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Afrika-Cup: Ein Teppich aus Fliegen und "die Mutter aller Schlägereien"

Vor dem Turnier-Start am Samstag

Ein Teppich aus Fliegen und "die Mutter aller Schlägereien": Zehn Geschichten vom Afrika-Cup

Schrieben Turniergeschichte: Elfenbeinküste-Keeper Barry (li.) und Kameruns Trikots 2002.

Schrieben Turniergeschichte: Elfenbeinküste-Keeper Barry (li.) und Kameruns Trikots 2002. Getty Images

"Ein Verletzter kann auf keinen Fall so rennen"

Die Elfenbeinküste, der Gastgeber des diesjährigen Afrika-Cups, gewann letztmals 2015 das Turnier - nach einem epischen Ende. Nach torlosen 120 Minuten lieferten sich die Elefanten gegen Ghana ein Mammut-Elfmeterschießen, in dem am Ende nur noch zwei Spieler nicht angetreten waren: die beiden Torhüter. Und nun ging das Drama erst richtig los: Der ivorische Keeper Boubacar Barry parierte den Versuch seines Kollegen Brimah Razak - und sackte dann zu Boden.

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Afrika-Cup 2015

Bereits zuvor - zufälligerweise genau vor dem fünften und potenziell letzten ghanaischen Schützen - hatte er angedeutet, einen Krampf zu haben. "Er sagte, dass er nicht schießen könne, weil er Schmerzen habe", erinnerte sich der damalige Linienrichter Djibril Camara später in einem Interview. Stattdessen machte sich der mit Schüssen vom Punkt etwas eher vertraute ivorische Kapitän Yaya Touré bereit für den entscheidenden Elfmeter - ein Manöver, das das Schiedsrichtergespann aber nicht zuließ. Barry musste ran, verwandelte - und sprintete jubelnd davon. Camaras Schlussfolgerung: "Ein Verletzter kann auf keinen Fall so rennen."

Ikpebas verhängnisvolle Reaktion

Ein ebenfalls legendäres Elfmeterschießen ereignete sich im Endspiel 2000 zwischen Nigeria und Kamerun. Der damalige Dortmund-Stürmer Victor Ikpeba trat für Nigeria zum vierten Schuss an, hämmerte den Ball an die Unterkante der Latte, von wo aus er knapp hinter die Linie sprang - deutlich sichtbar auf den TV-Bildern, aber nicht sichtbar für Ikpeba selbst, der die Hände über dem Kopf zusammenschlug.

Bis heute hält sich das Narrativ, dass der tunesische Schiedsrichter Mourad Daami in erster Linie wegen Ikpebas Reaktion nicht auf Tor entschied. Sein Linienrichter, so Ikpeba nach dem Spiel, habe nämlich Tor signalisiert. "Es ist eine Schande", fluchte der Angreifer im Nachgang. "Da muss man etwas tun." Konnte man aber nicht, Kamerun gewann den Cup. Mehr noch: Daami wurde 2006 erneut als Final-Schiedsrichter angesetzt. "Die ganze Welt lacht über Afrika", polterte Senegals Star El Hadji Diouf. Immerhin: Diesmal unterlief dem Tunesier keine spielentscheidende Fehlentscheidung.

Sieben Kilo in drei Wochen

Zwei Jahre nach dem Ikpeba-Skandal gelang Kamerun die Titelverteidigung - diesmal mit dem Deutschen Winnie Schäfer als Trainer. Für den langjährigen KSC-Coach war der Sieg 2002 der größte Titel seiner Laufbahn. Und trotzdem hat er nicht nur gute Erinnerungen an das Turnier. Der Grund: Im Austragungsort Mali herrschten 45 Grad im Schatten, die Hotels hatten keine Klimaanlage - und laut Schäfer fragwürdige Hygiene-Standards.

Yaounde, Cameroon, January, 24, 2022: Kassim Abdallah of Comoros during Cameroun versus Comoros - Africa Cup of Nations at Olembe stadium. Kim Price CSM. Yaounde Cameroon - ZUMAc04_ 20220124_zaf_c04_322 Copyright: xUlrikxPedersenx

Als die Komoren im Afrika-Cup-Achtelfinale mit Feldspieler im Tor antraten

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"Da lag das Fleisch auf dem Boden", sagte er später dem "Tagesspiegel". Darauf habe sich auf der angedachten Mahlzeit "ein Teppich voller Fliegen ausgebreitet - 1000, 10.000 Fliegen". Was Schäfer verständlicherweise "widerlich" nannte, hatte aber nicht nur schlechte Seiten: "Ich habe in den drei Wochen über sieben Kilo abgenommen. Meine Frau sagte, ich hätte da ruhig nochmal hinfahren können."

Ein "Onesie" sorgt für Ärger

Kameruns Erfolg von 2002 indes blieb in erster Linie gar nicht wegen der Leistungen der Spieler in Erinnerung - sondern wegen ihrer Trikots. Die "Unbezähmbaren Löwen" holten den Titel in ärmellosen Shirts, die sich in der Folge zum Verkaufsschlager entwickelten. Kurz darauf erklärte die FIFA ärmellose Trikots allerdings für verboten und Ausrüster Puma musste für die WM in Japan und Südkorea dem grünen Trikot schwarze Ärmel hinzufügen.

Kamerun beim Afrika-Cup 2002

Sieger ohne Ärmel: Kamerun beim Afrika-Cup 2002. AFP via Getty Images

Beim Afrika-Cup 2004 dann folgte das nächste, vielleicht sogar noch spektakulärere "Trikot-Gate". Die Kameruner liefen in einer Art Einteiler auf, in der die Hose nicht vom Trikot abgetrennt war. "Das ist gegen die Gesetze des Spiels", schäumte FIFA-Präsident Sepp Blatter und erlaubte Kamerun nur, die Trikots während der Gruppenphase zu tragen. Als Schäfers Team im Viertelfinale gegen Nigeria trotzdem mit dem "Onesie" antrat, wurde der Verband zu einer Strafe in Höhe von 154.000 Euro verurteilt, außerdem wurde der Nationalmannschaft für die anstehende WM-Qualifikation sechs Punkte abgezogen. Immerhin: Der Punktabzug wurde später wieder aufgehoben.

"Die Mutter und der Vater aller Schlägereien"

Im Jahr 2004 hatte sich Ruanda erstmals für die Endrunde des Afrika-Cups qualifiziert. Der Weg dorthin verlief allerdings kontrovers. Beim Auswärtsspiel im verhassten Nachbarland Uganda zeigte Ruandas Torhüter Mohammed Mossi derart viele starke Paraden, dass für die ugandische Mannschaft mitsamt der 60.000 Zuschauer nur ein Schluss blieb: Der Keeper müsse über geheime Zauberkräfte verfügen und "Juju" einsetzen - eine Praxis, bei der Gegenstände verhext werden und Magie entfalten.

"Ein ugandischer Spieler versuchte, Mossi die Torwarthandschuhe auszuziehen, ein anderer begann, mit seinen Händen hinter der Torlinie zu graben, um das Juju zu finden", berichtete der britische "Guardian" von der Partie. "Das war es. Chaos. Die Mutter und der Vater aller Schlägereien. Überall blutbefleckte Trikots. Ein ugandischer Spieler stand von der Ersatzbank auf und schlug Ruandas Jimmy Gatete mit seinem Schuh auf den Kopf." Ebenjener Gatete entschied das Spiel schließlich zugunsten Ruandas mit 1:0.

Schiedsrichterball auf der Torlinie

Eine weitere skurrile Geschichte aus einem Qualifikationsspiel erzählt der deutsche Trainer Rudi Gutendorf in seinem Buch "Mit dem Fußball um die Welt". Der 2019 verstorbene Weltenbummler coachte die tunesische Auswahl bei zwei Qualifikationsspielen für den Afrika-Cup 1962. Beim Rückspiel gegen Nigeria in Tunis sollen die Gegner den Platz "ganz in Weiß" betreten haben, "ihnen voraus ein Medizinmann voller Ehrenzeichen, der irre Beschwörungen murmelt, die in wildem Kampfgebrüll enden".

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Wirklich wild soll es aber während des Spiels geworden sein. Nigerias Keeper hielt demnach einen harmlosen Schuss auf der Linie, der Referee entschied aber auf Tor. Die Nigerianer beschwerten sich so bitterlich, dass der Schiedsrichter das Tor zurücknahm und einen Schiedsrichterball verhängte - auf der Torlinie. Daraufhin versammelte sich das gesamte tunesische Team vor dem Tor und warf sich in den vom Schiedsrichter hochgeworfenen Ball, der Treffer zählte endgültig. Obwohl die Nigerianer wegen eines Sieges im Hinspiel virtuell noch weiter gewesen wären, verweigerten sie den Anstoß - und verließen angeführt vom Medizinmann den Platz.

Haft wegen Taktik

Ein anderer deutscher Globetrotter-Trainer war Peter Schnittger, der in seiner Karriere fast ausschließlich im afrikanischen Fußball arbeitete. 1972 coachte er beim Afrika-Cup die Auswahl von Gastgeber Kamerun. Im Halbfinale erwartete das gesamte Land gegen Außenseiter Kongo nichts anderes als den Finaleinzug - doch zur Pause lag Schnittgers Kamerun nach schwacher Leistung mit 0:1 zurück.

Auf dem Weg in die Kabine stellte sich dem Coach ein Mann in den Weg, forderte diverse Auswechslungen und eine Änderung der Taktik. Schnittger wehrte mit der Begründung ab, dass er sich "von einem Laien nichts sagen lasse". Dumm nur: Der Mann war Kameruns Kultusminister und vom auf der Tribüne sitzenden Staatspräsident Ahmadou Ahidjo persönlich geschickt worden. Schnittger hielt an seiner Taktik fest - und verlor das Spiel. Berater des verärgerten Ahidjo forderten anschließend, Schnittger für seine schlechte Trainerleistung inhaftieren zu lassen. Der Präsident lehnte aber ab - und Schnittger blieb noch bis 1974 Trainer.

Das Dänemark Afrikas

Was in der EM-Historie Dänemark 1992 ist, das ist in der Historie des Afrika-Cups Ghana 1982. Die "Black Stars" holten damals ihren vierten Titel - obwohl sie eigentlich gar nicht hätten teilnehmen sollen. Zwar hatte sich die Nationalmannschaft qualifiziert, doch die Regierung um Präsident Hilla Limann boykottierte das Turnier, weil es in Libyen stattfand - und Ghana alle diplomatischen Beziehungen mit dem von Muammar al-Gaddafi regierten Land eingestellt hatte.

Am Silvestertag 1981 - gut zwei Monate vor Start des Turniers - wurde Limanns Regierung durch einen Militärputsch gestürzt. Der neue Präsident Jerry Rawlings galt als großer Bewunderer Gaddafis - und ordnete höchstpersönlich die Teilnahme der Nationalmannschaft am Afrika-Cup an. Die Mannschaft, die wegen des fehlenden Ziels über ein halbes Jahr lang kein Spiel bestritten hatte, stürmte prompt zum Titel. Der Finalgegner: natürlich Libyen.

Drinks, die Karrieren zerstören

Die vielleicht größte Sensation in der jüngeren Geschichte des Turniers gelang Sambia im Jahr 2012. Angeführt vom französischen Trainer Hervé Renard holte sich der Außenseiter im Finale gegen die Elfenbeinküste - wiederum nach Elfmeterschießen - den Titel. Dabei war es schon während der Gruppenphase im Team zum Eklat gekommen.

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Vier Spieler waren aus dem Quartier ausgebrochen und hatten sich die Nacht mit einigen Drinks um die Ohren geschlagen. Alle erhielten eine Geldstrafe und sollten sich vor der gesamten Mannschaft entschuldigen. Ausgerechnet Clifford Mulenga, 2007 noch zum besten Jugendspieler Afrikas gewählt und eine der größten Hoffnungen der Fußballnation, weigerte sich aber - und wurde in der Folge suspendiert. Auf dem Siegerfoto finden sich somit nur 22 statt der eigentlich 23 Spieler. Mulenga selbst sprach später offen darüber, zu dieser Zeit süchtig nach Bier gewesen zu sein. "Alkohol hat meine Karriere ruiniert", sagte er 2020. Für Sambia spielte er nie wieder.

Drei Millionen für kein Tor

Die Republik Niger gehört zu den zehn ärmsten Ländern der Welt. Umso sensationeller war es, dass sich die Nationalmannschaft des Landes 2013 zum zweiten Mal in Folge für den Afrika-Cup qualifizierte. Dann wurde der Verband allerdings von der Realität eingeholt: Es stand schlichtweg kein Geld zur Verfügung, um die Vorbereitung und Teilnahme an der Endrunde in Südafrika zu finanzieren. So bediente man sich eines im Profifußball eher ungewöhnlichen Mittels: einer live im Staats-Fernsehen übertragenen Spendensendung.

Die Aktion nur zwei Wochen vor Turnierbeginn wurde zur nationalen Angelegenheit: Gesendet wurde aus dem Kongresspalast, die Moderation übernahm Premierminister Brigi Rafini - mit Erfolg: Die benötigte Summe von umgerechnet gut drei Millionen Euro kam tatsächlich zusammen, wobei der bettelarme Staat selbst für rund die Hälfte aufkam. Beim Turnier gelang dann beim 0:0 gegen den Kongo immerhin ein Achtungserfolg - in allen drei Gruppenspielen aber kein eigenes Tor.

Michael Bächle

Finals beim Afrika-Cup seit 2000: Immer wieder Elfmeterschießen