Bundesliga

Maier im Interview: "Ich muss mir selber dankbar sein"

Zum 80. Geburtstag

Maier im Interview: "Ich muss mir selber dankbar sein"

Torwart Sepp Maier setzt sich 1974 den Weltmeisterpokal auf den Kopf.

Torwart Sepp Maier setzt sich 1974 den Weltmeisterpokal auf den Kopf. IMAGO/BSR Agency

Den 9. Januar als Termin für das Interview zum 80. Geburtstag haben wir Wochen vorher vereinbart. Am Tag zuvor erreicht auch Sepp Maier die Nachricht vom Tod seines Freundes und Weggefährten Franz Beckenbauer. Verschieben möchte er das Gespräch nicht. Traurig sei er, erzählt Maier tags darauf, auch wenn er gewusst habe, wie schlecht es dem Franz ging. In seinem Wohnzimmer spricht er dann fast zwei Stunden über sein Leben, seine Karriere, seine Erfolge, aber auch über schwere Zeiten.

Denken Sie mit fast 80 Lebensjahren mehr zurück oder eher an das, was noch kommt, Herr Maier?

Natürlich mache ich Pläne, aber viel Zeit nach vorne bleibt ja nicht mehr. Ich sage immer, dass ich 100 werde, aber das sind bloß noch 20 Jahre. Irgendwann muss Schluss sein. Mein Leben war schön und erfolgreich, ich habe die ganze Welt gesehen. Ich glaube, es gibt wenige Menschen, die so gut gelebt haben wie ich. Früher habe ich mich über alles aufgeregt, jetzt nicht mehr. Nur beim Golfen ab und zu, dann sagt meine Frau, ich soll es locker nehmen.

Früher habe ich mich über alles aufgeregt, jetzt nicht mehr.

Sepp Maier

Schimmert dann noch immer der sportliche Ehrgeiz durch?

Wenn ich etwas anfange, will ich zumindest nicht negativ auffallen. Tennis habe ich super gespielt, im Fußball war ich gut. Logisch, dass ich in einem Flight beim Golf nicht hören will, der Maier Sepp war ein guter Fußballer, aber golfen kann er gar nicht.

Ihr aktuelles Handicap?

Fünf. Früher hatte ich 3,7. Das ist mir aber egal, ich lasse mich nicht mehr unter Druck setzen.

Wären Sie noch mal jung: Fußball-, Tennis- oder Golfprofi?

Es war genau richtig, wie ich es gemacht habe. Also Fußballprofi, aber ein guter. Ich kann mir bis auf meinen Autounfall nichts vorwerfen.

Sepp Maier nach dem Autounfall im Krankenhaus - hier mit seiner ersten Frau Agnes.

Sepp Maier nach dem Autounfall im Krankenhaus - hier mit seiner ersten Frau Agnes. imago/Fred Joch

Sie waren 35, als der Unfall am 14. Juli 1979 Ihre Karriere beendete. Hat er Ihre Sicht aufs Leben verändert?

Ja. Vor dem Unfall gab es fast nur Fußball in meinem Leben. Ich lebte in einem Tunnel: Erfolg, Erfolg, Erfolg. Tennis hatte ich als zweites Standbein, mit dem TC Hasenbergl war ich Anfang der 1980er Jahre viermal Deutscher Meister bei den Jungsenioren, das weiß bloß niemand. Ich dachte, das hört nie auf, mit 35 noch, mir kann nichts passieren. Die WM 1982 in Spanien war mein Ziel.

Der Unfall bei Parsdorf in der Nähe Ihrer Heimat Anzing kam dazwischen.

Der Sanitäter kam zu mir ans Auto und sagte: Aufwachen, Herr Maier! Ich antwortete: Ja ja, ist schon recht, ich muss am Samstag spielen. Nein, hat er geantwortet, da warten wir ein bisschen. Trotzdem ist es glimpflich ausgegangen, 14 Tage Krankenhaus, Reha. Ich wollte zurückkommen, bei Udo Lattek oder Dettmar Cramer hätte ich es geschafft, von Pal Csernai kam keine Unterstützung. Und auf der Bank wollte ich nicht versauern. Uli Hoeneß erinnerte mich an meine Spielunfähigkeitsversicherung und meinte: Nimm die in Anspruch, das kannst du beim FC Bayern nie mehr verdienen. Er hatte recht, also habe ich aufgehört.

Sie galten damals als rasanter Autofahrer. Wie ist Ihr Stil heute?

Ein bisserl vorsichtiger, schnell fahre ich trotzdem noch, nur nicht mehr so aggressiv. Das sieht man alle Jahre an meinen Strafzetteln (lacht). Man muss aufpassen, vier Wochen Führerscheinentzug sind schnell passiert.

Gerd Müller und Franz Beckenbauer haben ihren 80. Geburtstag nicht erlebt, Sie wirken topfit. Gibt es ein Geheimnis?

Mir bereitet das Leben Freude, das ist das A und O. Gesundheitliche Sorgen habe ich nicht, nehme nur Tabletten gegen Bluthochdruck, ganz normal im Alter. Ich stehe auf, wie ich mag, lebe in den Tag hinein. Skifahren im Winter ist mir zu gefährlich. Breche ich mir etwas, wäre die ganze Golfsaison beim Teufel, dafür spiele ich es zu gerne. Das sind vier, fünf Stunden an der frischen Luft, Bewegung, zwischen acht und zwölf Kilometer. Wenn es geht, spiele ich mit meiner Frau jeden Tag, ich bin Ehrenmitglied im Ebersberger Golfclub. Das hält fit. Dazu bin ich oft im Urlaub, wir haben eine kleine Wohnung in Südtirol. Langweilig wird mir nicht.

Der Bomber, die Katze und der Kaiser: Gerd Müller, Sepp Maier und Franz Beckenbauer.

Der Bomber, die Katze und der Kaiser: Gerd Müller, Sepp Maier und Franz Beckenbauer. imago sportfotodienst

Im Interview zur Ihrem 75. Geburtstag sagten Sie, alle Körperteile seien noch original. Auch jetzt noch?

Ja, bis auf ein paar Stifte in den Zähnen. Keine Gelenke aus Metall, Gott sei Dank. Wenn ich meine alte Kollegen anschaue, die haben alle schon Ersatzteile (lacht).

Spüren Sie Dankbarkeit mit 80?

Ich muss mir selber dankbar sein, weil für all meine Erfolge zwar auch Glück, vor allem aber viel Ehrgeiz dazugehörte. Bei Niederschlägen musste ich Charakter zeigen und wieder aufstehen. Es war nicht alles Gold, was glänzte. Nach außen habe ich immer den fröhlichen Typen gegeben. Ich habe nie aufgegeben.

Was waren das für Niederschläge?

Verletzungen, trotz meiner 442 Bundesligaspiele in Serie. Ein paar krumme Finger habe ich, meistens wieder selber eingerenkt von mir. Ich habe sie zusammengebunden und gespielt. Fausten konnte ich damit nicht, aber ich habe sowieso geschaut, dass ich den Ball fange. Von Bänderrissen oder Knochenbrüchen blieb ich dank meiner Spielweise verschont.

Das müssen Sie erklären.

Man muss ein bisserl mitdenken, ob man sich in jede Situation reinwerfen muss. Wenn man vorausschauen kann, entstehen viele gefährliche Situationen nicht. Wenn wir 4:0 geführt haben und einer kam auf mich zu, habe ich ihn das Tor schießen lassen.

Ich kann schon grantig werden, aber nicht lange.

Sie sind als Spaßvogel bekannt. Gibt es eine ernste Seite an Sepp Maier?

Doch, die gibt es. Ich kann schon grantig werden, aber nicht lange. Früher war es schlimmer, ich war sehr jähzornig, unüberlegt. Zwei Minuten später habe ich mir gedacht, das wäre doch nicht nötig gewesen.

Und der Spaßvogel? Alles spontan?

Ja, schon in der Schule hieß es immer, das war bestimmt der Maier Sepperl. Gib's zu! Ja, ich war's, kam dann meistens. Also musste ich nach dem Unterricht eine halbe Stunde länger bleiben und die Tafel putzen. In der Jugend hatten wir eine Waldläuferbande. Allerdings mit sozialem Ansatz, wir haben alten Leuten zum Beispiel beim Einkaufen geholfen. Immer mit dem Hintergedanken, Trinkgeld zu bekommen.

Wie oft werden Sie noch auf der Straße erkannt, und wie viele Leute, die Sie erkennen, sind jünger als 50?

In Südtirol werde ich oft erkannt, die Urlauber dort sind zwischen 40 und 80. Die Jungen erkennen mich aber auch, 60:40 Alte im Verhältnis.

Wie viel Autogrammpost haben Sie noch zu beantworten?

Auf dem Schreibtisch liegt ein Stapel, nachdem wir zehn Tage lang weg waren. Da sitze ich zwei Stunden dran.

Wie sieht ein perfekter Tag im Leben von Sepp Maier aus?

Er muss schön sein, damit ich etwas unternehmen kann. Golf spielen, sonst werde ich grantig (lacht), oder reisen. Als Profi habe ich nur Flughäfen, Hotels und die Stadien gesehen, jetzt schauen meine Frau und ich uns die Welt an.

Wo war es am schönsten?

Antarktis und Arktis, das war toll. Irland mag ich auch sehr gerne.

Wenn wir 0:5 verloren hatten, sind wir schnell in die Kabine und haben uns geschämt. Heute klatschen sie vor dem Fanblock.

Fallen Ihnen drei Gründe ein, warum es zu Ihrer Zeit schöner war, Fußballprofi zu sein?

Wir hatten nicht so viele Journalisten um uns rum, nur drei oder vier, denen man auch etwas erzählen konnte. Ein Vertrauensverhältnis, wie es heutzutage gar nicht mehr geht. Wir konnten uns mehr erlauben als die heutige Generation, sind nach dem Spiel in die Disco gegangen oder haben Fasching bis Aschermittwoch in der Früh gefeiert und sind danach ins Training gegangen. Wir haben nicht so viel verdient, konnten aber lockerer leben. Und der Zusammenhalt war auch größer. Wir kamen anfangs alle aus Bayern, das gibt es nicht mehr. Und die Leute waren nicht so verrückt wie heute. Sie haben sich ein Spiel angeschaut und sind heimgegangen. Wenn wir 0:5 verloren hatten, sind wir schnell in die Kabine und haben uns geschämt. Heute klatschen sie vor dem Fanblock. Machen sie es nicht, beschweren sich die Fans. Ja, wo sammer denn?

Um was beneiden Sie die heutige Profi-Generation?

Um gar nichts. Sie sollen ruhig ihr Geld bekommen, aber mir ist das alles etwas zu überdreht. Warum soll ein Spieler im Jahr 20 Millionen verdienen?

Schauen Sie noch viel Fußball?

Ins Stadion gehe ich nur selten. Ich habe zwei Ehrenkarten vom FC Bayern, aber die bekommen meine Tochter und meine Enkelin, zwei richtige Fans. Wir haben damals auch schon gut gespielt, aber Athletik, Technik und Schnelligkeit sind toll heutzutage. Als wir 1972 Europa- und 1974 Weltmeister geworden sind, habe ich mir gedacht, besser kann es nicht werden, das geht nicht. Ich habe mich geirrt. Früher hattest du mehr Platz, jetzt verengt sich das Spielfeld auf 20, 30 Meter. Was mit am meisten auffällt: Fast alle Spieler sind beidfüßig, das lernen sie schon in der Jugend. Bulle Roth hatte nur einen rechten Fuß, Overath nur den linken, Netzer nur den rechten. Andy Brehme war der Erste, der mit beiden Füßen gleich stark war.

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Was zeichnet einen exzellenten Torhüter heutzutage aus?

Er muss Fußball spielen können. Bei Flanken und Ecken kommen die Torhüter zu selten raus, bleiben auf der Linie stehen oder sogar dahinter. Bei hohen Flanken, vor allem Freistößen von rechts oder links an den Fünfmeterraum, muss der Torwart immer da sein. Du brauchst das Auge dafür. Das Blocken finde ich unmöglich, es gibt mehr Tore nach Beinschüssen denn je. Ich habe immer den Stürmer und den Ball angeschaut. Kam er in den Sechzehner, habe ich geschaut, wann er sich den Ball vorlegt. Darauf habe ich gewartet, dann habe ich mich mit den Händen draufgeschmissen. Das hat nicht immer, aber oft genug geklappt. Fange ich den Ball, habe ich alles unter Kontrolle.

Warum gibt es mittlerweile so wenige gute junge deutsche Torhüter?

(überlegt lange) Wir haben noch gute Torhüter, aber nicht mehr in der Masse. Vielleicht sind die Torhüter nichts mehr wert. Der FC Bayern hat gute in der Jugend, verleiht sie alle. Als Manuel Neuer verletzt war, mussten sie Yann Sommer kaufen. Warum nicht einem jungen vertrauen? Die jungen Torhüter versauern, weil sie nicht zum Zug kommen. Ich bin auch rangeführt worden, habe mit 18 Jahren gespielt. Natürlich war es früher auch einfacher.

Welche Torhüter waren stilprägend für ihre jeweilige Generation?

Zu meiner Zeit Lew Jaschin und Gordon Banks, Dino Zoff. Später Toni Schumacher, Oliver Kahn war super, ein Verrückter. Der Beste ist Manuel Neuer. Er liest mit, kann Fußball spielen, könnte auch im Sturm spielen. Er hat alle Voraussetzungen.

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Sie haben mal gesagt, ein normaler Mensch werde kein Torwart. Warum?

Du musst verrückt sein, dafür geboren sein. Und du musst die ganze Verantwortung auf dich nehmen können als letzter Mann, der zu 70, 80 Prozent schuld ist. Damit muss man zurechtkommen. Ich habe immer gesagt, meine Gegentore waren unhaltbar. Aber natürlich wusste ich genau, wann ich schuld war, habe es mir aber niemals anmerken lassen.

Sie gelten als einer der Pioniere bei den Torwarthandschuhen.

Nein, Petar Radenkovic von den Sechzgern war ein Pionier.

Aber ein Tüftler waren Sie?

Das stimmt. Ich habe lange ohne gespielt, danach mit Wollhandschuhen, die schön gesaugt haben bei den Lederbällen. Erst als die Plastikbälle kamen, wurden sie glatt. Bei Nässe konntest du die nicht sicher halten. Ich habe mit Frottee experimentiert, auch mit Schaumstoffmatten. Tischtennisnoppen aus Gummi habe ich in Streifen geschnitten und mit Pattex auf die Handschuhe geklebt. Das war super. Vor einem Spiel gegen Ajax Amsterdam habe ich es ausprobiert im Training, es ging gut. Im Spiel regnete es, der Handschuh war nass, die Streifen gingen bis zur Halbzeit ab. Wir haben 0:4 verloren. In der Halbzeit habe ich nachgebessert, doch bei jedem Schuss gingen die Streifen ab, ich war total verunsichert. Danach wurde der Schaumgummi in der Innenhand erfunden. Die Handschuhe sind vom Prinzip bis heute so wie die, die ich beim WM-Gewinn 1974 getragen habe, nur mit besserer Qualität.

Wann trugen Sie erstmals welche?

Wir spielten 1971 im Europapokal der Pokalsieger in Liverpool, 0:0 auswärts, 3:1 daheim. Ray Clemence von Liverpool habe ich gefragt, wo es seine Handschuhe gibt. Er nannte mir ein Sportgeschäft in Liverpool, dort habe ich mir fünf Paar gekauft. Ich habe sie bezahlt, nicht der Verein.

Sind Sie handwerklich begabt?

Ja, ich habe Maschinenschlosser gelernt, kann mir schon überall helfen. Ich mache so lange rum, bis es wieder geht oder ganz kaputt ist (lacht).

Die "Katze von Anzing" in der eigenen Halle.

Die "Katze von Anzing" in der eigenen Halle. imago images/Sven Simon

Sie waren einer der ersten Torwarttrainer.

Ich habe beim FC Bayern angefangen, als Jean-Marie Pfaff 1982 kam. Er rief mich an und fragte, ob ich Lust hätte, ihn zu trainieren. Er holte sich die Erlaubnis von Uli Hoeneß. Jean-Marie ging hoch zu Frau Pothoff, der damaligen Sekretärin von Hoeneß, und sagte, ich bekäme Benzingeld. Am Ende des Monats habe ich ihr immer meine Tankzettel vorbeigebracht.

1994 übernahmen Sie Oliver Kahn, von da an mit festem Vertrag.

Uli Hoeneß ließ mich zu sich kommen und sagte: Ich habe einen Torwart gekauft, Oliver Kahn aus Karlsruhe. Das ist ein Edelstein, schleif' ihn du zum Diamanten. Ab jetzt bist du Angestellter beim FC Bayern. Nix mehr Charivari und kommen, wann du willst, feste Pflichten.

Parallel zur Nationalmannschaft.

Franz Beckenbauer rief mich an, wollte mich für die EM 1988. Damals hatten nur die Italiener mit Dino Zoff einen Torwarttrainer. Ich habe überlegt und gedacht: Passt, bin ich wieder mit jungen Leuten beisammen, gefällt mir. Bis 2004 bin ich geblieben.

Was muss ein Torwarttrainer können?

Er sollte Torwart gewesen sein. Die technischen Sachen kann man nicht aus dem Buch lernen. Zu meiner aktiven Zeit war Torwarttraining eine Qual, da hat dich der Assistenztrainer zehn Minuten lang fix und fertig gemacht. Mein Ansatz war: volle Konzentration, lieber nur fünf- bis zehnmal, dafür Pausen. Es darf nicht stupide sein, muss Spaß machen, du darfst die Belastung nicht spüren. Im Bus bei der Nationalmannschaft habe ich Notizen gemacht, Übungen und Namen dazu. Am Ende hatte ich 145 Übungen, alle selber ausgedacht.

Wer hat Ihnen den Spitznamen "Katze von Anzing" verpasst?

Wir hatten den Adler von Giesing, Werner Olk, unser Rechtsverteidiger und Kapitän. Franz war der Kaiser, Bulle Roth der Bulle, Gerd der Bomber, jeder hatte seinen Namen.

Mein Rekord wird nie gebrochen. Das sind ja 13 Jahre durchgespielt.

Zwischen 1966 und 1979 absolvierten Sie 442 Bundesligaspiele in Serie. Ein Rekord für die Ewigkeit?

Der wird nie gebrochen. Das sind ja 13 Jahre durchgespielt.

Dafür kann Thomas Müller Sie noch in dieser Saison als Bayern-Spieler mit den meisten Pflichtspielen ablösen.

Er wäre ein würdiger Nachfolger. Aber eines muss ich sagen: Er hat nicht durchgespielt, ich schon. Bei den Minuten holt er mich nicht ein.

Was ist das Vermächtnis Ihrer Generation für den FC Bayern?

Irgendwann muss der Anfang sein. Wir hatten vor 60 Jahren das Glück, eine junge Mannschaft aus der eigenen Jugend zu haben, sind zusammengewachsen. Wir durften reifen, zehn, elf Leute, die immer gespielt haben. Es entstand eine Einheit, Zusammenhalt und Kameradschaft. Das Geld war nicht wichtig, Fußball und Erfolg umso mehr. Wir waren der Anfang dieser Erfolgsgeschichte, ab 1965 ging es immer aufwärts.

Was war Ihr größter sportlicher Erfolg?

Dreimal als Torhüter Fußballer des Jahres geworden zu sein. Neuer und Kahn waren es zweimal. Und von acht Weltmeisterschaften, bei denen Deutschland im Endspiel stand, war ich viermal dabei, zweimal als Spieler, zweimal als Trainer. Major-Sieger im Golf bin ich leider nicht geworden.

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Der WM-Gewinn 1974 jährt sich zum 50. Mal. Wie schauen Sie rückblickend auf diesen Titel?

Mich wundert es, dass wir mit all den Schwierigkeiten Weltmeister geworden sind. Aber wir haben uns zusammengerissen. Das würde die heutige Generation nie schaffen. Das hat man in Katar gesehen. Wir haben den Kampf um die Prämie selbst in die Hand genommen, uns nach dem 0:1 gegen die DDR bei Bier, Schnaps und Wein bis 6 Uhr morgens zusammengerauft. Gott sei Dank haben wir da verloren, danach ging es richtig zur Sache, ohne Trainer Helmut Schön. Da entstand eine Mannschaft. Wir waren vier Wochen in Malente eingesperrt, zu RAF-Zeiten von der Polizei bewacht. Aber natürlich sind wir ab und zu abgehauen.

1979 nannte Sie Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker einen Gewerkschaftsboss. Lob oder Beschimpfung?

Zweiteres. Er sagte: Sie Gewerkschaftsboss, von Ihnen lasse ich mir nicht vorschreiben, was ich zu tun habe. Ich antwortete: Das werden Sie schon sehen. Wir kommen zum Training, trainieren aber nicht. Am Montag darauf kam er in die Kabine, verkündete seinen Rücktritt, auf Wiedersehen.

Sepp Maier: Die Karriere der Torwartlegende

Sie verhinderten Max Merkel als Trainer.

Das stimmt nicht. Es ging nicht um den Trainer, sondern um das Versprechen, das uns Neudecker gegeben hatte. Er wollte aus den nächsten beiden Partien drei Punkte, damit der Trainer bleibt. Im ersten spielten wir 0:0 in Braunschweig, danach ging es nach Gladbach. Nach Braunschweig verkündete er aber, dass ein neuer Trainer kommt, brach sein Versprechen. Wir gewannen 7:1 in Gladbach, Pal Csernai blieb Trainer, aber Neudecker war kein Präsident mehr.

Und Merkel?

Den traf ich beim Golfen in Pfaffing und fragte, ob er böse sei, ich hätte nicht gewusst, dass er Trainer werden sollte. Merkel sagte: Sepp, ich bin dir so dankbar. Ich war zwei Jahre Trainer beim FC Bayern, war nie an der Säbener Straße und habe trotzdem meine 20.000 Mark im Monat kassiert. Er hatte schon unterschrieben und bekam das Geld für nichts.

Mit wem würden Sie noch mal gerne ein Bier trinken?

Mit dem Franz und dem Gerd.

Mit dem "Kaiser" zum Titel: Die legendäre Finalmannschaft von 1974

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Schuldet Ihnen jemand eine Entschuldigung?

Ja, der Klinsmann. Für mein Aus beim DFB hat er sich bis heute nicht entschuldigt. Aber wir haben es erledigt, wir reden miteinander, alles gut.

Schulden Sie jemandem eine Entschuldigung?

Nein.

Sie sind ein Weltkriegskind, das den Wiederaufbau Deutschlands erlebt hat. Macht Ihnen Angst, wohin sich Deutschland entwickelt?

Ja, es ist eine schwierige Zeit. Die Leute werden nicht gescheiter. Es hat so viele Kriege gegeben. Ein Krieg zerstört alles, bringt nur Elend. Ich glaube, es wird noch schlimmer, es gibt keinen Mittelweg mehr, nur schwarz oder weiß. Die Welt ist verrückt.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Nein.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Nein. Aber der hat Zeit, so schnell gebe ich nicht auf.

Interview: Frank Linkesch

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Legenden & Idole: Sepp Maier.

Legenden & Idole: Sepp Maier. kicker