unter Branko Zebec sein Bundesliga-Debüt für Borussia Dortmund, das allererste von am Ende 572 Spielen als Profi in Schwarz-Gelb. Der Junge aus Dortmund-Eving, der früher selbst auf den Rängen im Stadion stand und die Zweitliga-Fußballer des BVB anfeuerte, war plötzlich mittendrin - und er sollte nicht mehr gehen.

Er hat die größte Karriere aller Borussen vorzuweisen.

Hans-Joachim Watzke

Zunächst parallel zur Sportfördergruppe der Bundeswehr in Essen-Kupferdreh und dann zum Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Uni Dortmund wurde Zorc als Spieler immer wichtiger für seinen Heimatverein.

Ein echter Arbeiter

Ein Arbeiter, der die 8 zurecht auf dem Rücken trug. Immer unterwegs zwischen Abwehr und Sturm, vorne aktiv, hinten aktiv, mit Ruhe am Ball, kopfballstark, loyal, verlässlich, zuverlässig und dazu wahnsinnig effektiv: 159 Treffer erzielte der Rekord-Bundesligaspieler des BVB für seinen Klub und verwandelte 49 von 57 Elfmetern - Entscheidungsschwäche war ihm schon als Spieler nicht anzumerken.

Zorc ging voran: Als es 1986 in der Relegation gegen Fortuna Köln um den Verbleib in der Bundesliga und ein gehöriges Stück weit auch um das wirtschaftliche Überleben des Vereins ging, leitete er mit seinem Ausgleich im Rückspiel die Wende ein, die im furiosen 8:0-Sieg im Entscheidungsspiel gipfelte.

Größter sportlicher Erfolg als Spieler: Michael Zorc gewinnt die Champions League.

Größter sportlicher Erfolg als Spieler: Michael Zorc gewinnt die Champions League. imago sportfotodienst

In guten wie in schlechten Zeiten

Die Zeiten wurden besser und Zorc war weiter mittendrin. 1988 zum Kapitän befördert feierte er ein Jahr später den Sieg im DFB-Pokal, stand 1993 im gegen Juventus Turin verlorenen UEFA-Pokal-Finale und erlebte zum Ende seiner Spieler-Karriere die großen Titel.

Deutscher Meister wird er, 1995 und 1996, jeweils als bester Torschütze seines Teams, holt die Champions League und den Weltpokal 1997 - auch wenn er da schon nicht mehr viel spielt. Wichtig ist er trotzdem, und diese Bedeutung wird vor allem beim glorreichen Abend in München klar, den in der Rückschau immer Karl-Heinz Riedle und Lars Ricken mit ihren Treffern dominieren.

Schon rund eine Viertelstunde vor Abpfiff sind die Rufe der Dortmunder Fans im Olympiastadion hörbar, sein Spitzname "Susi" schallt von den Rängen. Matthias Sammer, der Kapitän der Startelf, war es, der Trainer Ottmar Hitzfeld davon überzeugte, Zorc zumindest noch kurz einzusetzen, damit der die Trophäe entgegennehmen kann, Andreas Möller ließ sich auswechseln.

Wir hatten außer unserer glorreichen Vergangenheit und eines tollen Stadions mit 80.000 Fans nicht viel zu bieten.

Michael Zorc

"Eine feine Geste von Matthias", wird Zorc 25 Jahre später in der aktuellen kicker-Serie zum Königsklassentriumph sagen, "und wie das Publikum meine Einwechslung gefordert hat, hat mich tief berührt. Ich bin dankbar, dass ich noch ein paar Minuten auf dem Platz stehen und ein Teil der Mannschaft sein durfte".

In Tokio im Interkontinentalduell gegen Cruzeiro Belo Horizonte beweist er im Dezember desselben Jahres der großen Fußball-Welt ein letztes Mal seine Qualitäten und trifft beim 2:0-Sieg zum Führungstreffer, nach der Saison ist dann Schluss.

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Schneller Wechsel ins Management

Eine lange Auszeit gönnt er sich nicht, im Gegenteil: Zorc steigt direkt im Management des Klubs ein. "Der schnelle Wechsel war von mir gewollt, mich hat niemand in diese Position geschubst", sagt er im Rückblick: "Ich hatte schon immer ein Interesse an wirtschaftlichen Zusammenhängen." Einer seiner ersten Transfers: Dede, bis heute einer der größten Publikumslieblinge. Kein schlechter Einstieg für jemanden, der heute sagt: "In den ersten Jahren war ich Lehrling."

Er musste schnell lernen, denn ihn und den Klub erwartete die vermutlich schwerste Krise der Vereinsgeschichte, als der BVB der Mitte der 2000er-Jahre nur haarscharf an der Insolvenz vorbeischrammte und Zorc ab 2003 mit deutlich weniger Geld arbeiten musste. "Wir hatten damals außer unserer glorreichen Vergangenheit und eines tollen Stadions mit 80.000 Fans nicht viel zu bieten. Unsere Aufgabe bestand zunächst primär darin, die Gehaltsausgaben binnen anderthalb Jahren zu halbieren", blickte er vor fünf Jahren im kicker zurück.

"Jede Ausgabe, die über 500.000 Euro lag, musste von einem sogenannten Lenkungsausschuss abgesegnet werden. Die Ansprüche aber hatten sich nicht um die Hälfte reduziert. Wir wurden, obwohl die wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht gegeben waren, lange Zeit trotzdem als Champions-League-Klub wahrgenommen - der wir aber nicht mehr waren. Diese Erwartungshaltung zu steuern war neben der Akquise von neuen Spielern damals ein großes Problem."

Glücksgriff Jürgen Klopp

Doch aus der Asche der verbrannten Millionen erstieg ein schwarz-gelber Phoenix. "In der Nachbetrachtung haben wir es ganz gut hinbekommen, denke ich, auch wenn es ein paar Jahre gedauert hat, bis wir uns von einer soliden Basis wieder nach oben entwickelt haben", berichtet er: "Das ging Schritt für Schritt - auch weil wir mit Jürgen Klopp damals den richtigen Griff getan und den richtigen Partner gewonnen hatten, um unser sportliches Konzept mitzuentwickeln."

Der Glücksgriff Klopp, vielleicht Zorc wichtigste Personalie. Mit dem energiegeladenen Trainer und geschickten Einkäufen ging der Weg wieder steil nach oben, erreichte die Krönung im Meistertitel 2011, dem Double 2012, dem Champions-League-Finaleinzug 2013.

Erfolgstrio: Michael Zorc, Jürgen Klopp und Hans-Joachim Watzke (v.li.).

Erfolgstrio: Michael Zorc, Jürgen Klopp und Hans-Joachim Watzke (v.li.). imago/Ulmer

Prägende Jahre waren es zuvor für alle im Verein, auch für den eine Zeitlang nicht unumstrittenen Zorc. "Wenn man den Job so lange macht wie ich, dann hat man einfach nicht nur Sonnentage. Man muss lernen, damit richtig umzugehen. Sowohl im Negativszenario als auch jetzt im Positiven", sagt er: "Zumindest hat es dazu geführt, dass ich für mich selbst gelernt habe, Kritik nur bis zu einem gewissen Punkt an mich heranzulassen und zu versuchen, trotzdem vernünftig zu schlafen und einen klaren Blick zu behalten. Das ist nicht immer ganz einfach. Aber man darf sich nicht komplett vereinnahmen lassen. Sonst fühlt man sich irgendwann wie im Dschungel und findet keinen Ausweg."

Nach außen vermittelte er, vermittelte die sportliche Führung fast immer ein geschlossenes Bild, kontroverse Diskussionen blieben intern, persönliche Eitelkeiten und Animositäten hintenan. Und Zorc, der Westfale und das Kind des Ruhrpotts, dessen Großvater einst Bergmann auf der Zeche Minister Stein in Dortmund-Eving war, blieb der meist ruhende Pol.

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Loyal, besonnen, zuverlässig, mit einem Händchen für gute Einkäufe und in Verhandlungen knallhart, wenn es sein musste - vor allem, wenn es wieder um viel Geld ging: Im Laufe seiner Laufbahn hat er rund 2 Milliarden Euro an Transfers umgesetzt. "Ich bin kein Romantiker", wiederholte er ein ums andere Mal, Sentimentalitäten sind ihm eher fremd. Und doch wird der Samstag, das letzte Spiel von Borussia Dortmund in Verantwortung, besonders sein.

44 Jahre war er prägend für diesen Verein, 20 Jahre auf dem Rasen, 24 im Büro. Acht Titel als Spieler, zehn als Funktionär - nur fünf seiner 23 Titel gewann Borussia Dortmund ohne Michael Zorc. "Er hat die größte Karriere aller Borussen vorzuweisen. 44 Jahre bei seinem Verein in seiner Stadt - mehr geht nicht", ehrt in Hans-Joachim Watzke im Gespräch mit dem SID. Es ist das Ende einer Ära, eines Lebenswerks - und selbst das ist noch untertrieben.

Patrick Kleinmann