Wer bei der Situation in Gladbach von einer Momentaufnahme spricht oder die Freiburg-Blamage als einmaligen Ausrutscher abtut, der irrt, sogar gewaltig. Letztendlich reiht sich die Niederlage, auch wenn das 0:6 alle vorangegangenen Pleiten in den Schatten stellt, nur ein in die Liste der großen Enttäuschungen und der rätselhaften Aussetzer in diesem Jahr.
Das Problem ist: Die Champions-League-reifen Vorstellungen wie der rauschhafte 5:0-Triumph gegen den FC Bayern im Pokal oder das 1:0 gegen Borussia Dortmund überstrahlen gefährlich oft die vielen Bauchlandungen dazwischen und scheinen die Beteiligten im Borussia-Park zu lange zu blenden, vor allem die Spieler selbst.
Zahlen sprechen eine deutliche Sprache
Denn die Wahrheit sieht so aus: In der Jahrestabelle rangiert Gladbach gerade einmal auf Platz 11! Nur 49 Punkte wurden in den bisherigen 35 Bundesligaspielen 2021 erspielt. Weniger, klar, als Bayern (82), Dortmund (72) oder Leipzig (55). Aber auch weniger als Frankfurt (61!), Mainz (54), Freiburg (53), Union Berlin (52) oder Hoffenheim (51).
Und das mit einem Luxus-Kader, der seit Sommer 2019 keinen Substanzverlust mehr durch den Abgang eines Stars erlitten hat - und entsprechend viel kostet. Auch wenn es die Verantwortlichen im Borussia-Park höchstwahrscheinlich ganz anders sehen: Ein zweites Jahr in Folge ohne Europapokal käme einem Scheitern auf allen Ebenen gleich.
Viele Fragen drängen sich auf
Sieht kein Mentalitätsproblem bei der Fohlenelf: Max Eberl. imago images/Revierfoto
Aber selbst wenn Adi Hütter die Fohlen im nächsten Mai zurück ins internationale Geschäft führt, schreit dieser Kader nach Veränderungen. Wo waren gegen Freiburg die Leader in Abwehr und Mittelfeld, die sich wehren und das Chaos ordnen? Warum erweckt diese Mannschaft immer wieder den Eindruck, dass sie sich von den vermeintlich Kleineren den Schneid abkaufen lässt? Warum läuft das Team im Derby gegen Köln fünf Kilometer weniger als der Gegner, gegen Freiburg sogar sieben?
Von einem Mentalitätsproblem will Sportdirektor Max Eberl partout nichts wissen. Doch nicht zuletzt die vielen schwachen Auswärtsleistungen, siehe unter anderem die Niederlagen in Augsburg oder bei Hertha BSC (jeweils 0:1), zeugen vom Gegenteil. Darüber hinaus scheint die Mannschaft in ihrer Entwicklung generell stehengeblieben zu sein.
Worst-Case-Szenario droht
Auch dafür gibt es Zahlen. Im Jahr 2020, als Gladbach in der Jahrestabelle auf Rang sechs landete, lag der Punkteschnitt bei 1,60 Zählern pro Bundesligaspiel im Vergleich zu 1,40 im laufenden Jahr. Passend dazu werden weniger Tore erzielt (durchschnittlich 1,66 im Vergleich zu 1,90 im Jahr 2020) und mehr kassiert (im Schnitt 1,66, vorher 1,47). Dabei wird seit dem Saisonstart deutlich, dass Hütter sich mit vielen Probleme herumschlagen muss, die auch schon unter Vorgänger Marco Rose auftraten und seitdem nicht gelöst wurden.
Aber: Neue Wege in Sachen Personalplanung einzuschlagen, gestaltet sich für die Borussen schon von der rein wirtschaftlichen Seite her extrem schwierig. Finanziell sind den Gladbachern durch Corona, das Verpassen des Europapokals und fehlende Erlöse über Spielerverkäufe die Hände gebunden - und in den Fällen von Matthias Ginter, Denis Zakaria und Jordan Beyer (Verträge laufen aus) droht für nächsten Sommer sogar das Worst-Case-Szenario: ein ablösefreier Abgang.
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