Nach dem fulminanten 6:1 im Achtelfinale gegen die Schweiz hatte Portugals Trainer Fernando Santos keinen Grund für viel Rotation. Lediglich Ruben Neves startete für William Carvalho auf der Sechs. Das bedeutete auch, dass Goncalo Ramos nach seiner Gala gegen die Eidgenossen erneut anstelle von Cristiano Ronaldo im Sturmzentrum auflief.
Auf der Gegenseite mussten die Marokkaner schon vor dem Spiel zwei Rückschläge hinnehmen. Die bisher sattelfeste Defensive (erst ein Gegentor im Turnier) musste Trainer Walid Regragui aufgrund der Verletzungen von Mazraoui sowie Aguerd verändern: Im Vergleich zum Überraschungssieg gegen Spanien (3:0 n.E.) rückten Attiyat-Allah und El Yamiq in die Viererkette.
Joao Felix scheitert früh per Kopf an Bono
An ihrer taktischen Ausrichtung änderten die Löwen vom Atlas nach dem Achtelfinale erwartungsgemäß nichts. Beinahe wären sie dazu aber früh gezwungen worden - allerdings entschärfte Bono einen Kopfball von Joao Felix aus dem kurzen Eck (5.). Daher standen die Nordafrikaner auch in der Folge weiterhin sehr kompakt in der eigenen Hälfte und gingen ab der Mittellinie resolut in die Zweikämpfe. Der geduldigen Seleçao fiel nicht viel ein: Häufig versuchten es die beiden Innenverteidiger, Pepe und Ruben Dias, mit langen Bällen - allerdings vergeblich.
WM-Viertelfinale
En-Nesyri profitiert von Diogo Costas Fehler
Die starke Defensivarbeit setzte bei den Marokkaner augenscheinlich noch mehr Selbstvertrauen frei, sodass sie sich nach einer guten halben Stunde auch bei den Kontern mehr zutrauten. Prompt kam Amallah nach einem der Gegenstöße auch zum Abschluss, verzog aber deutlich (35.). Nachdem Joao Felix auf der Gegenseite aus der Distanz ebenfalls das Gehäuse verfehlt hatte (39.), versetzte En-Nesyri das Al-Thumama Stadion, in dem die Mehrheit zu Marokko hielt, unter großer Hilfe von Diogo Costa in Ekstase: Der Keeper der Iberer schätzte eine Flanke komplett falsch ein, wodurch der Stürmer vom FC Sevilla vor ihm einköpfte (42.).
Youssef En-Nesyri (#19) kam vor Diogo Costa sowie Ruben Dias an den Ball und traf per Kopf zur Führung. IMAGO/Agencia EFE
Portugal suchte die postwendende Antwort, verpasste diese aber nur um wenige Zentimeter. Da Bruno Fernandes' Direktabnahme nur an die Latte klatschte (45.), ging es aus der Sicht der Iberer mit 0:1 in die Kabine.
Trotz offensiverer Ausrichtung: Portugal fällt wenig ein
Kurz nach Wiederanpfiff wäre die Aufgabe für den Europameister von 2016 fast noch schwerer geworden. Allerdings prallte der Ball von El Yamiq nach Diogo Costas Parade knapp rechts vorbei (49.). Im Anschluss reagierte Fernando Santos und brachte unter anderem Cristiano Ronaldo für Ruben Neves ins Spiel (51.). Trotz offensiverer Ausrichtung fehlte der Seleçao weiter die nötige Durchschlagskraft. Die wenigen gefährlichen Abschlussaktionen ließen die Portugiesen dann auch ungenutzt (Goncalo Ramos: 58., Bruno Fernandes: 64.).
Den Iberern lief allmählich die Zeit davon - es fehlte aber die entscheidende Lösung. Auch die Flanken Richtung Cristiano Ronaldo stellten das Abwehrbollwerk vor keine großen Probleme. Plötzlich musste Bono dann in der Schlussphase aber doch nochmal eingreifen. Einen Schlenzer von Joao Felix fischte der Schlussmann aus dem oberen Eck (83.). Der Torhüter stand nun häufiger im Mittelpunkt, war aber auch gegen Cristiano Ronaldos Versuch zur Stelle (90.+1.).
Pepe vergibt die letzte Möglichkeit
In der achtminütigen Nachspielzeit wurde es nochmal turbulent: Erst kassierte Cheddira binnen zwei Minuten zwei Gelbe Karten und musste frühzeitig vom Feld (90. +3.), dann verpasste Aboukhlal im Eins-gegen-eins gegen Diogo Costa die Vorentscheidung (90.+6.). Dies wäre fast bestraft worden: Weil aber Pepe ungestört nur neben das Tor köpfte (90.+7.), feierte Marokko die nächste Sensation.
Durch den Sieg stehen die Löwen vom Atlas als erstes afrikanisches Land überhaupt in einem WM-Halbfinale. Wie viel ihnen das bedeutete, verdeutlichten die Szenen nach dem Spiel. Einige Spieler hatten Tränen in den Augen. Tränen gab es auch auf der Gegenseite: So ließ Cristiano Ronaldo nach seinem wahrscheinlich letzten WM-Spiel im Kabinentrakt seinen Emotionen freien Lauf.
Nun trifft die Regragui-Elf am Mittwochabend im Halbfinale auf Weltmeister Frankreich (20 Uhr).