Bundesliga

Die erste Rote Karte der Bundesliga vor 50 Jahren: "Wie an der Ampel"

Erster Platzverweis der Geschichte

Die erste Rote Karte der Bundesliga vor 50 Jahren: "Wie an der Ampel"

Schrieb mit dem ersten Platzverweis Bundesliga-Geschichte: Friedel Lutz.

Schrieb mit dem ersten Platzverweis Bundesliga-Geschichte: Friedel Lutz. imago images

Der Sünder selbst hat den historischen Moment gar nicht als solchen wahrgenommen. "Mir war sofort klar, dass ich vom Platz gestellt werde. Zu diesem Zeitpunkt war mir aber nicht bewusst, dass ich mit meinem Foul mal in die Bundesligageschichte eingehen werde", erzählt Friedel Lutz. Warum auch? Ein Platzverweis an sich war auch 1971 nichts Ungewöhnliches, vor Lutz wurden seit Gründung der Bundesliga 1963 bereits 80-mal Spieler verfrüht in die Kabine geschickt.

Doch die Umstände an jenem 3. April machten den Feldverweis zu etwas Besonderem. Denn wenige Wochen zuvor, am 12. Januar 1971, hatte der DFB-Spielausschuss ein Instrument eingeführt, das aus dem heutigen Fußballspiel gar nicht mehr wegzudenken ist: Gelbe und Rote Karten.

Für die Premiere des roten Kartons sorgte eben Lutz, dabei spielte dieser nie unfair, ganz im Gegenteil. Nur einmal in seinen 211 Bundesligaspielen musste der pfeilschnelle Abwehrspieler vorzeitig vom Feld. Und dieser Moment ist auch nicht dafür verantwortlich, dass der Briefkasten der Familie Lutz in Friedels Geburtsort Bad Vilbel noch heute regelmäßig von Fanpost überflutet wird.

Fanpost bis zum heutigen Tag

"Fast täglich liegt etwas zum Unterschreiben im Briefkasten", erzählte der Hesse im Gespräch mit dem kicker anlässlich seines 80. Geburtstags vor zwei Jahren stolz. Es ist der Gewinn der Deutschen Meisterschaft 1959, errungen ausgerechnet gegen den Erzrivalen aus Offenbach mit einem 5:3 nach Verlängerung in Berlin, der Lutz mehr als 60 Jahre später noch zur gefragten Person macht. Für die Eintracht schnürte er von 1957 bis 1973 die Fußballschuhe, unterbrochen nur von einem einjährigen Intermezzo beim TSV München 1860 in der Saison 1966/67.

Lutz kann sich "gar nicht richtig erinnern"

Über die Grenzen der hessischen Stadt hinaus ist es dann wieder mehr dieser eine Moment, der in Erinnerung blieb. Am 27. Spieltag der Saison 1970/71 führte die Frankfurter Eintracht mit 2:1 gegen Eintracht Braunschweig, als sich Lutz für einen kurzen Moment nicht mehr beherrschen konnte und Schiedsrichter Wilfried Hilker erstmals in der Bundesliga die Rote Karte zeigte. Noch etwas aufgewühlt wehrte er die Fragen der Reporter damals ab. "Ich kann mich gar nicht richtig erinnern, wie das passiert ist. Bei mir ist alles durcheinander", wird Lutz in der kicker-Ausgabe vom 5. April 1971 nach dem auch in Unterzahl ungefährdeten 5:2-Erfolg zitiert.

50 Jahre später kann er mit einem Schmunzeln auf die Geschehnisse im Waldstadion zurückblicken. "Der Gegenspieler Jaro Deppe von Braunschweig hat mir auf meine verletzte Achillessehne getreten. Der Schmerz war so groß, dass ich ihm daraufhin in seinen Allerwertesten getreten habe", berichtet der zwölfmalige Nationalspieler, für den die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 1966 "neben der Meisterschaft mit der Eintracht der größte Moment meiner Profikarriere" war.

Rattins Platzverweis und Astons Geistesblitz

Wie es der Zufall will, war es genau dieses Turnier in England, das die farbigen Karten erst ins Spiel brachte. Bei der Partie Argentinien gegen England spielten sich groteske Szenen ab, die den Zuschauern wohl sonst nur vom Dorfplatz bekannt waren: Als der deutsche Schiedsrichter Rudolf Kreitlein den argentinischen Kapitän Antonio Rattin vom Feld schickte, weigerte sich dieser zu gehen. Erst nach sieben Minuten andauernden Diskussionen und im Beisein von Polizisten verließ der Argentinier den Rasen des Wembleystadions. Er soll zuvor einen Dolmetscher gefordert haben, er wolle Kreitleins Gesten schlichtweg nicht verstanden haben. Die tumultartige Szene hatte Folgen, Missverständnisse und Kommunikationsprobleme sollten aus dem Weg geräumt werden. Die Lösung sollte nicht lange auf sich warten lassen - zumindest die Idee.

Als der frühere Referee Ken Aston, bei der WM 1966 für die FIFA als Schiedsrichterbetreuer dabei, sich auf dem Rückweg vom Spiel zum Hotel durch den Großstadtverkehr Londons kämpfte, kam ihm ein Geistesblitz. "Als ich die Kensington High Street hinunterfuhr, sprang eine Ampel auf Rot. Ich dachte: Gelb, Achtung; Rot, Stopp, du fliegst runter", ist als Zitat des Engländers überliefert.

WM 1970: Weltpremiere für die bunten Karten

Am nächsten Tag soll er Kreitlein von seiner Eingabe erzählt haben, der sich begeistert davon zeigte und umgehend die FIFA-Gremien einbezog. Für Spieler und Zuschauer sollte fortan klar ersichtlich sein, wer verwarnt und wer des Platzes verwiesen wurde. Vier Jahre später, bei der WM 1970, war es dann so weit: Die bunten Karten gaben ihre Weltpremiere.

Auch dort war ein deutscher Schiedsrichter beteiligt: Der Mannheimer Kurt Tschenscher leitete das Auftaktspiel zwischen der UdSSR und Mexiko, in dem er schon in der ersten Halbzeit zweimal die Gelbe Karte zog. Die Rote Karte blieb in diesem Turnier unbenutzt, kam erst vier Jahre später in Deutschland erstmals auf der WM-Bühne zum Einsatz.

Nowotny hält den Rekord: Fünfmal Rot, dreimal Gelb-Rot

Nach dem gelungenen Experiment beim FIFA-Turnier zogen die Nationalverbände nach. Zum Saisonstart 1970 kam die Neuerung noch zu früh, doch in der Winterpause ebnete auch der DFB den Weg. Bis heute kam der rote Karton insgesamt 1012-mal zum Einsatz. Hinzu kommt die Gelb-Rote Karte, die erst zur Saison 1991/92 eingeführt wurde und seitdem 1210-mal zum Mittel der Wahl wurde. Rekordhalter in puncto Platzverweise ist Jens Nowotny, der in 336 Bundesligaspielen gleich fünf Rote und drei Gelb-Rote Karten sah.

Diese Marke könnte irgendwann fallen, die Premiere aber gehört für immer Lutz. Dessen eigenes Spiel sich durch die Einführung der Karten damals nicht verändert hat ("Im Spiel denkt man nur ans Gewinnen und nicht an irgendwelche Folgen wie Gelbe und Rote Karten") - den Fußball aber hat Astons Idee revolutioniert.

Moritz Kreilinger