2. Bundesliga

Hamburger jung - das ist Fabian Hürzeler

Wie der 29-Jährige jüngster Trainer im deutschen Profifußball wurde

Hamburger jung - das ist Fabian Hürzeler

Der neue St.-Pauli-Coach Fabian Hürzeler in seinem "Wohnzimmer" Millerntor.

Der neue St.-Pauli-Coach Fabian Hürzeler in seinem "Wohnzimmer" Millerntor. IMAGO/Oliver Ruhnke

Die Begrüßung fällt so aus, wie es in der Hansestadt üblich ist. "Moin", sagt Fabian Hürzeler während seines ersten öffentlichen Auftritts als Cheftrainer, lächelt in die Kameras und kann in den folgenden Sätzen seine Herkunft doch nicht verbergen. Weil es seine Eltern beruflich in die USA verschlagen hatte, ist St. Paulis neuer Coach in Houston/Texas geboren, eigentlich aber ein waschechter Bayer. Das will er auch gar nicht verleugnen. Ebenso wenig wie seine Vergangenheit als Co-Trainer von Timo Schultz, dem er zweieinhalb Jahre loyal assistiert hat. Und jetzt doch eigene Akzente setzen will. Durch Arbeit und Inhalte.

Genau diese Komponenten stehen bei Hürzeler vom ersten Tag an im Vordergrund, als er von Andreas Bornemann die Verantwortung übertragen bekommen hatte. Zunächst einmal für zwei Wochen, kurz vor Weihnachten dann dauerhaft. Dem Sportchef imponiert die Herangehensweise des erst 29-Jährigen, St. Paulis jüngsten Chefcoach seit Michael Lorkowski. "Fabian", erklärt er, "ist die erste Phase nicht angegangen wie einer, der mal für zwei Wochen die Mannschaft ein bisschen bewegen will, sondern wie einer, der führen will. Er hat die Zeit wie ein Chefcoach genutzt." Und diesen Posten deshalb auch über den Sommer hinaus bekommen. Obwohl er dies laut Bornemann von sich aus nie thematisiert hat: "Er hat nicht einmal nach seinem Vertrag gefragt, ob er angepasst wird, wie die Laufzeit ist. Das finde ich herausragend."

Der Sportchef sagt, wenn eine Zusammenarbeit funktioniere, dann würden sich diese Fragen ohnehin nicht stellen. Und genau davon ist Hürzeler offenbar überzeugt. "Es ist eine große Aufgabe", weiß er, "ich spüre große Verantwortung. Aber ich fühle mich bereit. Ich habe in meinem bisherigen Leben jede Aufgabe mit Respekt begonnen, aber auch mit einer großen inneren Überzeugung." Dieser Satz klingt, als komme er aus dem Mund eines erfahrenen Mittvierzigers, der neue Chef auf der St. Pauli-Bank aber ist noch keine 30. Hamburger jung eben. Seine Vita aber entspricht tatsächlich der eines Frühreifen.

Kapitän bei der U 19: "Lag damals sicher schon daran, weil es mir liegt, vorneweg zu gehen"

Hürzeler wurde als Zwölfjähriger von Hermann Hummels für den FC Bayern entdeckt, durchlief sämtliche Jugendteams beim Rekordmeister, war Kapitän der U 19 unter Kurt Niedermayer und sagt reflektiert, dass diese Rolle keineswegs in erster Linie seinem fußballerischen Potenzial entsprach. "Es lag auch damals sicher schon daran, weil es mir liegt, vorneweg zu gehen", hat er 2018 in einem Interview mit "Spox" verraten. Kleinere Verletzungen brachten ihn in dieser Zeit sportlich ins Hintertreffen, gleichzeitig wurden erste Grundlagen für die zweite Karriere gelegt. "Ich hatte zwar noch den Profi-Traum, habe aber gespürt, dass ich eine andere Begabung habe. Ich habe schon in der U 19 viele Dinge aus Trainersicht betrachtet, und als Niedermayer dann begann, mich in die Besprechungen mit einzubeziehen, habe ich das regelrecht aufgesogen."

Hürzeler versuchte 2013 dennoch, das Ziel Bundesligaspieler zu verwirklichen, wechselte nach Hoffenheim, wurde nach der Vorbereitung mit den Profis aber von Trainer Markus Gisdol wieder aussortiert, wechselte nach einem Jahr zu 1860 München und fasste dort während seiner zweiten Spielzeit in der Reserve den einschneidenden Entschluss, die Spieler- für die Trainerkarriere zu beenden. Damals wie heute mit diesem Leitsatz: "Ich hatte Respekt davor und wusste, das kann auch schiefgehen, aber ich war mir immer der Fähigkeiten bewusst, die ich in mir trage. Ich war relativ überzeugt von dem Schritt und hatte die dafür nötige Portion Mut." Eine frappierende Parallele zu heute.

Ich glaube, dass ich mit meiner Art als Typ neue Reize setzen kann.

Fabian Hürzeler

Hürzeler startete seine zweite Karriere als Spielertrainer beim FC Pipinsried und hinterließ auf Anhieb Duftmarken: Aufstieg in die Regionalliga im ersten Jahr, Klassenerhalt im zweiten Jahr. Und dazu: 45 Gelbe Karten, fünf Gelb-Rote und eine Rote Karte in drei Jahren. Roland Küspert, Präsident des Klubs, wurde von der "Hamburger Morgenpost" über den einstigen Erfolgsgaranten befragt und erinnerte sich vor allem an dessen Emotionalität: "Er war 23, jung und ungestüm, sehr auffällig auch an der Linie."

Dass sich nun frühere Wegbegleiter zu ihm äußern sollen, ist neu im Leben von Hürzeler. Er geht damit gelassen und souverän um, ohne dabei überheblich zu wirken. "Die große Verantwortung spüre ich allein durch die Medienpräsenz", sagt er. Und er strahlt jene Überzeugung aus, die ihn in jungen Jahren nun bis in die 2. Liga gebracht hat: "Ich glaube, dass ich mit meiner Art als Typ neue Reize setzen kann." Obwohl er die vorangegangene Zusammenarbeit mit Schultz als "sehr vertrauensvoll" bezeichnet, will er nun eigene Akzente setzen und ist auch sicher, dass ihm dies gelingt: "Timo war der Cheftrainer, ich habe ihm zugearbeitet und eigene Ideen eingebracht." Von nun an setzt er sie um.

Dass er dabei auch vor unpopulären Maßnahmen nicht zurückschreckt, dokumentierte er gleich in seiner ersten Woche als Chef. Während sein Klub lediglich die Mitteilung verschickte, dass das Testspiel im Trainingslager gegen Werder Bremen abgesagt werde, tritt Hürzeler ganz offen die Flucht nach vorn an: "Das war mein Wunsch." Dass der Bundesligist, pikanterweise auch noch gemeinsam mit St. Pauli im Flieger Richtung Spanien, wenig begeistert reagierte und dies auch kommunizierte, nimmt er in Kauf: "Ich wollte mit der Mannschaft mehr Trainingszeit auf dem Platz haben, um die Ideen, die wir haben, noch intensiver zu trainieren, noch mehr zu vermitteln." Innere Überzeugung steht bei Junior-Chef Hürzeler vor der Außenwirkung. Und die inhaltliche Arbeit über allem.

In seinem ersten Testspiel beim 1. FC Union (2:3) hatte er St. Paulis Startelf mit einer Dreierkette und zusätzlich zwei Sechsern angeordnet, verrät aber, dass dies keineswegs das System der Zukunft sein muss, sondern vor allem für das Kräftemessen mit dem Bundesligisten angepasst war. "Wir haben die Berliner beobachtet und uns auf sie eingestellt und die Mannschaft darauf vorbereitet. Das finde ich auch in der Vorbereitung ganz normal: Ich kann doch den Spielern nicht erzählen, dass ist ein echter Härtetest und diesen dann angehen wie ein Freundschaftsspiel."

Hürzelers Ziel: "Ich möchte einmal Trainer in der Champions League sein"

Es ist exakt diese Mentalität, keinen Test und keine Einheit einfach so verstreichen zu lassen, die Bornemann an Hürzeler begeistert hat. "Das Gefühl für ihn war relativ früh da, die Überzeugung wuchs dann eigentlich mit jedem weiteren Tag und jeder weiteren Einheit." Die beim jungen Chef fehlende Komponente Erfahrung glaubt Bornemann durch den routinierten Co-Trainer Peter Nemeth (50) kompensiert. Auch bei dieser Entscheidung ging es Hürzeler vor allem um Inhalte. "Peter ist akribisch, hat ein Auge fürs Detail. Diese Dinge sind mir unheimlich wichtig. Außerdem hat er große Erfahrung und viele Situationen schon erlebt. Es wäre naiv, wenn ich denken würde, ich könnte darauf verzichten."

Naivität war bislang kein Kennzeichen von Hürzeler. Auf "Spox" hat er vor rund vier Jahren verraten, dass er groß denkt: "Ich möchte einmal Trainer in der Champions League sein. Der nächste Schritt wäre es, zu 100 Prozent Trainer zu sein und mich den ganzen Tag damit beschäftigen zu können." Diesen ersten Schritt vollzieht er gerade. Und strahlt aus, bereit dafür zu sein.

Dieser Text erschien erstmals in der kicker-Ausgabe vom 2. Januar. Hier können Sie den kicker als eMagazine lesen.

Sebastian Wolff

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