Am gestrigen Dienstag musste der DFB beim DOSB nur eine Liste mit 54 Olympia-Kandidaten einreichen, veröffentlicht wurde dabei offiziell noch kein Name. Eine ursprüngliche 50er Liste durfte der DFB wegen Absagen, Ausfällen sowie neuer Optionen ändern und erweitern. Aus diesem Pool gilt es für Joti Chatzialexiou, Sportlicher Leiter Nationalmannschaften beim DFB, und Olympia-Trainer Stefan Kuntz bis zur einer FIFA-Frist an diesem Freitag 18 Profis, davon mindestens zwei Torhüter, als offizielles Aufgebot für das olympische Fußballturnier in Japan (22. Juli bis 7. August) zu melden. Öffentlich präsentieren wollen DFB und DOSB den Kader erst am Montag.
Bis das Team endgültig steht, ist es für die DFB-Verantwortlichen mangels Abstellungsfrist weiter ein zähes Ringen in den vielen Gesprächen mit Vereinen und Spielern. "Olympia ist für viele Athleten aus anderen Sportarten ein absoluter Höhepunkt, auf den sie teilweise eine Karriere lang hinarbeiten. Auch der Fußball-Wettkampf ist aus unserer Sicht ein besonderes Turnier, ein einmaliges Erlebnis und eine große Chance für jeden Einzelnen", sagt Chatzialexiou im Gespräch mit dem kicker. Diese Sichtweise teilen offenbar nicht alle involvierten Akteure. "Schade, dass der Stellenwert bei einigen Spielern und Vereinen in Deutschland nicht so hoch ist, obwohl wir mit der Silbermedaille 2016 in Brasilien einen tollen Erfolg feiern konnten, auf den am Ende viele stolz waren", äußert Chatzialexiou Kritik.
Union Berlins Bereitschaft: "Das verdient Respekt"
Wie schon Kuntz am Dienstag in seiner Funktion als ARD-Experte verweist auch der 45-Jährige auf ein Gegenbeispiel: "Im spanischen Olympia-Kader stehen beispielsweise sechs Spieler, die aktuell bei der EM dabei sind. Auch andere Nationen können nicht auf eine Abstellungspflicht bauen, erfahren aber insgesamt mehr Unterstützung aus ihren Vereinen." Und wie läuft es hierzulande ab? "2016 sind wir damals mit Hansi Flick als DFB-Sportdirektor und Horst Hrubesch als Olympia-Trainer von Tür zu Tür gegangen und haben um jeden Spieler gekämpft. Das tun wir auch jetzt wieder", sagt Chazialexiou und betont, es gebe auch positive Beispiele: "So hat uns etwa Union Berlin sehr gut unterstützt. Obwohl der Verein in der Europa Conference League startet, handelt er im Sinne der Jungs und gibt mit Max Kruse und Cedric Teuchert gleich zwei Offensivspieler für Olympia frei. Auch Hertha unterstützt uns mit zwei Spielern. Das verdient Respekt."
Zudem zeige sich auch der FC Augsburg neben der zugesicherten Teilnahme Marco Richters kooperativ, was eine Freigabe von Innenverteidiger Felix Uduokhai angeht. Chatzialexiou: "Es heißt zurecht immer, dass unsere Spieler mit Perspektive Turniererfahrung brauchen, um sich weiterzuentwickeln. Deshalb werden wir beispielsweise um die Abstellung von Uduokhai, der schon für die A-Mannschaft nominiert wurde, und Niklas Dorsch (bei KAA Gent unter Vertrag, Anm. d. Red.), der eine überragende U-21-EM gespielt hat, bis zum Ende der Nominierungsfrist kämpfen." Die Chancen stehen dabei offenbar nicht so schlecht.
Auf der anderen Seite müssen Kuntz und Chatzialexiou den überraschenden Rückzieher von U-21-Europameister Jonathan Burkardt verkraften. Der Mainzer Angreifer will nun doch lieber im Verein bleiben, nachdem Sportvorstand Christian Heidel noch am Sonntag auf kicker-Nachfrage Burkardts Freigabe bestätigt hatte.
Problemzone Torwart
Besonders vorne ist also an der Seite von Kruse und Teuchert noch Verstärkung nötig. Und nachdem Bayern München am Montag die Freigabe für Ersatzkeeper Ron-Thorben Hoffmann verweigert hat, stehen zudem Torhüter auf der Fahndungsliste. Neben dem als Nummer 1 vorgesehenen Florian Müller (Stuttgart) soll neben einem offiziellen Back-up auch noch ein dritter Torwart direkt am 13. Juli mit dem DFB-Tross nach Japan reisen. Dieser soll als einziger einen von bis zu vier möglichen Nachrückerplätzen besetzen und vor Ort im Falle einer Verletzung sofort einsatzbereit sein. Kurzfristiger Nachschub aus Deutschland ist wegen der corona-bedingt komplizierten Einreisebedingungen nach Japan kaum zu realisieren. Kandidaten für die beiden Planstellen im Tor sind nach kicker-Informationen Bremens Luca Plogmann und Svend Brodersen, der nach auslaufendem Vertrag beim FC St. Pauli ab dem morgigen Donnerstag zunächst vereinslos sein wird.
Deutschlands Olympia-Rückhalt: Keeper Florian Müller. imago images
Alles in allem gestaltet sich der Olympia-Kader weiterhin als kompliziertes Puzzle. "Eine Erwartungshaltung, dass wir als frisch gebackener U-21-Europameister automatisch auch bei Olympia Medaillenkandidat sind, ist schwierig zu erfüllen, wenn man personell nicht aus dem Vollen schöpfen kann", sagt Chatzialexiou. "Trotzdem werden wir wieder eine gute Mannschaft haben und versuchen, das Maximale herauszuholen."
Der mögliche Olympia-Kader:
Tor: Florian Müller (Stuttgart), Luca Plogmann (Bremen), Svend Brodersen (St. Pauli, Vertrag läuft zum 30. Juni aus, einer der beiden letztgenannten als Nachrücker)
Abwehr: Benjamin Henrichs (Leipzig), Josha Vagnoman (HSV), Amos Pieper (Bielefeld), Keven Schlotterbeck (Freiburg), Felix Uduokhai (Augsburg), Jordan Torunarigha (Hertha), David Raum (Hoffenheim)
Mittelfeld: Maximilian Arnold (Wolfsburg), Arne Maier (Hertha), Anton Stach (Fürth), Niklas Dorsch (Gent), Marco Richter (Augsburg), Ismail Jakobs (Köln)
Angriff: Max Kruse, Cedric Teuchert (beide Union Berlin)
Je nach weiteren Zu- oder Absagen gibt es im Angriff mindestens noch eine offene Planstelle.
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