2. Bundesliga

Horst Hrubesch, der Spätberufene

HSV-Ikone feiert runden Geburtstag

Horst Hrubesch, der Spätberufene

Noch immer am Puls der Zeit: Horst Hrubesch.

Noch immer am Puls der Zeit: Horst Hrubesch. imago images

Mit der Frage nach einem besonderen Erfolgsgeheimnis kann Horst Hrubesch nichts anfangen. Er zieht dann die Stirn, mit der er unzählige Kopfbälle verwandelt hat, in Falten und nennt stattdessen lieber ein Beispiel. Das macht er häufig während eines Gesprächs.

Weil er die Dinge damit vereinfacht. Und in der Regel auch ans Ziel kommt. Das war früher so, als er ohne Schnörkel die Verteidiger und Torhüter geplagt hat. Und dies ist auch heute noch so, da er im HSV-Campus nicht nur Inhalte, sondern vor allem auch Werte zu vermitteln versucht.

Profi erst mit 24

Am Samstag feiert die HSV-Legende den 70. Geburtstag. Das frühere Kopfballungeheuer gilt nicht als Philosoph. Aber als einer, der das Leben versteht. Und der vielleicht genau deshalb als Spätberufener erfolgreich war und ist. Horst Hrubesch wurde erst mit 24 Jahren Profi. "Ich hatte meinen erlernten Beruf als Absicherung, war seit dem 21. Lebensjahr verheiratet, ich war total klar im Kopf."

Hinterließ beim DFB tiefe Spuren: Horst Hrubesch, hier nach eine U-21-Länderspiel 2015 gemeinsam mit Serge Gnabry (vorne).

Hinterließ beim DFB tiefe Spuren: Horst Hrubesch, hier nach eine U-21-Länderspiel 2015 gemeinsam mit Serge Gnabry (vorne). imago images

Er erfuhr die größte Anerkennung während seiner langen Trainerkarriere vor allem in seinen letzten Jahren beim DFB im Nachwuchs und bei den Frauen - und er musste 69 werden, um zu seinem Herzensklub zurückzukehren. Warum das so ist? "Ich bin bereit zu lernen. Immer." Dann folgt sein Beispiel. "Wir waren mit dem DFB-Nachwuchs im Trainingslager in Barsinghausen, als die ganzen Smartphones und i-Pads aufkamen. Da habe ich mich zu den Jungs aufs Vier-Bett-Zimmer gesetzt und mir von ihnen erst mal zeigen lassen, wie man Musik überspielt."

Meine Karriere wäre heute undenkbar.

Horst Hrubesch

Diese Art des Umgangs klingt relativ einfach. Und für Hrubesch ist sie das auch. "Das Leben ist ein Geben und Nehmen", sagt er. Kein Hexenwerk, es gibt kein Geheimnis. "Ich bin so gestrickt." Es passt zu den Widersprüchen in seiner langen Karriere, dass er als Trainer die größten Erfolge nicht nur spät, sondern ausgerechnet in einem System feierte, in dem er selbst nicht groß geworden ist.

Hrubesch hat kein Nachwuchsleistungszentrum durchlaufen, sondern eine Dachdecker-Lehre abgeschlossen und bis zum 24. Lebensjahr parallel noch höherklassig Handball als Fußball gespielt. "Meine Karriere", erklärt er, "wäre heute undenkbar. Alle guten Jugendspieler sind ja frühzeitig in Stützpunkten oder Leistungszentren und perfekt ausgebildet."

Charakterbildung steht auch im Fokus

Weiß noch immer, wo es langgeht: Horst Hrubesch (li.), hier im Gespräch mit Co-Trainer Hannes Drews und HSV-Coach Daniel Thioune (r.).

Weiß noch immer, wo es langgeht: Horst Hrubesch (li.), hier im Gespräch mit Co-Trainer Hannes Drews und HSV-Coach Daniel Thioune (r.). imago images

Seit er selbst im Nachwuchs wirkt, erst beim DFB und nun beim HSV, verfolgt er dieses Ziel: "Ich will, dass die Jungs und Mädchen sich ihren Traum erfüllen, und dass wir ihnen dabei helfen, vernünftige Menschen zu werden." Hrubesch macht vor dem zweiten Satzteil keine Pause, um diesem künstlich noch mehr Bedeutung zu verleihen, er spricht ihn einfach aus.

Und nennt noch ein Beispiel aus dem DFB-Nachwuchs. Ein Spieler sei während eines Lehrgangs zum wiederholten Mal zu spät zur Einheit und zu Besprechungen gekommen. Hrubesch ließ daraufhin die übrigen Spieler Strafrunden um den Platz drehen, während er mit dem "Sünder" im Mittelkreis ein scheinbar entspanntes Gespräch führte. So lange, bis sich aus dem Kreise der Laufenden Widerstand regte, wieso eigentlich sie die Strafeinheit absolvieren müssten?

"Da", erzählt Hrubesch, "habe ich die Jungs zusammengeholt und gefragt, weshalb sie ihren Kameraden nicht ermahnt haben, pünktlich zu sein. Es geht doch in einer Gruppe auch darum, Verantwortung zu übernehmen." Maßnahmen wie diese hat Hrubesch nicht in Psychologiekursen erlernt, sie entsprechen seiner Logik.

Der HSV hat mein Leben komplett verändert.

Horst Hrubesch

Dass er nun bei seinem HSV wirkt, dem im zurückliegenden Jahrzehnt der Wertekompass und damit einhergehend auch der Erfolg zusehends verloren gegangen ist, passt ebenfalls in seine nicht stromlinienförmige Vita. "Ich will jetzt gar nicht davon reden, dass ich was zurückgeben will", sagt Hrubesch und wählt dann für seine Verhältnisse doch blumige Worte: "Der HSV hat mein Leben komplett verändert." 1978 ist er aus Essen in den Norden gewechselt, "und ich habe hier das gekriegt, was ich für mein Leben gebraucht habe".

Sportlich mit Meisterschaften, dem Europapokalsieg, dem EM-Titel als Nationalspieler, "aber auch menschlich. Es hat sich hier alles zusammengefügt. Ich liebe Hamburg, bin 1983 nach Lüttich gewechselt, aber eigentlich bin ich hier nie weg". Seit dem vergangenen Sommer ist er wieder voll da und macht kein Geheimnis daraus, dass das vor allem an Sportvorstand Jonas Boldt liegt.

Arbeiter, Vaterfigur, Torjäger: Die Karriere des Horst Hrubesch

Hrubesch folgt nicht jedem Ruf

Schon in der Vergangenheit, verrät er, habe es "zwei, drei Anfragen gegeben. Aber es waren für mich nie die richtigen Leute". Hrubesch wollte sich nicht von Verantwortlichen vor einen Karren spannen lassen, bei denen er nicht die ehrliche Überzeugung gespürt hatte. Also zieht er eben im Rentenalter mit, weil es sich für ihn nun richtig anfühlt. "Ich habe mich in meiner Karriere immer auf mein Bauchgefühl verlassen."

Dann folgt wieder ein Beispiel. "Viele Spieler, die ich als Jugendliche trainiert habe, haben mir, als sie zum ersten Mal Vater geworden sind, Bilder von ihren Kindern geschickt. Das zeigt mir schon, dass ich nicht so viel falsch gemacht habe." Seine Werte versucht er nun beim HSV zu vermitteln. Und hat bereits Veränderungen eingeführt, die ihm ganz logisch erscheinen.

Es geht um Vertrauen

Die Jugendtrainer beispielsweise reichen ihre Spieler nun nicht mehr alljährlich an den nächsten Coach weiter, sondern sie wechseln mit in die nächste Jahrgangsstufe. "Die Trainer sollen die Spieler drei Jahre begleiten", sagt Hrubesch und erklärt: "Es geht gerade in den unteren Altersstufen um viel mehr als Fußball: um Vertrauen, darum, dass die Trainer auch darauf achten, dass in der Schule alles vernünftig läuft. Deshalb sollen sich die Jungs nicht jedes Jahr an einen neuen Trainer gewöhnen."

Ich war nie eine Ich-AG.

Horst Hrubesch

Entscheidungen wie diese trifft er im Team. Weil auch das seiner Philosophie entspricht. "Ich war nie eine Ich-AG, sondern immer Teil einer Wir-AG. Es geht immer darum, wie wir miteinander umgehen." Seinen Klub will er damit ein Stück besser machen. Als Ziel nennt Hrubesch, dass "in fünf, sechs Jahren acht, neun oder zehn Spieler selbst ausgebildet sind."

Ausbildungsverein HSV

Auf dem Weg dahin sieht er den HSV schon jetzt: Die Eigengewächse Josha Vagnoman und Stephan Ambrosius sind zu Eckpfeilern geworden, mit Ogechika Heil und Jonas David gehören zwei weitere zum Aufgebot. Hrubesch sieht diese Entwicklung als einzig möglichen Ausweg aus der langen Krise an. "Seien wir ehrlich: Der HSV wird auf Sicht nicht in der Lage sein, Top-Spieler zu kaufen. Ich sehe den HSV deshalb als Ausbildungsverein. Und das ist ein verdammt guter Weg, wenn man ihn richtig geht."

Wie lange Hrubesch den Weg begleiten wird, lässt er offen. Bis 2023 ist das Arbeitsverhältnis als Nachwuchsdirektor ausgedehnt und befristet. "Jünger", sagt er, "werde ich nicht mehr. Und zu Hause muss ich auch noch ein bisschen was einhalten." Seiner Gattin Angelika hatte er nach dem Karriereende beim DFB Ende 2018 eigentlich eine Weltreise versprochen. Dann kam Corona. Und dann der HSV.

Boldt ist froh um Arbeiter Hrubesch

"Es macht mir einfach Spaß, riesigen Spaß. Ich komme jeden Morgen mit einem Lachen hierher." Boldt ist froh, dass dies so ist: "Wie Horst für die Aufgabe brennt, ist unglaublich. Er weiß um seine Strahlkraft, die setzt er auch ein. Aber er verlässt sich nicht darauf. Er ist ein Arbeiter. Und er ist Mensch."

Einer, der nicht in Theorien lebt, sondern in der Praxis. Boldt umreißt es so: "Er denkt einfach, aber er denkt weiter. Und er ist bereit, trotz seiner in den zurückliegenden Jahrzehnten gesammelten Erfahrungen neue Dinge anzunehmen. Er geht mit der Zeit. Dass eigentlich ausnahmslos alle, ob die U-19-Spieler oder die DFB-Frauen, von ihm schwärmen, sagt einiges aus."

Hrubesch genießt seine Rolle. Und die späten Lorbeeren. Ambitionen freilich hat er dennoch. Den Aufenthalt seines HSV im Unterhaus empfindet er schon als viel zu lange. "Ich war neulich in unserem Museum, da stehen die ganzen Trophäen. Um die geht es ja gar nicht, aber zumindest die 1. Liga muss das Ziel sein." Möglichst in seiner ersten Saison, dem insgesamt dritten Jahr, also besser spät als nie. Es würde zu seiner Vita passen.

Sebastian Wolff