Bundesliga

BL-Rekordmarke seit 1977: Dieter Müller über seinen Sixpack

Eine BL-Rekordmarke besteht seit 1977

"Ich war ein Egoist, ein Torjäger muss so sein": Dieter Müller über seinen Rekord-Sixpack

Egoistischer Rekord-Torjäger: Dieter Müller als FC-Stürmer und im Januar 2022

Egoistischer Rekord-Torjäger: Dieter Müller als FC-Stürmer und im Januar 2022 imago images (2)

Auch heute wird er noch nervös. Ab und zu. Wenn in einem Bundesligaspiel sehr viele Tore fallen, zappelt Dieter Müller aufgeregt wie ein Jugendlicher vorm ersten Date. So wie Ostern 2013. Wegen eines Konzertbesuchs war ihm der 9:2-Kantersieg des FC Bayern gegen den HSV entgangen. Vom Resultat hörte er auf der Heimfahrt im Autoradio.

Eine Meldung, die bei ihm die Alarmglocken schrillen ließ. "Da wird doch nicht einer meine Marke gebrochen haben?" - so der Reflex des Rekordschützen der Bundesliga. Mit dieser bohrenden Frage lebt er. Heute noch. Seit Jahrzehnten steht dieser Rekord, sein "Sixpack". Sechs Tore in einem Spiel, bei Kölns 7:2 gegen Bremen. Quasi unangetastet. 17-mal schafften Torjäger in der Bundesliga einen Fünferpack - Claudio Pizarro brachte es an jenem 30. März 2013 "nur" auf vier Tore, wie ein erleichterter Müller später dem Videotext entnahm. Robert Lewandowski kam mit seinem Neun-Minuten-Wahnsinn gegen Wolfsburg 2015 der Dieter-Müller-Marke bedrohlich nahe.

Der einzige Sechserpack der BL-Historie

Sechs Tore in einem Spiel - was haben Sie von der Partie am 17. August 1977 noch in Ihrem Gedächtnis gespeichert, Herr Müller?

Wissen Sie, ich war damals immer ein bisschen sauer auf den Horst-Dieter Höttges. Wenn er nach Köln kam, war er lammfromm. Aber in Bremen hat er getreten, nicht immer mit fairen Mitteln. Deshalb hatte ich Wut im Bauch und es war auch genau mein Wetter. Regen! Da habe ich mich wohlgefühlt. Abklatscher und Kopfballtore nach Standards, das war meine Stärke. Und was mich ärgerte: Auf einmal kam der Höttges mit bunten Schuhen daher. Mit roten Schuhen! Die haben mich noch extra provoziert.

Waren Sie sehr motiviert, weil Sie bis dahin kein Tor erzielt hatten?

Nein, ich war immer motiviert. Es gab ja diese Geschichte mit dem Pierre Littbarski. Der stand vor der Torlinie und musste nur drüberschießen, und ich habe ihm den Ball quasi weggestumpt. Das hat er natürlich nicht so gern gesehen. Aber um so einen Rekord zu erzielen, muss man diese Geilheit haben, Tore zu machen.

Die ersten Treffer erzielten Sie nach Freistößen von Heinz Flohe und Herbert Neumann. Ein Geheimnis Ihres Erfolgs und des FC damals?

Ja, das haben wir geübt. Das war vor allem ein Verdienst unseres Trainers Hennes Weisweiler. Gerade die Freistöße von Flohe waren brandgefährlich. Auch Neumann schoss sehr gute Freistöße und Ecken - das war fantastisch!

Bei Werder standen mit Höttges, Per Röntved und Torhüter Dieter Burdenski namhafte Spieler in der Defensive. Waren die so schlecht?

Ich hatte einen Lauf! Die Bremer hatten keinen guten Tag, und man muss auch sagen, dass der Höttges seinen Zenit schon überschritten hatte. Obwohl er ein guter Spieler war. Aber er gehörte damals zu denen, die schon brutal waren. Das war als Stürmer viel, viel schwieriger als heute.

Die zwei jüngsten Fünferpacks der BL-Historie

Was bedeutet es aus Ihrer Sicht genau, wenn ein Torjäger einen Lauf hat?

Ein Torjäger lebt vom Selbstvertrauen. Fußball ist eine Kopfsache, eine Sache des Vertrauens. Ich war ein sehr sensibler Spieler, bei mir war es extrem. Wenn ich das Selbstvertrauen hatte, war ich ein großer Spieler, wenn nicht, war's schon schwierig. Ich brauchte das Vertrauen der Trainer, und das hat mir Weisweiler gegeben.

Haben Sie eigentlich noch im Kopf, wie die Torjägerliste nach dem dritten Spieltag nach Ihrem Sixpack aussah?

Nein, das weiß ich nicht mehr.

Da stand Gerd Müller vor Dieter Müller und Hansi Müller!

Der Name Müller steht für Torqualität! Der Gerd war ein anderer Spielertyp als ich, aber er war schon phänomenal!

Und was war Ihre größte Stärke?

Ich hatte eine super Schusstechnik, die Besessenheit, Tore zu machen, und dann hatte ich ein gutes Kopfballspiel. Meine Art war es, auf den ersten Pfosten zu gehen und zu spekulieren. Und natürlich die Nase. Der Torriecher. Nebenher war ich auch noch ein spielender Mittelstürmer - solche Typen gibt's heute gar nicht mehr.

17 Fünferpacks und ein Sechserpack: Die torhungrigsten Profis in einem Spiel

Zu Ihrer Zeit in der Bundesliga ging's noch rustikal zu. Würden sie manchmal das Rad der Zeit gern zurückdrehen und heute spielen wollen?

Das ist hypothetisch, aber der Fußball hat inzwischen einen viel höheren Stellenwert, eine ganz andere Medienpräsenz. Die Stadien sind voll. Ich würde sicher lieber heute spielen, aber man kann es sich nicht aussuchen. In der heutigen Zeit wäre ich ein Superstar. Schauen Sie, meine sechs Tore sind filmisch nicht mal festgehalten, es gibt nur einzelne Bilder der Tore.

Torjäger besitzen die Eigenheit, jedes Tor abgespeichert zu haben. Ist das bei Ihnen auch so?

Teilweise, viele Tore habe ich noch im Kopf, aber nicht alle - dafür waren es auch zu viele. Die sechs gegen Bremen habe ich vor Augen, aber ich habe auch ein paarmal vier Tore gemacht. Und die beiden Treffer in den DFB-Pokalfinals von Hannover im Jahr zuvor gegen Hertha. Aber ganz ehrlich: Viele Tore habe ich auch einfach vergessen.

Torjäger sind in aller Regel auch Egoisten. War diese Eigenschaft bei Ihnen auch besonders ausgeprägt?

Ich war schon einer. Man muss so sein als Torjäger. So wie geschildert bei der Situation mit Littbarski und dem Ball vor der Linie.

Ist Ihr Sechs-Tore-Rekord einer für die Ewigkeit?

Irgendwann wird ihn einer übertrumpfen, irgendwann ist die Marke fällig. Immer, wenn einer fünf Tore macht, fange ich an zu zittern.

Interview: Hardy Hasselbruch

Das Interview erschien erstmals in der Sonder-Edition des kicker zu "50 Jahre Bundesliga" im Jahr 2013.

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