U 21

Stefan Kuntz: "Würde eine Aufgabe in einem Verein nicht ausschließen"

U-21-Europameistertrainer im exklusiven kicker-Interview

Kuntz: "Das würde eine Aufgabe in einem Verein nicht ausschließen"

Überglücklich nach dem Finalsieg: U-21-Coach Stefan Kuntz (Mi.).

Überglücklich nach dem Finalsieg: U-21-Coach Stefan Kuntz (Mi.). imago images

Herr Kuntz, Sie sind gerade zum zweiten Mal nach 2017 U-21-Europameister als Trainer geworden, waren als Spieler Europameister, Deutscher Meister, Pokalsieger und Torschützenkönig. Wie nachhaltig wirken die vielen Glückwünsche, die Anerkennung, die Schulterklopfer nach solchen Erfolgen?

Da hilft mir speziell die Erfahrung aus meiner Zeit als Spieler, Sportdirektor respektive Vorstandschef in Kaiserslautern. Nach dem Aufstieg 2010 und auf Anhieb Platz sieben in der Bundesliga 2011 waren es sehr viele Glückwünsche - einige Zeit später hat sich das wieder verändert. Es gibt aber Rückmeldungen und anerkennende Nachrichten, die mir viel bedeuten und mich sehr erfreuen. Ich kann Erfolg im Fußball und Reaktionen darauf gut einordnen.

Als Sie der DFB 2016 nach zwölf Jahren Pause vom Trainerjob engagierte, schlug Ihnen große Skepsis entgegen. Nun werden Sie mit Lob überschüttet. Warum sind Sie ein besserer Trainer als damals bei ihren mäßig erfolgreichen vier Vereinsengagements in Neunkirchen, beim KSC, bei Waldhof Mannheim und LR Ahlen?

Mir liegt viel an meiner eigenen Entwicklung. In meinen damals folgenden Jobs als Manager und Vorstandschef musste ich viele andere Menschen führen. Das gehört als Trainer mit dem Blick auf die Mannschaft und das Funktionsteam auch dazu. In diesem Bereich habe ich mich auch als Nicht-Trainer weiterentwickelt und bin in diesen zwölf Jahren auch einfach als Persönlichkeit gereift. Dann hatte ich einen unwahrscheinlich hohen Wissensdurst und Ehrgeiz, mich in die Trainermaterie wieder reinzuarbeiten. Meine Eigenschaft als absoluter Wettkampftyp kommt hinzu, das treibt mich auch dazu, meine Aufgaben perfekt erledigen zu wollen.

Ich bin viel sicherer im Auftreten, als ich es um die Jahrtausendwende oder in der ersten Zeit beim DFB war.

Stefan Kuntz

Von Spielern, Mitarbeitern und Beobachtern wird immer wieder ihre empathische Art hervorgehoben.

Schön, dass das andere sagen. Der Umgang mit Menschen ist mir schon immer ganz gut gelungen. Das reicht aber nicht, um ein guter Trainer zu sein. Ich konnte meine Eigenschaften als Trainer über die fünf Jahre mit großem fachlichen Wissenszuwachs durch den Austausch mit hochkompetenten Trainerkollegen beim DFB, viele Weiterbildungen an der DFB-Akademie und vor allem durch die Arbeit und die Erfahrungen mit der Mannschaft kombinieren. Deswegen gehe ich inzwischen in der Rolle als Trainer so auf, bin viel sicherer im Auftreten, als ich es um die Jahrtausendwende oder in der ersten Zeit beim DFB war.

Nachdem Jogi Löw im März seinen Rücktritt als Bundestrainer nach der nun startenden EM verkündet hatte, wurden auch Sie als potenzieller Nachfolger gehandelt. Nun ist es Hansi Flick geworden. Wie finden Sie diese Wahl?

Ich finde diese Entscheidung wirklich aus vollem Herzen total richtig. Wenn man die objektiven Fakten nimmt, seine Vergangenheit beim DFB, die fruchtbare Zusammenarbeit mit den Bayern-Spielern, die in der Nationalelf einen großen Block bilden, plus die internationalen Erfolge - dann ist der Hansi die optimale Lösung.

Haben Sie auch deshalb eine so hohe Meinung von Flick, weil er es war, der 2016 als damaliger DFB-Sportdirektor überhaupt auf die Idee kam, Sie aus der "Trainer-Versenkung" zu holen und als U-21-Chefcoach zu installieren?

Absolut. Ich bin ihm einmal für das Vertrauen sehr dankbar, das er mir entgegengebracht hat und dafür, dass er mir ein tolles Trainerteam an die Seite gestellt hat. Hansi und sein Team haben damals angefangen drei Trainertypen, einen Ex-Profi, einen Jahrgangskenner und einen Innovationsexperten, zusammen in einen Stab zu stecken. Dadurch habe ich mich dieser Möglichkeit geöffnet, mit Toni di Salvo und Daniel Niedzkowski diese Aufgabe anzugehen. Im Nachhinein muss man sagen, war es eine sehr gute Entscheidung.

Ich finde diese Entscheidung wirklich aus vollem Herzen total richtig.

Stefan Kuntz über Hansi Flick Ernennung zum Bundestrainer

Woher kannten Sie Flick vorher, nur als Gegenspieler aus der Bundesliga?

Aus diesen Begegnungen kannten wir uns, haben uns gegenseitig geschätzt und hatten dann auch im Rahmen des Austausches über Nachwuchsleistungszentren, in den Jahren als ich das des FCK verantwortet habe, miteinander zu tun. Dann kam es wie öfter mal im Leben zu einem Schlüsselmoment.

Erzählen Sie.

2016 waren wir zum 20-jährigen Jubiläum unseres EM-Titels von 1996 zur EM nach Frankreich eingeladen. Hansi war als DFB-Sportdirektor dabei. Abends saßen wir an der Bar und haben über Jugendfußball gesprochen. Weil ich bis zu meinem Abschied im April 2016 beim FCK vorhatte, das Nachwuchsleistungszentrum auszubauen, wollte ich von einem externen Experten hören, ob mein Plan grundsätzlich sinnvoll war. Irgendwann erwähnte Hansi im Nebensatz, wir suchen ja noch einen Nachfolger für den Horst Hrubesch bei der U 21. So sind wir erst mal auseinander gegangen an dem Abend.

Was passierte dann?

Am nächsten Tag war ich Joggen und dachte irgendwann, Moment, die suchen einen Nachfolger für den Horst, das wäre doch der ideale Job für dich. Also habe ich Hansi angerufen und meinte, dass mir nach unserem Gespräch gestern eine Idee gekommen ist. Hansi sagte das Gleiche (grinst). Ich musste mich dann umgehend auf den Weg nach Frankfurt machen, da die Olympia-Mannschaft nach Brasilien aufbrach. Wir haben dann besprochen, die Idee ein bisschen sacken zu lassen. In Brasilien hat es Hansi intern mit mitgereisten Vorstandsmitgliedern abgeklopft, die positive Rückmeldungen gegeben haben. Mit Abschluss des Olympia-Turniers haben wir dann die Zusammenarbeit vereinbart.

Auch wenn Sie Hansi Flick für die optimale Lösung als Bundestrainer halten, war bei Ihnen zuletzt ein wenig Unmut rauszuhören, dass das von Oliver Bierhoff anvisierte Gespräch mit Ihnen während der Nachfolgersuche nicht stattfand.

Genau, aber das sind für mich zwei unterschiedliche Dinge. Oliver hat öffentlich gesagt, dass er mit mir sprechen wird und sicherlich in Bezug auf Marcus Sorg und mich erklärt, dass der DFB auch intern gute Leute habe. Dass dann bei mir die Erwartungshaltung entsteht, dass man sich zumindest mal über die Sache austauscht, ist doch klar. Völlig unabhängig von anderen Kandidaten oder der Tatsache, dass es eine nachvollziehbare Tendenz zu Hansi geben würde, sobald er auf den Markt kommt. Das Gespräch fand nicht statt, aber inzwischen konnte ich Oliver Bierhoff zu dem Vorgang persönlich meine Meinung sagen und damit ist das Thema für mich erledigt.

Haben Sie langfristig noch Hoffnung auf den Bundestrainer-Job, oder sehen sie sich wie viele Außenstehende selbst als Idealbesetzung für die Schnittstelle U 21?

Durch den langfristigen Vertrag mit Hansi ist das Thema erst mal erledigt. Ich kann mir gut vorstellen, weiter U-21-Trainer zu bleiben, weil es großen Spaß macht. Ich könnte mir in meinem verbleibenden Arbeitsleben aber auch noch andere Dinge vorstellen.

Joti Chatzialexiou, Sportlicher Leiter Nationalmannschaft beim DFB, sagte im kicker, er gebe sich keinen Illusionen hin, ein erfolgreicher Trainer wie Sie wecke natürlich Begehrlichkeiten, Angebote könnten also reinflattern. Gibt es die schon?

Ja, aber bisher war kein Angebot dabei, das mich ernsthaft zum Nachdenken gebracht hat.

Chatzialexiou betonte gleichzeitig, er hoffe, dass Sie Ihren Job beim DFB zu schätzen wüssten. Ende Juli steht mit dem Olympischen Fußballturnier das nächste Highlight an. Werden Sie in Japan der Trainer sein?

Ja, so sieht meine aktuelle Planung aus.

Was aus den U-21-Torschützenkönigen wurde

Das schließt ja dann einen Trainerjob zur kommenden Saison in einem Verein aus, oder?

Ja, das wäre schwierig, weil eine Woche nach dem Olympia-Finale zum Beispiel schon die Bundesliga-Saison beginnt.

Als Nationaltrainer hat man wenige Phasen im Jahr, in denen man mit der Mannschaft auf dem Platz arbeitet, sonst beobachtet man, bereitet vor, bildet sich weiter, hält Kontakt mit den Spielern, hat jedoch insgesamt mehr Freiheiten, vor allem unter der Woche. Reizt Sie überhaupt nochmal ein Engagement als Cheftrainer in einem Klub, wo man jeden Tag funktionieren muss?

Ein Nationaltrainer-Job hat von der Flexibilität her sicher seine Vorteile. Das würde aber nicht ausschließen, dass ich noch einmal eine Aufgabe in einem Verein mit täglichen Herausforderungen angehen würde - wenn alle Rahmenbedingungen passen.

Welchen Stellenwert hat bei Ihnen eine aktive Teilnahme an den Olympischen Spielen?

Einen hohen, auch wenn diese Olympischen Spiele durch den Corona-Einfluss anders werden als man sie bisher kennt. In Sachen Persönlichkeitsentwicklung wird es dennoch für unsere Spieler eine sehr wichtige Erfahrung werden, weil sie andere Sportler kennenlernen, die nur selten im öffentlichen Fokus stehen und nicht so privilegiert sind, aber mit großer Hingabe und Leidenschaft ihren Sport betreiben.

Haben Sie 2016 das Finale von Horst Hrubeschs Mannschaft gesehen und werden Sie sich mit ihm nochmal austauschen?

Ja klar, ich hatte auch während der jetzigen U-21-EM immer mal wieder Kontakt mit ihm. Es gab auch schon ermutigende Signale von ihm, dass wir auf unseren U-21-Rechtsverteidiger Josha Vagnoman vom HSV bei Olympia bauen können. Ich habe auch überlegt, dass wir ehemalige Olympioniken oder Teilnehmer aus anderen Sportarten einbinden, um die Jungs ein bisschen auf die Besonderheit der Spiele einzustimmen.

Wie verliefen mit anderen Klubs die bisherigen Gespräche in Sachen Olympia-Nominierung?

Über den 50-Mann-Kader haben wir die Vereine informiert, damit sie im Bilde sind. Womöglich wollen ja auch Klubs den einen oder anderen, der auf der Liste steht, für die neue Saison verpflichten. Ich hoffe, dass der Wille, gute Kompromisse zu finden, vorhanden ist. Dann müssen wir sehen, wie die ausländischen Klubs unserer Spieler, die wir anfragen, reagieren. Auch wenn wir dort mit mehr Gegenwind rechnen, wollen wir nichts unversucht lassen.

Eine zentrale Achse wäre wünschenswert.

Stefan Kuntz über den Olympia-Kader

Spieler wie Maximilian Arnold, Jonathan Tah, Max Kruse und Lars Stindl stehen nach kicker-Informationen auf der 50er Liste. Nach welchen Kriterien wählen Sie die drei Profis aus, die älter als die regulären Jahrgänge 1997 und jünger sein dürfen?

Wir müssen schauen, welche Positionen wir mit den regulären Jahrgängen abdecken können. Wie sieht das Gerüst aus und wo besteht der größte Bedarf. Eine zentrale Achse wäre wünschenswert. Etwa im Sturm brauchen wir wohl einen erfahrenen Profi.

Sie haben Vagnoman angesprochen. Werden Sie trotz der drei U-21-EM-Spiele im Juni versuchen, einige Akteure aus Ihrem Europameister-Team auch für Olympia zu gewinnen?

Ja, klar, weil wir kaum Vorbereitungszeit haben. Wenn wir einige Jungs mitnehmen könnten, die schon eingespielt sind und unsere Automatismen verinnerlicht haben, wäre das extrem von Vorteil.

Im September startet dann der neue U-21-Zyklus. Wie schätzen Sie kommende Generation ein, aus der einige Akteure schon in den letzten Monaten dabei waren und teilweise auch Europameister wurden?

Wir werden nicht bei null anfangen, da wir einige Jungs schon kennen, die auch schon gute Auftritte in der U 21 hatten. Das lässt zumindest hoffen. Am Wichtigsten aber wird sein, dass sie Spielpraxis auf hohem Niveau in ihren Vereinen bekommen, nur so können sie sich am besten weiterentwickeln.

Werden Sie Ihren Vertrag beim DFB, der bis Ende Juli 2023 läuft und die nächste U-21-EM in Georgien und Rumänien einschließt, erfüllen?

Die Erfahrung zeigt, dass das ganz weite Vorausblicken nicht immer möglich ist im Fußball. Dadurch, dass ich jetzt sofort weitermache als EM-Experte bei der ARD, mich parallel dazu und danach um das Olympische Fußballturnier kümmere, will ich bewusst nach Olympia erst einmal abschalten, die Seele baumeln lassen und mir in Ruhe Gedanken machen.

Kommt eine Schaffenspause für Sie in Frage?

Nein, dafür habe ich zu viel Energie und Tatendrang.

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