Bundesliga

Magath und ManUnited: Timo Hildebrand im kicker-Interview

20 Jahre nach Ohne-Gegentor-Rekord

Hildebrand im Interview: "Magath sagte: 'Ich krieg dich gar nicht kaputt'"

Der strenge Alte und ein junger Wilder: Timo Hildebrand (re.) mit VfB-Trainer Felix Magath.

Der strenge Alte und ein junger Wilder: Timo Hildebrand (re.) mit VfB-Trainer Felix Magath. imago/Sportfoto Rudel

Zu Beginn des Gesprächs wundert sich Timo Hildebrand, dass für das Interview eine halbe Stunde eingeplant ist. Doch der Oktober 2003, der sich zum 20. Mal jährt, war eben ein besonderer für ihn, der 885 Bundesliga-Minuten am Stück ohne Gegentor blieb - bis heute Rekord. Und für den VfB Stuttgart, der in der Champions League sensationell Manchester United schlug.

Herr Hildebrand, Ihre größte Zeit beim VfB hatten Sie wohl im Frühjahr 2007 mit Meisterschaft und Pokalfinale. Aber haben Sie sich zwischen den Pfosten nie selbstbewusster und besser gefühlt als im Herbst 2003?

Ja, das kann man so sagen. Ich habe mich damals richtig gut gefühlt, das war meine Top-Zeit.

In dieser Zeit, als es in der Champions League gegen Manchester United ging, war der VfB Tabellenführer der Bundesliga, ohne Niederlage und Gegentor. Trainer Felix Magath sagte, keiner hat so einen Schritt nach vorne gemacht wie Sie. Wie das?

Ich war brutal fit in diesem Zeitraum. Ich kann mich an eine richtig gute Vorbereitung erinnern, als Magath auf Sylt auf mich zukam und sagte: 'Hey, ich krieg dich gar nicht kaputt.' Was von ihm ein Kompliment ist. Wir hatten aber auch eine richtig stabile Hintermannschaft mit Fernando Meira, Zvonimir Soldo, Philipp Lahm. Da kam nicht so viel durch. Das hab' ich dann gehalten.

Mich hat genervt, dass es irgendwann nur noch darum ging.

Timo Hildebrand über seine Rekord-Serie von 885 Bundesliga-Minuten ohne Gegentor

Was ist Ihnen in dieser Phase besser geglückt als je sonst?

Im Grunde war es so, dass ich das Gefühl hatte: Komm, schieß ruhig. Auch im Training. Ich dachte beinahe, dass gar nichts passieren kann. Durch mein großes Selbstvertrauen war ich einfach zu 100 Prozent fokussiert.

Timo Hildebrand mit Felix Magath

Der Chef schießt noch selbst: Magath und Hildebrand im VfB-Training. imago/Sportfoto Rudel

Als es plötzlich um diese Ohne-Gegentor-Serie ging, freut man sich da auf den nächsten Schuss, um sich wieder auszeichnen zu können? Oder hat man eher Angst, dass die Serie reißt?

Medial war es ein großes Thema, auf dem Platz habe ich nicht daran gedacht. Mich hat genervt, dass es irgendwann nur noch darum ging. Dann war es auch gut, dass die Serie gerissen ist mit einem irregulären Tor in Bremen. Es war bei einem 3:1-Sieg, das Gegentor hätte nicht zählen dürfen (der Ball war zuvor im Aus, Anm. d. Red) - das hat für mich perfekt gepasst. Und dann war es auch gut.

Wie denken Sie heute über die 885 Minuten ohne Gegentor, durch die Sie Oliver Kahn übertrafen und die in der Bundesliga noch heute unerreicht sind?

Ich bin schon stolz darauf, aber das war ja keine Einzelleistung von mir. Von mir aus denke ich nicht mehr daran - nur, wenn ich darauf angesprochen werde.

VfB 2003: Die Mischung macht's

2001 fast abgestiegen, 2003 plötzlich Champions League. Wie hatte sich der VfB damals in einem so kurzen Zeitraum so verbessert?

Felix Magath hat uns vor dem Abstieg gerettet und dann relativ viel aus uns rausgekriegt. Er hat uns physisch viel besser gemacht. Und wir hatten eine überragende Mischung aus Haudegen wie Soldo, Balakov oder Meißner und jungen Wilden wie Hinkel, Lahm, Kuranyi.

Was hat Magath vorgegeben, auch taktisch?

Seine Spielphilosophie war, dass wir alles geben. Wenn andere Mannschaften nach 70 oder 80 Minuten eingebrochen sind, haben wir noch mal Gas gegeben. Einen Matchplan wie Pep Guardiola hatten wir nicht. Wir wussten nicht genau, wo jeder hinzulaufen hatte, aber jeder wusste, was auf dem Platz zu tun war.

Was hob Magath von anderen Trainern ab, jenseits des Fitness-Aspekts?

Respekt war immer ein großes Ding für ihn. Er war das Oberhaupt, hat bestimmt, wo es langgeht. Wenn man sich daran hält, wenn man ihm folgt, ist alles gut. Disziplin war auch ein großes Thema.

Gegen United waren auch die Fans ein Faktor

Das große Highlight in diesem Herbst 2003 war das Heimspiel in der Champions League gegen Manchester United am 1. Oktober. Das Highlight-Spiel Ihrer Karriere?

Zu diesem Zeitpunkt auf jeden Fall. Es war ein Riesending, dass der kleine VfB Stuttgart das damals große Manchester United mit van Nistelrooy, Giggs oder Scholes schlägt - und auch noch in die nächste Runde einzieht.

Stuttgarts Sieg über ManUnited

Wie besonders war die Atmosphäre, von der in Stuttgart heute noch geschwärmt wird?

Damals hatte Stuttgart von diesem Kaliber schon eine Weile nichts mehr erlebt. Das war schon explosionsartig, die Zuschauer haben uns getragen. Nur so kann man die letzten Prozentpunkte rauskitzeln und so ein Spiel gewinnen.

Er war schon damals ein Schlitzohr.

Timo Hildebrand über den 18-jährigen Cristiano Ronaldo

Stimmt es, dass Magath in den Tagen vor dem United-Spiel gar nicht mit Ihnen, den Spielern, gesprochen hat?

Das war schon witzig. Er hatte in der Staatsgalerie einen Mannschaftsabend organisiert, was bei einigen nicht wirklich gut ankam. Einige sind dann auch relativ früh gegangen. Danach hat er lange nicht mit uns geredet, hat seine Co-Trainer das Training machen lassen.

Cristiano Ronaldo gegen Timo Hildebrand

Theatralisch: Timo Hildebrand im Duell mit Cristiano Ronaldo - es gab Elfmeter. imago images

Aus dem Spiel heraus konnte Sie auch United nicht bezwingen, der 2:1-Anschlusstreffer fiel durch einen Elfmeter - herausgeholt vom 18-jährigen Champions-League-Debütanten Cristiano Ronaldo. Welchen Eindruck hatten Sie von ihm?

Ich hab' den Elfmeter ja verursacht, aber es war keiner, er hat sich fallen lassen. Er war schon damals ein Schlitzohr.

Stuttgart 20 Jahre später: Eingespieltheit als Trumpf?

Andreas Hinkel, der gegen CR7 spielte, meinte mal, dass der VfB in dieser Zeit keine Angst hatte, auch gegen United nicht. Was hat Sie damals so stark gemacht?

Das geht wieder zurück auf die Fitness und das Selbstbewusstsein. Wenn du als Tabellenführer kein Selbstbewusstsein hast, dann weiß ich auch nicht. Wir kannten unsere Abläufe und wussten, dass wir harmonieren. Wir waren eingespielt, hatten kaum Wechsel. Es war schwer, uns zu knacken.

Was kann sich der aktuelle VfB, der gut in die Saison gestartet ist, aus dieser Zeit abschauen?

Die Mannschaft macht einen stabilen Eindruck, ich traue ihr relativ viel zu. Es gibt ein paar hoffnungsvolle Talente und es wäre schön, wenn der VfB ein paar Spieler halten könnte. Es ist immer wichtig, dass eine Mannschaft über einen Zeitraum ein Gerüst findet. Das gibt jedem Spieler Selbstvertrauen.

Interview: Niklas Baumgart

VfB 03/04: Magath lässt "die jungen Wilden" kotzen und schweigt vor der United-Sensation

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