Bundesliga

Eintracht-Vorstand Hellmann über Krawalle: "Muss es erst einen Toten geben?"

Sorge um die Fankultur - Kritik an den eigenen Fans und der allgemeinen Entwicklung

Eintracht-Vorstand Hellmann über Krawalle: "Muss es erst einen Toten geben?"

Sieht einen "absurden Irrweg": Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann.

Sieht einen "absurden Irrweg": Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann. picture alliance/dpa

Seine "Gute-Laune-Rede" würde an diesem Punkt vorerst enden, kündigte Hellmann am Montagabend an. Die Vorkommnisse beim Champions-League-Spiel in Marseille, der gegenseitige Pyrobeschuss, die faschistischen Gesten eines Frankfurters und die Entwicklung der Zustände allgemein auf Auswärtsreisen gingen dem 51-Jährigen sichtlich nahe. Eines wollte Hellmann gleich zu Beginn klarstellen.

Die Kritik, die Eintracht würde nicht entschlossen gegen Täter vorgehen, wollte Hellmann nicht stehen lassen. "Es glaubt doch keiner, dass wir Hitlergrüße im Stadion tolerieren. Dass wir ihn nicht rauswerfen können, ist schlicht der Tatsache geschuldet, dass wir keinen Namen und keine Adresse der Person haben. Wir haben eine Handynummer, weil er sich gestellt hat", erklärte Hellman und ergänzte: "Ganz im Ernst: Der Rechtsstaat gilt auch noch. Die Ermittlung von Tätern ist nicht die Aufgabe von Eintracht Frankfurt. Da gibt es Recht und Gesetz, an das wir uns halten müssen."

Hellmann sieht einen "absurden Irrweg"

Das Zeigen des Hitlergrußes kam den Klub teuer zu stehen. Unterm Strich kam die Eintracht mit einer Geldstrafe in Höhe von 45.000 Euro, sowie einer Auswärtssperre für Fans und einem Zuschauer-Teilausschuss zuhause jeweils auf Bewährung "glimpflich" davon, gestand Hellmann. Dies sei der guten Arbeit seines zuständigen Vorstandskollegen Philipp Reschke und "unserer Erfahrung in solchen Sachverhalten geschuldet". Letztere Bemerkung sorgte bei Teilen der rund 800 anwesenden Mitglieder für Lachen, was bei dem Ernst der Lage eigentlich nicht angemessen war. "Wir Verantwortliche und die Fans stehen in der Pflicht und müssen uns fragen, was wir unternehmen, damit wir nicht die falsche Abbiegung im Fußball nehmen", betonte Hellmann.

Die Zustände in Marseille nahm der Jurist zum Anlass, um Grundsätzliches in Frage zu stellen. "Wenn die Zukunft im Profifußball die gewalttätigen Auseinandersetzungen auf den Straßen, im Stadion in den Blöcken und das wechselseitige Beschießen von Menschen mit Pyrotechnik sind, dann sind wir auf einem absurden Irrweg. Wenn die Zukunft ist, dass wir unsere Schals und Trikots nicht mehr auf den Straßen tragen können, wenn wir bei Auswärtsspielen nicht mehr in Restaurants sitzen können und unsere Fankultur leben können, dann sind wir auf einem absurden Irrweg", sagte Hellmann.

Unsere Aufgabe ist, vor der eigenen Haustür zu kehren. Ich möchte nicht, dass aus einem Eintracht-Block auf andere Menschen geschossen wird.

Axel Hellmann

Von welcher Seite der Fans der Beschuss in Marseille ausging, auf wessen Seite es mehr Täter und wo mehr Opfer gegeben habe, das spiele keine Rolle. "Die Frage dürfen wir uns nicht stellen", machte Hellman klar. "Unsere Aufgabe ist, vor der eigenen Haustür zu kehren. Ich möchte nicht, dass aus einem Eintracht-Block auf andere Menschen geschossen wird. Die Frage ist: Wo ist die Grenze und wann es eine Umkehr gibt. Muss es erst einen Toten geben, damit man die Dinge anders bewertet?" Viel hatte in Marseille nicht gefehlt und der Extremfall wäre schon eingetreten. Ein Mann wurde von einer Rakete am Hals getroffen, er stürzte eine Treppe hinunter und brach sich dabei drei Rippen sowie einen Halswirbel.

Hellmann appellierte einmal mehr an die Fangruppen, sich von der Gewalt und entsprechenden Personen aus eigener Kraft zu lösen. "Gelingt das nicht, wird es von uns geregelt", warnte er. "Worauf das hinausläuft, kann man sehen: Wie in anderen Ländern die Kartenvergabe funktioniert, wie Auswärtsfans in zentrale Busse gepackt werden und irgendwo hingeschafft. Alles wird durchpersonalisiert. Das ist nicht die Fankultur, von der ich glaube, dass sie Spaß und Freude macht."

Generalabrechnung: Bürgerrechte von Fans außer Kraft

Seine Kritik richtete der Klubchef aber nicht nur an den eigenen Anhang und holte zur Generalabrechnung aus. "Zur ganzen Wahrheit gehört auch, wie Fans bei Auswärtsspielen in der Liga und international behandelt werden. Kleidungsvorschriften, Betretungsverbote in den Städten, Gesangsverbote, das Pferchen in Busse, Ordner, die sich an Frauen vergreifen, Fans, die über Stunden ohne Getränke in der Hitze dehydrieren, Polizisten, die Unbeteiligte mit Schlagstöcken malträtieren, Fans, die von Spezialeinheiten wie Schwerverbrecher behandelt werden. Es ist völlig weltfremd zu glauben, dass sich Fußballfans, die den ganzen Tag schlecht behandelt werden, nicht zur Wehr setzen. Wer Aggressionen vermeiden will, darf keinen Anlass geben, sie hervorzurufen", forderte Hellmann. Wenn er sehe, wie Bürgerrechte bei europäischen Spielen immer wieder außer Kraft gesetzt würden, "graut es mir vor der Zukunft".

Moritz Kreilinger