Bundesliga

Javi Martinez im großen Interview: "Es war mir eine Ehre"

Über neun Jahre und zwei Triples beim FC Bayern

Javi Martinez im großen Interview: "Es war mir eine Ehre"

Javi Martinez' größter Triumph: Die Champions League 2013.

Javi Martinez' größter Triumph: Die Champions League 2013. picture alliance

Das Triple hat Javi Martinez mit den Münchnern gleich zweimal gewonnen, 2013 und 2020. Und von den Welt- und Europameistern, die für den Rekordmeister aufliefen, gewannen nur fünf häufiger die Königsklasse: Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Gerd Müller, Georg Schwarzenbeck und Uli Hoeneß (je 3). Paul Breitner und Bixente Lizarazu gelang es einmal.

Packt Sie mit Blick auf Ihren baldigen Abschied die Wehmut, Herr Martinez?

Es wird ein seltsamer Abschied, weil ich so gerne in einem vollen Stadion den Fans auf Wiedersehen sagen würde. Das wäre mein Wunsch. Nicht nur von mir, auch von David, Jerome und Hansi (Alaba, Boateng und Flick; Anm. der Redaktion). Leider lässt es die Situation nicht zu. Nicht auf Wiedersehen sagen zu können ist bitter und traurig.

Holen Sie den Abschied nach, sobald Zuschauer wieder erlaubt sind?

Ganz sicher werde ich öfter nach München zurückkommen, hoffentlich schon im September oder Oktober. Ich fühle mich hier zu Hause, habe nicht nur im Verein viele Freunde, sondern auch außerhalb.

Ist München in neun Jahren Ihre zweite Heimat geworden?

Ja, absolut. Dabei war es für mich zunächst schwierig, als ich 2012 hierher gewechselt bin. Ich bin ein heimatverbundener Mensch, habe gerne meine Eltern und Verwandten um mich herum. Aber die Menschen im Klub und in der Stadt haben mir sehr viel Zuneigung geschenkt, das hat mir von Anfang an sehr geholfen.

Stimmt die Anekdote, dass Sie damals ein paar Ihrer besten Freunde mitbrachten, die bei Ihnen wohnten und Jobs für Sie erledigten?

Ich hätte sie wegen der Unterstützung des FC Bayern nicht unbedingt gebraucht, aber es tat gut. Es hat viel gegen das Heimweh geholfen, vertraute Menschen um mich zu haben.

Hansi Flick

Mit Hansi Flick als Trainer gewannen die Bayern in eineinhalb Jahren sieben (!) Titel. imago images

Bereits letzten Herbst schienen Sie vor dem Abschied zu stehen. Sind Sie froh, diese Saison doch geblieben zu sein?

Es gab Gerüchte und ich sagte dem Verein, wenn ein interessantes Angebot käme, würde ich über einen Abschied nachdenken. Dennoch war es mein Ziel zu bleiben, weil ich das Gefühl hatte, immer noch helfen zu können. Auch Trainer Hansi Flick sagte mir, dass er auf mich zählt. Deshalb bin ich geblieben und komme auf knapp 30 Einsätze, wenn auch in einer anderen Rolle als in den Jahren zuvor, weil ich seltener in der Startelf stand. Ein Team besteht für mich aber nicht nur aus den elf Spielern bei Anpfiff, sondern auch aus denen, die 15, zehn oder nur zwei Minuten spielen. Das war meine Rolle, die ich akzeptiert und in der ich mein Bestes gegeben habe. Ich wollte immer nur dem Team helfen.

Wie schwierig war es, diese Rolle zu akzeptieren?

Zu Beginn war es schwierig, weil ich es in den 16 Jahren meiner Karriere immer gewohnt war, in der Startelf zu stehen. Letztlich muss man es akzeptieren, es geht immer ums Team. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt. Auch wenn man nur ein oder zwei Minuten spielt, muss man immer alles für die Mannschaft geben. Das war in dieser letzten Saison mein Motto.

Welche Erinnerungen werden Sie aus neun Jahren FC Bayern mitnehmen?

Zum Glück fast nur gute. Natürlich gab es schlechte Momente wie meine schwere Knieverletzung 2014. Ich erinnere mich aber insgesamt an jeden einzelnen Tag hier gerne, weil es eine großartige Erfahrung mit den besten Trainern und Spielern der Welt war. Das half mir enorm, als Spieler und als Mensch zu wachsen. Dazu kommen natürlich die beiden Triples, zum ersten Mal in der Geschichte dieses Vereins. Großartig!

Anfangs waren meine Freunde da. Das half gegen das Heimweh.

Javi Martinez

Neunmal Deutscher Meister in neun Jahren. Macht Sie das stolz?

Selbstverständlich. Es ist eigentlich unglaublich, wenn man genau darüber nachdenkt. Vor unserer Serie lag der Rekord bei drei Meisterschaften in Folge. Meiner Meinung nach ist die Konkurrenz während dieser Jahre sogar härter geworden. Die Menschen denken manchmal, es sei einfach, dabei ist es sehr kompliziert, es steckt täglich harte Arbeit dahinter. Deshalb dürfen die Mannschaft und ich stolz darauf sein, es ist eine große Leistung.

Sie hatten zu Jahresbeginn eine COVID-19-Infektion. Wie geht es Ihnen?

Ich hatte zwei, drei Tage Kopfweh, aber kein Fieber und keine weiteren Symptome. Ich war allein zu Hause, meine Familie zum Glück nicht da, dadurch konnte ich niemanden anstecken. Für meine Eltern wäre eine Infektion schwieriger gewesen.

Mit Blick auf die Corona-Umstände ohne Sommer- und Winterpause: Ist der Titel 2021 etwas Besonderes?

Es war sehr schwierig, weil der Spielplan so dicht war. Wir haben fast ununterbrochen gespielt. Für die Muskeln und die Form ist das nicht einfach. Am Ende sind wir auch nur Menschen. Ich bin, wie gesagt, heimatverbunden, konnte wegen der Pandemie nicht einfach nach Spanien reisen und meine Familie besuchen. Das war hart, aber so sind die Zeiten, mit denen alle zurechtkommen müssen, andere Menschen in Deutschland und Europa haben noch viel größere Probleme und Sorgen. Ich weiß es zu schätzen, hier in Deutschland zu leben, wo die medizinische Versorgung sehr gut ist.

Der schönste Titel? Der Triumph in Wembley 2013.

Javi Martinez

Welcher Ihrer Titel mit Bayern war der schönste?

Der erste Champions-League-Triumph 2013 in Wembley gegen Dortmund. Nach der Finalniederlage im Jahr davor gegen Chelsea sah ich in den Gesichtern meiner Mitspieler diese Erleichterung und Freude. Ich hatte immer von diesem Pokal geträumt, zudem war es am Ende meiner ersten Saison. Viele Leute sagten damals, 40 Millionen Euro für einen defensiven Mittelfeldspieler seien sehr viel Geld, auch wenn ich diese Summe für mich selbst immer ausgeblendet habe.

Gomez, Alaba, Pizarro, Martinez, Müller, Tymoschtschuk und Mandzukic (v.l.n.r.).

Das Champions-League-Team 2013: Gomez, Alaba, Pizarro, Martinez, Müller, Tymoschtschuk und Mandzukic (v.l.n.r.). imago images

Viele Experten sahen damals in Ihnen das fehlende Puzzleteil zum Triumph in der Champions League nach der Finalniederlage 2012.

Ich habe der Mannschaft geholfen, aber ich war nicht der Grund für den Sieg, es kamen ja auch andere Neue. Die Mannschaft damals war einfach verdammt stark - nicht nur die Startelf, der ganze Kader. Im Sturm hatten wir Mario Mandzukic, Mario Gomez und Pizza (Claudio Pizarro; Anm. der Red.). Dahinter Toni Kroos, Franck Ribery und Arjen Robben, Thomas Müller. Was für eine Offensive, Weltklasse! Auch die Defensive war sehr, sehr gut und musste sich da nicht verstecken.

Für Bayerns Ex-Sportdirektor Matthias Sammer waren Sie ein Unterschiedsspieler, mit dem man große Spiele gewinnen kann. Hatte er recht?

Ich bin ein Spieler, der in den großen Spielen immer sein Bestes gegeben hat und dafür bereit war. Ich bin nicht der nervöse Typ, in diesen Partien kommt es zudem sehr auf die Persönlichkeit an. Manche können mit dem Druck nicht so gut umgehen.

In Deutschland waren die Spiele gegen Dortmund stets brisant. Sie konnten mit einem Notenschnitt von 2,92 gegen den BVB meist überzeugen. Zufall? Oder wie lautet Ihre Erklärung?

In diesen Duellen steckte natürlich immer eine große Rivalität drin. Wahrscheinlich war ich da noch motivierter, das ist aber gegen große Teams normal.

In den großen Spielen war ich bereit. Ich bin nicht der nervöse Typ.

Javi Martinez

Ihr bestes Spiel für den FC Bayern?

Ich würde sagen, das Pokalfinale 2014 gegen den BVB, wir siegten unter Pep Guardiola 2:0 nach Verlängerung. Ich spielte zentral in der Dreierkette, wir hatten viele Ausfälle, ein großer Sieg! Rafinha musste linker Außenverteidiger spielen, der junge Pierre Höjbjerg rückte ebenfalls ins Team.

Die Fans behalten Sie ob Ihrer Tore gegen Chelsea 2013 und Sevilla 2020 als Mr. Supercup in Erinnerung. Einverstanden?

Natürlich ist es okay, auch wenn wir als Mannschaft diese Siege gemeinsam errungen haben. In beiden Finals saß ich zu Beginn auf der Bank und wurde eingewechselt, von daher ähnelt sich die Geschichte. Es war eine große Ehre, den UEFA-Supercup erstmals für den FC Bayern zu gewinnen. 2013 war speziell, es ging gegen Chelsea, wir wollten Geschichte schreiben. Es gelang uns auf bemerkenswerte Weise. Ein hartes, sehr gutes Match in meiner Erinnerung.

Konnten Sie sich 2012 vorstellen, neun Jahre in München zu bleiben?

Nein, nein. Davon konnte ich nicht mal träumen. Neun Jahre in diesem großen Verein zu spielen ist sehr, sehr schwierig, das schaffen nicht viele. Ich fühle mich geehrt, glücklich und bin stolz darauf. Hier spielen Weltklasse-Spieler, und ich war ein wichtiger Teil dieser Mannschaft.

Jupp Heynckes.

War von 2012-2013 und von 2017-2018 Trainer von Javi Martinez: Jupp Heynckes. imago images

Pep Guardiola, Carlo Ancelotti, Hansi Flick. Viele große Trainer während Ihrer Zeit, aber war Jupp Heynckes der wichtigste, weil er Sie damals unbedingt wollte?

Ich werde ihm immer dankbar sein, weil er mich hierher brachte und unbedingt wollte. Er rief mich an und sagte: Ich will dich hier haben als einen wichtigen Teil des FC Bayern.

Der Vorstand hörte zum Glück auf den Rat seines Trainers.

Ich spielte für Athletic Bilbao, stand dort ohne Champions League vielleicht nicht so sehr im Fokus. Aber Jupp war dort einst Trainer, verfolgte den Verein regelmäßig und sah mich spielen. Er kannte mich sehr gut.

Warum fiel Ihre Wahl auf den FC Bayern und nicht auf Barca oder Real?

Jupp spielte natürlich eine große Rolle, zudem wollte ich die Erfahrung im Ausland machen. Ich hatte das Selbstvertrauen, diesen Schritt zu wagen.

Basti und ich machten ständig Witze. Er hat mir viel beigebracht.

Javi Martinez

Anfangs spielten Sie mit Bastian Schweinsteiger kongenial auf der Doppelsechs. Warum klappte das Zusammenspiel so gut?

Mit ihm zu spielen war sehr leicht. Basti ist eine Maschine. Wir sind uns außerhalb des Spielfelds sehr ähnlich: offene Menschen, wir machten ständig Witze, hatten eine sehr gute Beziehung. Er hat mir viel beigebracht, nicht nur auf dem Rasen.

Sie spielten zudem neben Xabi Alonso, Thiago, Joshua Kimmich. Was zeichnet diese Spieler aus?

Ich habe mit den besten Mittelfeldspielern der Welt gespielt. Mit ihnen an der Seite wird alles einfacher.

Wer sind die besten Sechser aktuell?

Josh, dann vielleicht Casemiro und N'golo Kanté.

Was muss ein Weltklasse-Sechser im modernen Fußball können?

Ein bisschen von allem: Er muss Stratege sein, zweikampf- und kopfballstark. Der Sechser muss im Grunde der kompletteste Spieler im Team sein, verteidigen und angreifen, das Spiel denken können. Es ist in meinen Augen die schwierigste Position auf dem Feld mit viel Arbeit und Laufen, Löcherstopfen kommt hinzu.

2012 kamen Sie als erster Spanier, viele folgten. Nun bleibt höchstens Marc Roca. Endet mit Ihnen die Ära der Spanier beim FC Bayern?

Marc ist ein sehr guter Spieler. Er ist jung, ich kenne ihn aus Spanien und denke, dass er nächste Saison ein wichtiger Teil des Teams wird.

Und die Ära?

Ich scherze immer mit Lucas Hernandez. Als wir 2010 Weltmeister wurden, holte Bayern viele Spanier, wir haben den Stil in diesen Jahren sicher mitgeprägt. Nun ist Frankreich Weltmeister, und plötzlich spielen sechs Franzosen hier. Mal schauen, welche Nationalität beim FC Bayern nach der nächsten WM dominiert (lacht).

Ramos, Puyol, Martinez

Unter Legenden des spanischen Fußballs: Sergio Ramos (li.) und Carles Puyol (re.) feiern mit Martinez den Gewinn der Weltmeisterschaft 2010. imago images

Sie wurden 2010 Weltmeister und 2012 Europameister, haben aber nur 18 Länderspiele absolviert. Zu wenige?

In den Jahren rund um diese Titel war es extrem schwierig, bei so vielen Ausnahmespielern einen Platz in unserer Nationalelf zu ergattern. In den Jahren danach war meine Rolle bei Bayern nicht von Kontinuität geprägt. Wer im Verein nicht regelmäßig spielt, hat eben schlechte Chancen, für Spanien nominiert zu werden. Ich bin glücklich, dass ich sechs, sieben Jahre dabei war.

Ihr letztes Länderspiel absolvierten Sie bei der WM 2014 vor der schweren Knieverletzung. Wäre ohne diese mehr für Sie möglich gewesen?

Es ist sehr schwierig, nach einer solchen Verletzung überhaupt zurückzukommen. Einer der Ärzte sagte damals mit Blick auf diese Verletzung, dass es genügend Beispiele von Spielern gebe, für die sie das Karriereende bedeutet habe. Ich hatte Angst und danke Gott, dass ich wieder spielen konnte, auch wenn ich nach wie vor auf das Knie aufpassen muss und viel in Behandlung bin.

Wie planen Sie Ihre Zukunft? Geht es zurück in Ihre spanische Heimat oder wagen Sie eine neue Auslandserfahrung?

Ich bin offen in alle Richtungen und schaue nach der besten Option für mich. Ich weiß es noch nicht, werde diese Entscheidung im Sommer daheim in Ayegui treffen. Erst konzentriere ich mich auf die beiden letzten Spiele und meinen Abschied.

Wie lange wollen Sie noch spielen?

Ich weiß es nicht. Meine Beine entscheiden. Ein Jahr, drei, zehn? Mal schauen. Aber ich will auch nach meiner Karriere körperlich auf der Höhe sein.

Sieht man Sie im Sommer im "Durban", Ihrem Restaurant in Ayegui?

Vielleicht werde ich dort Koch. Das wäre fürs Geschäft aber wohl nicht so gut (lacht).

Ihr Dorf liegt auf dem Jakobsweg, den Sie schon immer begehen wollten. Bleibt dafür jetzt Zeit?

Ayegui ist ein sehr wichtiger Teil des Jakobsweges, ich werde das definitiv machen, demnächst oder in den nächsten Jahren, vielleicht mit meiner Mutter, die sich das wünscht.

Sie sind ein sehr gläubiger Mensch, beten vor jedem Spiel. Wird es vor dem letzten in der Allianz-Arena ein Dankgebet für diese neun Jahre sein?

Ich bete seit meiner Kindheit, das ist ein Ritual vor Spielen. Und wie immer werde ich darum bitten, von einer Verletzung verschont zu bleiben.

2018 sagten Sie in einem Interview mit dem kicker, es sei wichtig, immer sein Maximum zu geben, um im Moment des Abschieds ein reines Gewissen haben zu können. Gehen Sie mit reinem Gewissen?

Ja, das kann ich. Aber mehr noch möchte ich dem FC Bayern, der Stadt München und der Region danken, und vor allem unseren großartigen Fans auf der ganzen Welt. Es war mir eine Ehre, ich werde immer der größte Fan des FC Bayern bleiben.

Frank Linkesch

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