Bundesliga

Meisterschaft von Hannover 96 1954: Das Wunder von Hamburg

Als Hannover 96 1954 sensationell Meister wurde

Das Wunder von Hamburg

Strahlemänner: die Hannoveraner Meistermannschaft aus dem Jahr 1954.

Strahlemänner: die Hannoveraner Meistermannschaft aus dem Jahr 1954. imago sportfotodienst

Norddeutschland wartete 16 Jahre lang auf einen Meistertitel. 1954 war die Überraschung dann ähnlich groß wie 1938, und wieder gelang sie demselben Klub. Nicht der große Hamburger SV, Abonnements-Meister der Oberliga von 1948 bis 1963, sondern der "kleine HSV", der Hannoversche Sportverein von 1896, gewann die Nord-Meisterschaft - und anschließend die Schale, und das sensationell mit 5:1 als krasser Außenseiter gegen das Star-Ensemble des 1. FC Kaiserslautern.

Im Finale musste Trainer Helmut Kronsbein auf Defensivmann Willi Hundertmark verzichten. Stattdessen setzte Kronsbein auf Youngster Rolf Gercke, und Kapitän Werner Müller sollte die Kreise des Spielmachers Fritz Walter einengen.

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Doch die 80.000 im Hamburger Volksparkstadion, davon angeblich ein Viertel aus Hannover, sahen zunächst den vermeintlich logischen Verlauf: das 1:0 für den Favoriten aus der Pfalz durch Horst Eckel, das dann aber Hans Tkotz egalisierte und Lauterns Werner Kohlmeyer gleich zu Beginn der zweiten Halbzeit per Eigentor in ein 2:1 für 96 umwandelte. Den weiteren Fortgang des intensiven Kampfspiels ahnte Kronsbein in der Pause. "Als ich beim Verlassen der Kabine in das zerquälte Gesicht Fritz Walters blickte, wurde es hier Gewissheit: Wenn wir mit 2:1 in Front liegen, bricht dieses Kaiserslautern wie ein Kartenhaus zusammen!", schrieb der Coach in seinen Memoiren.

Ein Pfostentreffer Ottmar Walters noch, danach war der Lauf der "Roten", die wegen der traditionellen Trikotfarbe der "Roten Teufel" aus Kaiserslautern in ungewohntem Grün angetreten waren, nicht mehr zu stoppen.

Acht Hannoveraner mit neuen Schuhen

Der 23. Mai 1954 wurde so zur Sternstunde für 96 - und auch zum Tag der kleinen Geschichten am Rande. Etwa der von den neuartigen Schraubstollenschuhen, die acht Hannoveraner Spieler im Endspiel trugen. Noch immer streiten der damalige Ausrüster Puma und Adidas, das mit ähnlichem Schuhwerk kurz darauf die deutschen Weltmeister in der Schweiz bestückte, wer die bahnbrechende Erfindung als Erster zum Einsatz brachte.

96 aber feierte - und ließ sich feiern. Viele Tausend versammelten sich zum Empfang in der Innenstadt. Der Verkehr kam zum Erliegen, euphorisierte Anhänger und sogar Schaffner der steckengebliebenen Straßenbahnen kletterten auf die Dächer ihrer Wagen, um einen Blick auf den Triumphzug der Überraschungssieger zu erhaschen.

Jenseits von Niedersachsen gab der Überraschungserfolg derweil nicht nur Anlass zur Freude, sondern auch zur Nachdenklichkeit. Die WM 1954 stand bevor, und gleich fünf Nationalspieler aus Kaiserslautern waren gegen Hannover regelrecht untergegangen. Hatte sich Bundestrainer Sepp Herberger, ein guter Bekannter von Helmut Kronsbein, für die richtigen Akteure entschieden? Die Antwort lieferte die DFB-Elf wenige Wochen später.

Dieser Text erschien erstmals 2012 in der kicker-Edition "100 Deutsche Meister"

Michael Richter

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