Bundesliga

Erwin Kostedde wird 75: "Suche die Schuld nicht bei meiner Hautfarbe"

Der erste schwarze deutsche Nationalspieler wird 75 Jahre alt

Kostedde: "Ich suche die Schuld nicht bei meiner Hautfarbe"

Erwin Kostedde 1976 beim Spiel der Dortmunder Borussia in Bochum.

Erwin Kostedde 1976 beim Spiel der Dortmunder Borussia in Bochum. imago images

Es ist eine Art Comeback von Erwin Kostedde. So gefragt wie jetzt war er lange nicht mehr. Viele wollen jetzt was von ihm. Rassismus in Deutschland, Rassismus im Fußball, und fast schon so nebenbei die Frage: Wie geht es ihm überhaupt?

Preußen Münster als Sprungbrett - DFB-Debüt auf besserem Bolzplatz

Am 21. Mai wird der erste schwarze deutsche Fußballnationalspieler 75 Jahre alt. Er feiert still und leise, praktisch allein, Ehefrau Monika ist vor zwei Jahren nach langem Leidensweg gestorben. Mit seinem Jimmy dreht er täglich seine Runden im Wohnort Everswinkel, der kleine Terrier hält ihn auf Trab. Die Dichte an Stürmern ist in dem Ort im Osten von Münster bemerkenswert: Auch Ex-Nationalspieler und Dortmund-Profi Frank Mill lebt hier. Fast in der Nachbarschaft wohnt Joel Grodowski, ein 23 Jahre alter Angreifer mit Ambitionen. Das fühlt sich fast wie ein Flashback an. Kostedde und Grodowski haben Preußen Münster als Sprungbrett gefunden auf dem Weg nach oben. Es liegen "nur" fast 52 Jahre zwischen ihnen.

Und auch schon fast 47 Jahre liegt Kosteddes Debüt in der Nationalelf nun zurück, der erste schwarze deutsche Nationalspieler. Damals, in Valletta, als er an der Seite von Berti Vogts und Franz Beckenbauer auf einer Art besserem Bolzplatz mit Tribünen beim 1:0-Sieg über Malta debütierte. Zwei Tage vor Weihnachten 1974 wähnte er sich am Ziel seiner Träume.

Wembley wird zum Albtraum

Sehnsuchtsort Nationalelf, das Trikot mit dem Adler auf der Brust. Kostedde stand in seiner vierten Spielzeit bei Kickers Offenbach im Zenit seiner Karriere. Die Weltmeister-Elf von München war Geschichte, Gerd Müller abgetreten, ein neuer Torjäger wurde gesucht. Wobei Bundestrainer Helmut Schön ihn, den Offenbacher Kostedde, eher ignorierte, während Co-Trainer Jupp Derwall etwas in diesem Spielertypen sah. Derwall nominierte das Malta-Aufgebot für den erkrankten Schön, vielleicht war das in diesem Fall Kosteddes Glück. Als er im zweiten Länderspieleinsatz in Wembley auflief, sagte er im Vorfeld fast prophetisch: "Dieses Spiel entscheidet über meinen weiteren Weg." Als deutsche Fans diesen Nationalspieler am Hotel rassistisch angehen, bricht für Kostedde eine Welt zusammen. Die Auswechslung nach 70 Minuten trifft ihn ins Mark. Aber: "So wie ich gespielt habe ..." Wembley wird zum Albtraum.

Dieses Spiel entscheidet über meinen weiteren Weg.

Erwin Kostedde

Erfolge in Lüttich - Emmerichs Nachfolger

"Ich hatte ja auch ein Angebot, für Belgien spielen zu können. Aber ich wollte immer nur für Deutschland auflaufen", blickt er zurück. In Belgien wird er bei Standard Lüttich (1968 bis 1971) zum gestandenen Profi, was nach turbulenten Jugendjahren niemand wirklich erwartet hätte. Die Flausen im Kopf, die letztlich zum Ende seines kurzen Engagements beim MSV Duisburg nach der Saison 1967/68 führten, schüttelte er ab, wird dreimal Meister und 1971 auch noch Torschützenkönig in Belgien - als Nachfolger von Lothar Emmerich.

Doch der "Schwarze Adler" wird für ihn zur Obsession. In der gleichnamigen Dokumentation, die Mitte April Premiere bei Amazon Prime hatte und am 18. Juni im ZDF gezeigt wird, ist Kostedde zentraler Bestandteil. Der gebürtige Münsteraner, im Jahr eins nach dem 2. Weltkrieg geboren, Vater unbekannt und wohl ein amerikanischer GI, ist der erste schwarze Profi im Rampenlicht der Bundesliga und der Nationalelf. Jimmy Hartwig, wie Kostedde ein sogenanntes "Brown Baby", Steffi Jones oder Gerald Asamoah erzählen von ihren Erfahrungen, geliebt von den eigenen Fans, beschimpft und verschmäht vom gegnerischen Anhang, behindert beim Emporkommen durch Trainer und Funktionäre.

Oder wie Kostedde, als er für Borussia Dortmund Mitte der 70er Jahre das Tor nicht mehr trifft, ausgepfiffen vom heimischen Publikum. Es ist dieses immer wiederkehrende Muster, Asamoah und Kostedde erzählen unabhängig voneinander: "Als Schwarzer musstest du immer besser als die anderen sein. Immer." Wenn das nicht klappte, dann war das N-Wort schnell im Gebrauch. Und dann passierte das, was der Rentner Kostedde so erzählt: "Ich habe stundenlang versucht, mir mit Kernseife die Hautfarbe abzuwaschen."

Ich habe stundenlang versucht, mir mit Kernseife die Hautfarbe abzuwaschen.

Erwin Kostedde

Feingeist am Ball

Erwin Kostedde ist in seiner 18 Spielzeiten dauernden Profikarriere ein besonderer Spieler. Eher ist er ein Feingeist, ein Galan, wenn der Ball im Spiel ist. Seine Tore sind nicht selten Kunststücke, oft ist er am besten, wenn es keine Zwänge gibt. Das ist die Methode von Fußball-Freigeistern. Es sind auch seine raren Momente von Glück, nur auf dem Fußballfeld erlebt er das, Augenblicke von Freiheit. Seine Quote mit 98 Treffern in 219 Bundesligapartien ist bemerkenswert. Mehmet Scholl und Pierre- Emerick Aubameyang haben genauso viele Treffer in der ersten Liga markiert. Spricht er von seinen wichtigsten Förderern, so fallen ihm zwei Menschen ein: Theo Gläs und Felix "Fiffi" Gerritzen. Der Polizist Gläs schenkt ihm seine ersten Fußballschuhe, die Preußen-Legende Gerritzen bringt ihm Übersteiger und Doppelpass bei.

Mit Erwin Kostedde kann man Offensivfußball zelebrieren. Hat er Spaß und Leichtigkeit, erlegt er die Gegner im Alleingang. Eintracht Frankfurt zum Beispiel, wo er von den Rängen zuvor aufs Übelste beleidigt wird, oder Bayern München mit einem Doppelpack zum Saisonstart 1974/75 - Offenbach siegt mit 6:0 über die ausgepumpten Weltmeister.

"Bruder Leichtfuß" im Schatten Gerd Müllers

Seine Schwächen im Zweikampf und bei der Laufarbeit sind sportliche Gründe, warum er nie bei einem deutschen Topklub landet. Nach der Zeit in Lüttich und bei Kickers Offenbach (bis 1975) beginnen seine Wanderjahre. Nie wird er das Bild eines "Bruder Leichtfuß" gänzlich abschütteln können. "Ich hätte", sagt er heute mit Verbitterung, "mehr aus meiner Karriere machen müssen. Trotz Gerd Müller hätten es 20 oder 30 Länderspiele werden müssen." Zu einer EM- oder WM-Teilnahme hat es nicht gereicht, damit hadert er bis heute.

Kostedde im Hertha-Dress. picture-alliance

Auch wenn Kostedde in seiner zweiten Karrierehälfte mit Stade Laval, er wird mit 21 Treffern Torschützenkönig in Frankreich 1980, und Werder Bremen, der Aufstieg in die 1. Bundesliga 1981 ist unvergessen, große Erfolge feiert - zufrieden ist er nicht. Er geht mit sich hart ins Gericht, seziert förmlich seine Laufbahn, trauert schlechten Vertragsverhandlungen und wirtschaftlichen Fehlentscheidungen nach. "Ich werde die Schuld nicht bei meiner Hautfarbe suchen. Die Fehler habe ich gemacht", blickt er zurück. In diesem Moment ist er unnachgiebig mit sich, gnadenlos direkt.

Windige Steueranlagemodelle

Alles Ersparte, alle Rücklagen verliert er mit windigen Steueranlagemodellen. Auch das Haus in Bad Oeynhausen kommt Mitte der 80er Jahre unter den Hammer. Kostedde vertraut seinem Steuerberater blindlings und steht am Ende mit leeren Händen da. Der Prozess in seiner Heimatstadt Münster, er steht unter dem Verdacht eine Spielothek überfallen und 100 Mark erbeutet zu haben, endet mit einem Freispruch. Fast ein halbes Jahr verbringt er in Untersuchungshaft, ist suizidgefährdet und landet schließlich noch in der Psychiatrie. "Ich war das nicht", lautet sein Mantra. Der Vorwurf ist aber in der Welt und wird konserviert. Und: "Kostedde der Knacki, das ist das Schlimmste, was man mir an den Kopf werfen kann." Wenn noch etwas gefehlt hat, dann das, es zieht ihm den Boden unter den Füßen weg. Seine Versuche, sich als Trainer zu etablieren, scheitern Mitte der 90er Jahre beim Bremer SV und SF Oesede. Für Erwin Kostedde bleibt da die Zeit stehen.

Alexander Heflik

Erwin Kostedde - der erste schwarze Nationalspieler
Verlag: Die Werkstatt
Erschienen am 14. Mai 2021; Preis: 19,90 Euro

Autor: Alexander Heflik (56) leitet die Sportredaktion der Westfälischen Nachrichten/Münstersche Zeitung. Seit 2016 hat er an dem Buch gearbeitet.

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