Bundesliga

Lewandowski im Interview: "Ich wollte immer der moderne, komplette Stürmer sein"

Weltfußballer will weiter liefern - und noch besser werden

Lewandowski im Interview: "Ich wollte immer der moderne, komplette Stürmer sein"

Kommt aus dem Strahlen kaum noch raus: Golden-Shoe-Gewinner Robert Lewandowski.

Kommt aus dem Strahlen kaum noch raus: Golden-Shoe-Gewinner Robert Lewandowski. picture alliance, imago images (2)

Robert Lewandowski vernahm größtes und in jeder Facette verdientes Lob anlässlich der Gala, die in der Erlebniswelt des FC Bayern lief und in alle Welt ausgestrahlt wurde. Nachdem ihm kicker-Chefredakteur Jörg Jakob den Goldenen Schuh überreicht hatte, musste der Super-Torjäger viele Fragen beantworten, erst auf der Bühne, anschließend den internationalen Medien. Im exklusiven Interview für den kicker und die ESM-Partner erklärt Lewandowski, was er tut, um zu bleiben, was er geworden ist: der aktuelle Topspieler weltweit. Er spricht über Gerd Müller, Marco van Basten, Lionel Messi, Cristiano Ronaldo sowie die Herausforderer der Zukunft wie Dortmunds Erling Haaland.

Herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des Goldenen Schuhs, Herr Lewandowski. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Sie bedeutet mir extrem viel. Ich bin sehr zufrieden und stolz, dass ich diesen ersten Platz erreicht habe, obwohl wir in der Bundesliga vier Spiele weniger haben als die Ligen in England, Spanien, Italien oder Frankreich und ich verletzungsbedingt außerdem lediglich 29 Partien in der vergangenen Saison mitmachen konnte. Deshalb waren diese 41 Tore schon außergewöhnlich - und sie sind gleichzeitig auch ein Verdienst der Mannschaft. Dieser Goldene Schuh gehört dem gesamten Team.

Re-Live: Lewandowski erhält den Golden Shoe 2021

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In der Liste der Spieler, die den Goldenen Schuh bekamen, stehen große Namen der Fußballgeschichte: Eusebio, Gerd Müller, Marco van Basten, Hristo Stoichkov, der Brasilianer Ronaldo, natürlich Cristiano Ronaldo und Lionel Messi. Was macht es mit Ihnen, in dieser Reihe zu stehen?

In letzter Zeit habe ich oft gezeigt, dass man mit meiner Spielweise und Leistung viel erreichen kann. Es ist eine große Ehre, in einer Reihe mit so großen Namen zu stehen. Ich wusste immer, dass ich über 30 Treffer erzielen musste, um an diesen Preis überhaupt denken zu dürfen.

Welchem Stürmertyp unter den großen Vorgängern ähneln Sie am meisten?

Ach ... (überlegt)

Wenn ich mich mit einem früheren Stürmer vergleichen soll, dann mit Marco van Basten.

Robert Lewandowski

Wie wäre es mit dem Vorschlag Marco van Basten?

Einige Ex-Profis haben mir schon des Öfteren gesagt, dass Vergleiche zwischen einzelnen Spielern schwierig seien, ich aber van Basten ähnele. Im Bewegungsablauf und Laufstil ist es ein bisschen so. Van Basten war ein großartiger Stürmer. Wenn ich mich mit einem früheren Stürmer vergleichen soll, ja, dann mit Marco van Basten.

Und van Basten hat wie Sie hinten bei Eckstößen die Bälle aus dem Fünfmeterraum geköpft ...

(lacht) Ja. Im modernen Fußball muss man das für die Mannschaft tun. Und ich will kein Stürmer sein, der nur vorne wartet; ich will mich in jedes System problemlos integrieren können.

Hatten Sie in Ihrer Jugend ein Vorbild?

Die Zeit, in der diese großen Namen wie Eusebio, Gerd Müller oder van Basten ihre Geschichte geschrieben haben, liegt für mich schon zu lange zurück. Der Franzose Thierry Henry gefiel mir sehr mit seiner Spielweise, seinen Laufwegen, seiner Technik und Präzision im Abschluss. Spiele von ihm habe ich oft angeschaut.

Henry gewann den Goldenen Schuh zweimal, 2003/04 mit 30 und im Jahr danach mit 25 Treffern für den FC Arsenal. Sie haben diese Quote weit übertroffen.

Henrys Anzahl kenne ich nicht, aber die 41 Tore belegen, wie großartig diese vergangene Saison nicht nur für mich, sondern für den gesamten FC Bayern war.

Man kann nicht in jedem Jahr an einen solchen Rekord denken.

Robert Lewandowski

Was ist für Sie wichtiger: dass Sie Gerd Müllers lange für ewig gehaltenen Rekord aus der Spielzeit 1971/72 um einen Treffer verbessert haben? Oder dass Sie damit bester Torschütze Europas wurden?

Die Bestmarke von 40 Treffern bestand fast 50 Jahre. Und die lange Zeitdauer beweist, wie großartig diese Leistung von Gerd Müller war. Es war auch für ihn seinerzeit extrem schwierig, und für mich stellte es jetzt ebenfalls eine riesige Herausforderung dar, diese Anzahl zu verbessern. Man kann nicht in jedem Jahr an einen solchen Rekord denken. Und das eine hängt mit dem anderen zusammen: Der Rekord ermöglichte den Gol-
denen Schuh, den ein Spieler in jedem Jahr gewinnen kann. Aber auf diesen Rekord musste man fast 50 Jahre warten. Deshalb ist er sehr bedeutend.

Lewandowskis Vorgänger: Alle Gewinner des Goldenen Schuhs seit 1997

Sie haben mit diesen 41 Toren Lionel Messi, der es auf 30 Tore für Barcelona brachte, und Cristiano Ronaldo, der für Juventus Turin 29-mal traf, als die ersten Verfolger aus den großen Ligen deutlich hinter sich gelassen. Ist es für Sie besonders wertvoll, diese zwei Größen des vergangenen Jahrzehnts mit elf beziehungsweise zwölf Toren distanziert zu haben?

Es macht einen schon stolz, denn vor beiden habe ich allergrößten Respekt. Cristiano Ronaldo und Lionel Messi haben sehr viel für den Fußball getan und tun es weiterhin, sie sind große Spieler.

Sie sagten immer wieder, dass der Goldene Schuh für Sie nicht möglich sei, weil die Bundesliga nur 34 Spieltage habe. Wie haben Sie es nun trotzdem geschafft?

Nachdem ich vier Spiele wegen meiner Verletzung am Knie gefehlt hatte, wusste ich, dass ich es nur dann schaffen konnte, wenn ich in einer Partie drei Tore schießen würde.

Gegen Borussia Mönchengladbach am 32. Spieltag gelangen Ihnen drei Treffer, Sie standen bei 39 …

Und da wusste ich, dass ich jetzt die große Chance hatte, diesen Bundesliga-Rekord zu knacken und dazu den Goldenen Schuh zu bekommen. Aber es war keine einfache Situation. Ich spürte, welche Bedeutung dieser Rekord in der deutschen Öffentlichkeit hatte. Es wurde eine unheimliche Herausforderung für mich, die mich mental gepusht hat. Ich sagte mir, dass nun alles an mir lag: Ich war so nah dran, ich stand nur noch einen Schritt vor dieser legendären Marke.

War der Druck positiv, weil Sie es schaffen konnten? Oder negativ, weil Sie nervös werden konnten?

Beide Facetten waren positiv. Klar, ich war nervös, weil ich wusste, welche Geschichte hinter diesem Rekord von 40 Toren stand. Ich habe daraus viel gelernt, weil es schon ein extrem hoher Druck ist, wenn alle in den letzten beiden Saisonspielen auf dich schauen. Du bist so nah an diesem Rekord,
aber auch so weit entfernt davon.

Ich muss nicht wieder liefern. Ich kann wieder liefern …

Robert Lewandowski

Sie haben es geschafft. Sind Sie damit in dieser Saison lockerer? Oder ist der Druck noch größer, weil von Ihnen erwartet wird, dass Sie wieder liefern müssen?

Ich muss nicht wieder liefern. Ich kann wieder liefern …

Sie wollen wieder liefern?

Genau. Das ist der große Unterschied. Aber ich habe nie in meinem Kopf, dass ich einen Rekord aufstellen möchte, genieße es aber selbstverständlich, wenn ich einen erreicht habe. Davor mache ich mir aber nie zu viele Gedanken darüber.

Die Fußballer des Jahres seit 1960

Als Sie 2020 zum ersten Mal zu Deutschlands Fußballer des Jahres gewählt wurden, sagten Sie, damals 32-jährig, im kicker-Interview, Sie fühlten sich besser als mit 26 Jahren. Fühlen Sie sich heute wie 20, 22 oder 25?

Wie 25.

Zuallererst muss die Mannschaft gewinnen, dann kann ich an meine Tore denken.

Robert Lewandowski

Sie sagten damals auch, 25 Lewandowski-Tore pro Saison würden als normal gelten. In den vergangenen vier Jahren, als Sie jeweils die kicker-Torjägerkanone gewannen, waren es im Schnitt 31,5 Treffer. Welche Erwartung ist heute normal für den Torjäger Lewandowski? In jedem Fall mehr als 30?

Die Frage ist, wie man Erwartung definiert. Bei einem Torjäger steht in der Öffentlichkeit immer die Torquote an erster Stelle. Für mich aber ist das wichtigste Thema, dass die Mannschaft auf dem 1. Platz steht. Und je besser die Mannschaft spielt, desto mehr Treffer kann ich erzielen. Das ist also immer ein Zusammenspiel, und daraus entsteht ein Synergieeffekt. Für eine Mannschaft ohne Stürmer ist es schwieriger zu spielen, aber ein Stürmer kann ohne Mannschaft gar nicht spielen. Beides muss zusammenpassen. Ich habe zwar meine Tore im Kopf, aber nicht nur. Zuallererst muss die Mannschaft gewinnen, dann kann ich an meine Tore denken.

Sie haben sich entwickelt, mehr hin zum Mannschaftsspieler. Wie kam es dazu?

Ich habe mich mit meinem gesamten Spiel beschäftigt. Meine Trefferquote wollte ich erhalten, aber meine Spielweise verbessern. Ich begriff, dass ich mich auch am Aufbau und den Kombinationen beteiligen konnte, und wollte nicht nur auf die Vorlagen warten. Es kann auch ein anderer die Tore schießen. Entscheidend ist, dass ich mithelfe, dass wir gewinnen.

Stürmt zurzeit der kompletteste Lewandowski, den es je gab?

Der kompletteste Lewandowski … (überlegt)

Sie schießen Tore am laufenden Band, lassen sich ins Mittelfeld fallen, schaffen Räume, geben Assists und helfen hinten aus …

… ja, der kompletteste Lewandowski, kann man schon sagen. Ich wollte immer der moderne, komplette Stürmer sein. Für mich ist es kein Problem, in verschiedenen Systemen und Spielstilen zu spielen. Ich wollte überall stark sein, mit dem rechten Fuß, dem linken, im Kopfball. Und beim FC Bayern hast du wenig Platz, da musst du dir die freien Räume suchen. Das ist ganz anders, als wenn deine Mannschaft mehr über Konter angreift. Ich wollte ein Stürmer sein, der alle Varianten beherrscht.

Es fällt auf, dass Sie immer im Voll-spurt in den Strafraum starten, wenn der FC Bayern aus der Tiefe kommt, und Sie sich im Rücken der Abwehrspieler wegstehlen.

Ja, aber es macht einen großen Unterschied, ob ich 20, 30 Meter spurten muss oder 50, 60 Meter oder von Box zu Box. Mehr Raum habe ich nur, wenn ich aus der zweiten Reihe komme und ein Mitspieler meinen Platz vorne einnimmt.

Sicher, ich könnte sagen, ich bin gut genug und kann mein Niveau halten. Aber so denke ich nicht. Ich suche immer nach Verbesserungen in meinem Spiel, und wenn es mir nur hilft, einfacher zu spielen.

Robert Lewandowski

Sie sagten im kicker-Interview, Sie wollten sich immer verbessern. Müssen Sie diesen Anspruch haben, um dieses höchste Niveau zu halten? Oder können Sie sich tatsächlich noch verbessern?

Wichtig ist, dass ich weiter die Bereitschaft habe, mich zu verbessern. Es ist nicht einfach, auf Jahre Topniveau zu bewahren. Darin besteht die größte Herausforderung für Spitzenspieler. Junge Spieler sind dazu nicht immer bereit, diesen Willen aufzubringen. Um diese Einsicht zu bekommen, brauchst du Erfahrung. Mit 30 Jahren denkst du anders als mit 20, das ist normal. Ich weiß, dass es sich nur positiv auswirkt, wenn ich am Detail arbeite. Sicher, ich könnte sagen, ich bin gut genug und kann mein Niveau halten. Aber so denke ich nicht. Ich suche immer nach Verbesserungen in meinem Spiel, und wenn es mir nur hilft, einfacher zu spielen.

Wird man schlechter, wenn man nicht ständig besser werden will und man mit seinem Leistungsstand zufrieden ist?

Ja, gut möglich. Die Frage ist, wie lange ich meine Topleistung halten kann und auf welche Weise.

Was können Sie konkret noch verbessern?

Im Fußball ist die Kleinigkeit wichtig, sie macht den Unterschied.

Für den Torschuss braucht es "das gewisse Extra"

Welche Kleinigkeit zum Beispiel?

Ich hatte früher keine Chance, Tore aus der Distanz zu erzielen, weil ich mich meistens im Strafraum bewegte. Außerhalb des Sechzehners gab es vielleicht in fünf Spielen einen oder zwei Abschlüsse von mir. Also habe ich mich im Training darauf konzentriert, häufiger aus der Ferne abzuschließen, um einen Automatismus für das Spiel zu bekommen, um da schneller, direkter und in absoluter Sicherheit handeln zu können. Quer- oder Diagonalpässe kann man nachts um drei Uhr schlagen, wenn man erst fünf Minuten vorher aufgestanden ist. Aber der Torschuss ist die schwierigste Aufgabe für den Stürmer, dazu braucht es das gewisse Extra im Kopf.

Es heißt, Stürmer seien sensibel. Plagen selbst Sie manchmal Selbstzweifel?

Ich hatte auch Tage, an denen es nicht gut lief, habe aber versucht, das zu drehen.

Was haben Sie da getan?

Auch wenn du kein gutes Gefühl hast, musst du mental von dir fordern, dass du noch deine Qualität zeigst. Obwohl in deinem Kopf alles zäher abgeht oder du auf dem Platz langsamer läufst, musst du deine Leistung bringen wollen. Das ist das Schwierigste für einen Stürmer, das musste ich erst lernen. An schwierigen Tagen sagte ich mir, dass es nicht nur an meinen Beinen lag, sondern an meinem Kopf. Ich habe da an mir gearbeitet.

Machen Sie etwas Spezielles, um Ihre Psyche zu stärken?

Nein, keine spezielle Sache. Es ist ein Prozess über Jahre. Jeder Spieler muss da seinen speziellen Weg finden.

Können Sie realistisch erklären, warum es für Sie so gut läuft? Oder fühlen Sie sich manchmal wie in einem schönen Traum?

Mein Potenzial war immer vorhanden. Und ich wusste seit Jahren, was ich tun musste, um es aus mir herauszuholen. Ich weiß heute, wie ich im Training arbeiten muss. Deshalb ist meine physische Verfassung jetzt besser als mit 25, 26 oder 28 Jahren. Mein körperliches Fundament ist gelegt, die Zahl beim Alter spielt keine Rolle. Mit 22 Jahren habe ich meine Ernährung umgestellt, um ein paar Jahre länger spielen zu können. Damals wusste ich nicht, ob mir das helfen würde, habe es aber durchgezogen - und es zahlte sich aus. Alles, was ich damals angefangen habe, bringt heute Erfolg.

Wie lange können Sie diese Superserie und Superform noch konservieren?

Das ist schwierig. Aber wenn eine Serie endet, kann man immer wieder eine neue starten. Allerdings gehe ich nicht in die Spiele und denke an irgendwelche Serien oder Rekorde. Ich will auf dem Platz Spaß mit dem Ball haben und gewinnen. Solange ich diese Siegermentalität habe, diese Lust, kann ich nur profitieren.

Als Cristiano Ronaldo Millionen kostete, hatte er schon seine Klasse und seinen Wert nachgewiesen.

Robert Lewandowski

Was macht der 33-jährige Lewandowski als Torjäger anders als der 25-jährige, der 2013/14 mit 20 Treffern Bundesliga-Torschützenkönig wurde?

Vieles ist anders. Das Erste ist die Mentalität, das Zweite die Qualität. Und die ergänzt sich heute perfekt mit meiner Erfahrung. Wenn du früh auf Topniveau angefangen hast, ist es auf lange Sicht schwieriger, diesen höchsten Leistungsstand zu halten, weil dir die Erfahrung fehlt. Ich erinnere mich an meine Jugendzeit, wie schwierig es ist, alle Einflüsse von außen fernzuhalten, Medien, Social Media. Es ist ein langer Weg, bis man die nötige Erfahrung hat. Und dann kosten junge Spieler heute allein schon wegen ihres Potenzials viel Geld, obwohl sie oft noch keinen echten Erfolg hatten. Schuld sind aber nicht die jungen Spieler, sondern es ist ein Problem des Fußballs, des Weges, den er eingeschlagen hat. Als Cristiano Ronaldo Millionen kostete, hatte er schon seine Klasse und seinen Wert nachgewiesen.

Ist Routine für einen Mittelstürmer wichtiger als die jugendliche Kraft und Power?

Es gibt sicher Spielsituationen, in denen Erfahrung, Fantasie hilfreicher sind als die Kraft. Die beste Lösung ist, klar, Power und Routine zu haben.

Welche Eigenschaften braucht ein typischer Mittelstürmer in jedem Fall?

Er muss das gewisse Extra haben. Aber was das genau ist … (überlegt, zögert)

… können Sie nicht verraten, weil es dann jeder macht?

Nein, das nicht. Und es kann sowieso nicht jeder Stürmer sein. Ein Stürmer muss dieses Besondere haben, man kann es nicht lernen.

Gelang Ihnen Ihr erstes Tor zum Start der Champions League 2021/22 in Barcelona, als Sie einen Abpraller vom Pfosten aus sechs Metern verwandelt haben, wegen Ihres Torriechers, Ihrer Erfahrung oder des Besonderen, das Sie haben?

Ich stand einfach gut und habe schnell reagiert. Es war mehr Reaktion als das Gefühl eines Stürmers. Dieses Gefühl zeigt sich dann, wenn du läufst und in der Sekunde oder zwei Sekunden davor weißt, wohin der Ball kommen wird, die Flanke, der Pass. Oder wenn du bei einem Abstoß losrennst, dann aber die Richtung änderst, weil du darauf spekulierst, wo der Ball gleich landen wird.

Gerd Müller war berühmt für seinen Torinstinkt. Gibt es eine Fähigkeit, die Sie beide verbindet?

Wir sind komplett andere Typen. Er war körperlich kompakt, nicht allzu groß gewachsen, hatte muskulöse Beine, wie ich auf Bildern gesehen habe. Gerd war ein typischer Strafraumstürmer, mit schnellen Reaktionen. Ich bin groß, athletisch. Was uns verbindet: Wie er bis zum Spielende an sein Tor glaubte, so tue ich es auch. Und der wichtigste Raum für unsere Tore liegt zwischen Torlinie und Elfmeterpunkt.

Welche Qualität ist Ihre wichtigste?

Einfach zu lesen, was auf dem Feld passiert oder was bald passieren wird.

Welcher Stürmer gefällt Ihnen heutzutage sonst?

Eigentlich konzentriere ich mich auf mich. Und es gibt so viele Superstürmer. Erling Haaland in der Bundesliga hat großes Potenzial, große Lust, er ist sehr hungrig auf Tore und will immer mehr. In England gibt es Harry Kane. Karim Benzema von Real Madrid ist noch immer in Topform, als Torjäger und mit seiner Spielweise. Romelu Lukaku von Chelsea zeichnet eine unheimliche Kraft aus.

Ich denke nicht darüber nach, was ich gewonnen habe, sondern was ich noch gewinnen kann.

Robert Lewandowski

Sie haben als Mittelstürmer im Verein alles gewonnen, haben Rekorde am laufenden Band aufgestellt, sind Weltfußballer und nun auch bester Torschütze in Europa. Was soll jetzt noch kommen?

Ich denke nicht darüber nach, was ich gewonnen habe, sondern was ich noch gewinnen kann. Das Neue findet sich in dem, was noch passieren kann. Eine neue Saison bedeutet eine neue Hoffnung und, so hoffe ich, neuen Erfolg.

Hat es Sie enttäuscht, dass Sie Ihren Titel als Europas Fußballer des Jahres 2020 nicht verteidigen konnten?

Ich glaube, dass für diese Wahl das Abschneiden deiner Mannschaft in der Champions League wesentlich ist. Die drei Kandidaten 2021 standen alle im Finale.

Sie haben gleich zum Auftakt der neuen Champions-League-Saison mit den zwei Toren in Barcelona die passende Antwort auf dieses Ranking gegeben. War das auch eine gute Bewerbung für die Wahl zum FIFA-Weltfußballer und Ballon d’Or?

Ich muss einfach weiter meine Topform zeigen. Die Saison läuft noch, es warten viele wichtige Spiele.

Sind Treffer wie gegen Barcelona oder überhaupt in der Champions League für Sie wertvoller als in der Bundesliga gegen eine Durchschnittsmannschaft wie Bochum?

Jedes Tor ist wichtig. Außerhalb Deutschlands wird das eine oder andere vielleicht mehr registriert. Außerdem sind Tore in der Bundesliga häufiger als in der Champions League.

Sie haben in der Bundesliga 2021/22 nach fünf Spielen schon wieder sieben Tore erzielt, 1,4 pro Partie. Macht hochgerechnet auf 34 Spieltage 47,6 Tore. Messi gelangen 2011/12 für Barcelona 50 Tore, Cristiano Ronaldo 2014/15 für Real Madrid 48. Haben Sie da noch einen Auftrag zu erledigen?

An eine solche Quote denke ich nicht, ich stelle auch keine Hochrechnungen an. Und es ist jetzt noch alles zu früh und die Saison noch lang.

Welche Ziele haben Sie insgesamt noch als Einzelspieler, mit dem Klub und der Nationalmannschaft Polens?

Beim FC Bayern sind die Ziele immer die höchsten. Und mit der polnischen Nationalmannschaft wäre es das Schönste, bei der WM 2022 zu spielen. Das Potenzial dazu haben wir, und werden alles tun, um dabei zu sein.

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