Bundesliga

Im Gleichklang: Die Benders verabschieden sich von der Fußball-Bühne

"Einfach keinen Bock, nur in der Reha rumzueiern"

Im Gleichklang: Die Benders verabschieden sich von der Fußball-Bühne

In den Farben getrennt: Insgesamt sechsmal standen sich Lars (li.) und Sven auf dem Feld gegenüber. Erstmals hier im Oktober 2009.

In den Farben getrennt: Insgesamt sechsmal standen sich Lars (li.) und Sven auf dem Feld gegenüber. Erstmals hier im Oktober 2009. imago images

Es ist ein unvergesslicher Moment. Voller Gänsehaut. Ein ganzes Stadion erhebt sich. Über 80.000 Menschen zollen ihren Respekt, ihre Anerkennung, ihre Liebe. Einem Spieler, der nicht mehr ihre Farben trägt. Gerade hat Borussia Dortmund 4:0 gegen Bayer 04 Leverkusen gewonnen. Und gegen Sven Bender. Doch die "Süd" feiert ihn mit Sprechchören, nötigt ihn mit ihrer Zuneigung zur Welle. Eine Ehre, die so nur wenigen zuteilwird. Es fließen Tränen. Minuten, die bewegen und stärker sind als alle Worte.

Das war im April 2018, als Sven Bender erstmals nach seinem Wechsel vom BVB nach Leverkusen an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt war. Gute drei Jahre später bleibt die "Gelbe Wand" zum Saisonfinale stumm. Nur zwei Banner ("Danke Manni" und "Spieler kommen und gehn, Legenden bleiben bestehn" mit Svens grandioser Rettungstat im Pokal-Halbfinale in München 2017) dröhnen lautlos im fast menschenleeren Dortmunder Fußballtempel. Dort, wo Sven von 2009 bis 2017 seine größten Triumphe (zweimal Deutscher Meister, zweimal Pokalsieger) feierte. Sein Abgang von der großen Bühne bleibt ohne Applaus. "Meinen Abschied in Dortmund hatte ich schon damals", sagt Sven, den beim BVB alle nur Manni nannten, mit Blick auf den April 2018. Bereits vor einer Woche war er gemeinsam mit Lars beim letzten Leverkusener Heimspiel der Saison verabschiedet worden, natürlich auch vor leeren Rängen.

Jeweils über 400 Pflichtspiele

Wie die Zwillinge die Bühne des Profi- fußballs nach jeweils mehr als 400 Pflichtspielen (Lars 417/Sven 445) für ihre Klubs verlassen haben, sagt so vieles aus über die beiden 32-Jährigen. Während es für Sven trotz verschlissenen Sprunggelenks zu einem richtigen "Abschiedsspiel" in Dortmund reichte, blieben für Lars nach einer Meniskusoperation im Februar nur die letzten zwei Minuten, in denen er beim bedeutungslosen 1:3 von Bayer noch einen Strafstoß verwandeln durfte. Zumindest ein versöhnlicher Schlusspunkt.

Er geht mit dem Kopf dahin, wo ich mit dem Fuß wegziehe.

Nuri Sahin

Mehr war nicht mehr drin nach 15 Jahren Profifußball. Die Brüder gaben immer alles, reizten jegliche körperliche Limits aus. Legendär der Ausspruch von Svens früherem Teamkollegen beim BVB, Nuri Sahin, der einst so treffend feststellte: "Er geht mit dem Kopf dahin, wo ich mit dem Fuß wegziehe."

Auch Lars, in den letzten Jahren zum Rechtsverteidiger umgeschult, betrieb den von ihm selbst so bezeichneten "totalen Raubbau am eigenen Körper" aus Liebe zum Sport und aus immensem Ehrgeiz bis zum Geht-nicht-mehr. Nach dem Titelgewinn als U-19-Europameister 2009 verwehrte ihm das Verletzungspech weitere Triumphe.

Verletzungspech und die verpasste WM 2014

Sven und Lars Bender

Ganz oder gar nicht: Sven (li.) und Lars nehmen in der Bundesliga 2018 den Mainzer Robin Quaison in die Zange. imago images

Das einschneidendste Erlebnis hatte er drei Wochen vor der WM 2014. Im Trainingslager des DFB-Teams in Südtirol passierte es. Muskel-Sehnen-Verletzung im Oberschenkel. WM-Aus. Lars hätte in Brasilien gespielt. Als Sechser, da Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira nach Verletzungen mit Fragezeichen hinter ihrer Fitness gen Rio flogen. So aber erlebte Lars (19 Länderspiele) den deutschen Titelgewinn nur aus der Ferne. Gladbachs Christoph Kramer bekam sein Ticket inklusive Endspieleinsatz. Ein Wirkungstreffer.

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"Es ist ein Traum kaputtgegangen. Ich kann noch nicht sagen, wie ich das verarbeite", erklärt Lars nach seinem Aus. Sven (sieben Länderspiele) hatte seine WM-Hoffnungen zuvor wegen einer Schambeinentzündung begraben müssen. Lars, der damals vor dem nächsten Karriere- schritt steht, erholt sich nicht wirklich von diesem Trauma, muss immer wieder heftige Rückschläge verdauen. Mal das Knie, mal der Fuß, mal der Oberschenkel. Ein zermürbender Kreislauf. Dass er diesen noch fünf Jahre durchzieht, ehe er aufhört, ist bemerkenswert und zeugt von seinem Naturell. Spielt Lars Bender, landet er in der kicker-Rangliste, meist im Kreis oder in der Internationalen Klasse. Egal, ob er gerade als Sechser oder Außenverteidiger gebraucht wird. Taucht er nicht in der Rangliste auf, hat mal wieder sein Körper gestreikt.

Ich habe halt einfach keinen Bock, nur in der Reha rumzueiern und mir Spiele von außen anzuschauen und die Schulterklopfer zu kriegen.

Lars Bender

In den vergangenen Jahren viel zu häufig. "Ich habe halt einfach keinen Bock, nur in der Reha rumzueiern und mir Spiele von außen anzuschauen und die Schulterklopfer zu kriegen", erklärt Lars, der zu Bayers siebten Ehrenspielführer ernannt wurde, "es ist vorbei. Das brauche ich nicht mehr."

Wenn nichts mehr geht, geht es halt nicht mehr. Halbe Sachen wollten weder Lars noch Sven machen. Die Brüder stehen für das Maximum, wobei sie oft das Optimum überschritten. "Mit den ganzen Schmerzen macht es keinen Sinn mehr, weil wir nicht mit 100 Prozent agieren könnten. Wer uns kennt, der weiß, dass sich das für uns wie Betrug anfühlt. Uns gibt es eben nur ganz oder gar nicht", bekräftigt Sven.

Aufopferung für den Verein

Ansprüche haben sie aus ihrer bedingungslosen Hingabe nie abgeleitet. Im Gegenteil. Als Trainer Hannes Wolf vor drei Wochen mit ihnen über deren Abschied sprach, verbat sich Sven für die wichtigen Partien in Bremen und gegen Union Berlin einen Startelfeinsatz nur aus Dankbarkeit, solange Bayer Platz 6 noch nicht sicher habe. Wolf schwärmt: "Sven ist ein unglaublicher Mensch. Er hat es mir sehr leicht gemacht. Weil beide immer gesagt haben: Das Ziel zu erreichen, die Europa League, ist das Wichtigste. Es geht gar nicht so sehr um uns beide. Bemerkenswerte Persönlichkeiten!"

Lars und Sven Bender

Mit 17 Jahren bei den Profis: Lars (li.) und Sven vor ihrem Zweiligadebüt 2006 beim TSV 1860 München. imago images

Das sind sie, die Benders. Klar. Konsequent. Immer bodenständig geblieben. Im Fußball-Business, das viele Menschen komplett verändert, haben sie sich nicht vom Geschäft korrumpieren lassen. "Das war nicht immer einfach, aber wir wurden so erzogen, dass man seinen Standpunkt vertreten und sich selbst nicht in die Tasche lügen soll und glaubwürdig bleibt. Wir haben nichts gesagt, nur weil man es gerne hören würde. Dieser Linie sind wir über 15 Jahre treu geblieben", erklärt Sven. Lars ergänzt: "Warum sollten wir etwas darstellen, nur weil der Vorhang offen ist. Wir wollten immer so sein, wie wir im Kern sind."

Und so verhielten sie sich auch im persönlichen Umgang. Mal grantelnd ("Was willst du schon wieder? Lass mich doch einfach in Ruhe"), wenn man einen deprimierten Lars mal wieder nach einer Verletzung fragen musste, um dann im Anschluss doch zwischen Trainingsplatz und Bay-Arena 20 Minuten über Dinge abseits des Tagesgeschäfts miteinander zu plaudern. Die Benders. Typen. Gute Typen. Denen man die eigenen Kinder anvertrauen würde.

Eine Mannschaft ist ein Sinnbild, wie eine Gesellschaft aussehen sollte: Zusammenstehen, nicht spalten lassen!

Lars Bender

Zwei Menschen mit Haltung. Das unterstrich Lars nach Abpfiff nochmal: "Eine Mannschaft ist ein Sinnbild, wie eine Gesellschaft aussehen sollte: Zusammenstehen, nicht spalten lassen! Egal, wer neben die steht, wie er aussieht, woher er kommt, welche Religion er hat. Das nehme ich mit aus meiner Karriere. Das ist die wichtigste Botschaft."

Ehrlich und direkt: Keine "pseudo-sozialen" Medien

Ein Vis-à-vis mit ihnen war immer ein Erlebnis. Für beide der einzig wahre Weg zu kommunizieren. Mit den Social Media ("Die sind pseudo-sozial") wurden sie nie warm. "Da habe ich keinen persönlichen Kontakt, kann dem anderen nicht in die Augen schauen. Wir haben immer den wirklichen Kontakt zu Menschen gebraucht und wollten uns nie verbiegen." Es ist beiden geglückt.

Deshalb kamen sie gut an. Bei den Fans ("Momente des Willens auf dem Platz, Momente mit Witz im Interview oder ein angenehmer Plausch nach dem Training. Am Ende zählt aber die unglaubliche Sympathie und Ehrlichkeit, die ihr ausstrahlt"). Bei den Mitspielern ("Von den zwei Jungs konnte ich viel mitnehmen", Nationalspieler Jonathan Tah). Bei den Managern ("Solche Charaktere und Fußballer findet man nicht so häufig", Sportdirektor Simon Rolfes). Bei den Trainern.

Sven und Lars Bender

Der eine kommt, der andere geht: Im Freundschaftsspiel gegen die Niederlande wird Sven (li.) im Jahr 2012 für Lars eingewechselt. imago images

Auch wegen ihrer starken Persönlichkeit nahm Horst Hrubesch 2016 die Benders, über die auf dem Youtube-Kanal von Bayer 04 am Donnerstag eine große Doku erscheint, als zwei von drei erlaubten Spielern über 23 Jahren mit zu den Olympischen Spielen nach Rio de Janeiro. Die Silbermedaille nach einem 4:5 im Elfmeterschießen im Finale gegen die Gastgeber war der Lohn für viele Entbehrungen, besonders in der Karriere von Lars. Das Erlebnis Olympia ist der Höhepunkt für die ehrgeizigen Zwillinge. In Brasilien agieren sie erst- und letztmals nach ihrer Trennung im Jahr 2009, als sie als 20-Jährige 1860 München gen Dortmund beziehungsweise Leverkusen verließen, gemeinsam in der Doppelsechs. Ein Moment, in dem sich für beide ein Kreis schließt.

So wie am Samstag um 17.20 Uhr. Das Kapitel als Fußballprofi ist zugeklappt. Jetzt geht es für die in Rosenheim geborenen Brüder zurück nach Bayern. Ihre neue Rolle müssen sie nur beruflich finden. Als Menschen bleiben sie einfach so, wie sie sind. So wie sie auch jeder Fußballfreund geliebt hat.