Bundesliga

Boateng: "Ich will Berlin etwas zurückgeben"

Herthas Neuer über Heimkehr, Fitness und seinen Antrieb

Boateng: "Ich will Berlin etwas zurückgeben"

Locker und voller Vorfreude präsentierte sich Kevin-Prince Boateng bei der Medienrunde.

Locker und voller Vorfreude präsentierte sich Kevin-Prince Boateng bei der Medienrunde. imago images

Der Trainingsstart am Mittwoch in Berlin, das erste Testspiel am Donnerstag im Trainingslager in Neuruppin: Kevin-Prince Boateng steht im Mittelpunkt. Die Mitspieler suchen ihn, die Fans belagern ihn. Und sein Trainer Pal Dardai sagt über Kevin-Prince Boateng: "Er kann Fußball spielen. Bei ihm ist die körperliche Verfassung entscheidend. Ich gehe nicht davon aus, dass er 30 Saisonspiele macht." Boatengs Rolle ist anders angelegt. Er soll seine Erfahrungen aus 14 Jahren in der Fremde weitergeben. "Er hilft uns in der Kabine und bei jedem Training", sagt Dardai, der zwischen 2005 und 2007 im Hertha-Mittelfeld mit dem damaligen Toptalent zusammengespielt hatte.

Boateng kommt nicht als der zurück, als der er ging. Er ist im Spätherbst seiner Karriere und "erwachsener geworden". Man hört es an seinen Antworten, man sieht es an seiner aufgeräumten Art. Da ruht einer in sich, weil er sich nichts mehr beweisen muss - und weil sich mit seiner letzten Karriere-Station der Kreis schließt. In einer Medienrunde auf der Terrasse des Mannschaftshotels in Neuruppin, idyllisch am See gelegen, sprach Boateng am Freitagmittag über …

… seine Rückkehr: "Ich hatte ja gesagt, sobald ich das Trikot überziehe, bin ich wieder zu Hause. Aber ich kann es bisher noch gar nicht glauben, dass ich das, was ich mir so erträumt habe, leben darf. Ich brauch' noch ein bisschen Zeit. Aber es ist jetzt schon wunderschön. Ich habe seit knapp fünf Jahren daran gearbeitet. Ich wollte schon früher nach Hause kommen. Ich habe letztens gelesen, dass Pal mich schon vor vier Jahren wollte. Da hätte er mich einfach anrufen sollen (lacht). Es gibt aber immer mehrere Köpfe. Und bei Hertha gab ein paar, die das nicht so gesehen haben oder nicht daran geglaubt haben, dass es funktionieren könnte oder dass es gut wäre. Daran hat es leider gehakt. Ich war schon vor fünf Jahren bereit, wieder nach Hause zu kommen."

Ich habe nur einen Traum - mir das Trikot noch einmal überzustreifen im Olympiastadion.

Kevin-Prince Boateng

… die Konstellation mit Fredi Bobic: "Mein sehr guter Freund Taban Jafari und ich haben vor anderthalb Jahren angefangen, intensiv mit Hertha zu reden, wo wir mit Michael Preetz Kontakt hatten. Der war nicht so überzeugt, was auch okay ist. Er hätte mich nur mal zurückrufen können. Dann kam Fredi, dann war es natürlich einfacher. Wir kennen uns sehr, sehr gut. Hätte er Nein gesagt, wären wir weiter Freunde geblieben. Aber er hat gesagt, da ist eine Möglichkeit, und dann ging es ganz schnell. Weil die Idee jedem gefallen hat. Ich habe Fredi gesagt: Ich habe nur einen Traum - mir das Trikot noch einmal überzustreifen im Olympiastadion. Da hat er gesagt: Dann werden wir alles dafür tun, diesen Traum wahrzumachen."

… seine ersten Eindrücke: "Das ist schwierig nach ein, zwei Tagen. Baustellen sieht man noch nicht. Auch weil wir noch nicht ins Taktische gehen. Wir bauen erstmal die Fitness auf, die alle brauchen. Es ist eine junge Truppe, die Führung braucht. Das wusste ich vorher, aber darauf freue ich mich auch. Natürlich kann man sehen, wer schon begabt ist, wer stark ist, wer bereits über seinem Level spielt. Marton Dardai ist schon sehr, sehr stark. Das sieht man sofort, und gerade ich, der Fußball kennt, hat das nach fünf Minuten erkannt."

… Führung: "Das kommt immer darauf, welcher Charakter in der Mannschaft steckt. Die Jungs brauchen Hilfe. Sie hatten eine schwierige Saison. Am Ende habe sie es nach der Quarantäne überragend gemacht. Sie sind zurückgekommen, haben gefightet und Spiele gewonnen. Das war stark, da haben sie Charakter gezeigt. Aber in die Situation wollen wir nicht nochmal kommen. Deswegen brauchen die Jungs vielleicht hier und da Hilfe. Vom Trainer, von mir, von einem erfahrenen Spieler, der weiß, in welcher Situation man was machen muss."

… Mentalität: "Man sieht bei der EM, was Teamgeist bringen kann. Davon kannst du was lernen. Fußball spielen können sie alle, aber du musst den Willen und die Leidenschaft mitbringen. Das fehlt der Jugend heutzutage manchmal. Wenn du das reinkriegst in die Köpfe, kannst du Sachen gewinnen oder machen, an die keiner geglaubt hat, wie wir damals in Frankfurt. Das werde ich den Jungen bei Hertha versuchen, in den Schädel zu hauen. Die 19-, 20-Jährigen hier in der Mannschaft haben so viel Talent, aber Talent allein reicht halt nicht. Ich hab's mit 23, 24 gelernt, als ich nach Mailand gekommen bin. Da waren so viele Superstars in der Kabine, da wusste ich: Wenn du hier nicht arbeitest, spielst du keine Minute. Wenn die Jungs es hier mit 19, 20 verstehen, stehen ihnen alle Türen offen."

… den Wechsel aus der Serie B in die Bundesliga: "Ich weiß, ich muss arbeiten. Die Bundesliga ist noch athletischer geworden, die Jungs sind noch jünger geworden. Die können alle laufen ohne Ende. Zum Glück habe ich ein gutes Stellungsspiel (lacht). Nein, ich muss arbeiten."

… seine Fitness: "Ich glaube, in der ersten Woche ist niemand fit. Dafür ist das Trainingslager da. Jeder weiß, wie alt ich bin. Jeder weiß, was ich für eine Karriere hinter mir habe. Ich kann mich auch einordnen. Ich weiß, wann ich bei 100 Prozent bin und wann nicht. Das ist das Gute, dass man auch in der Hinsicht die Erfahrung hat, zu wissen, dass ein Jüngerer an dem Tag spielen sollte und ich vielleicht das Spiel danach. Ich bin hier nicht hergekommen und sage, ich bin Prince Boateng, ich muss jedes Spiel spielen. Wenn ich das gemacht hätte, hätte ich irgendwo anders bleiben müssen. Es kann sein, dass ich alle Spiele mache. Es kann auch sein, dass ich nur vier mache. Da gebe ich mir nichts vor. Ich will fit werden, will mich gut fühlen und dann helfen, wo ich kann."

Boateng: "Das ist definitiv meine letzte Station"

… einen speziellen Fitnessplan: "Pal meinte, Ü-30-Spieler haben einen speziellen Plan. Heute hat er gefragt, wer ist Ü 30? Da habe nur ich meine Hand gehoben, und Pal meinte: Dann ist Prince alleine. Aber ich freue mich drauf, denn es wird bestimmt weniger als bei den anderen (lacht)."

… seine restliche Karriere: "Das ist definitiv meine letzte Station. Ich habe keine Lust mehr herumzureisen. Ich weiß nicht, wie lange es noch geht, aber es reicht langsam."

… seine Wahrnehmung von Hertha: "Positiv ist, dass sie sehr viel auf die Jugend bauen. Sie geben Jugendspielern die Chance, in jungen Jahren die große Bühne zu sehen, im Olympiastadion zu spielen. Das war früher nicht so. Wir mussten damals die Besten in ganz Deutschland sein, um die Chance zu haben, für Hertha zu spielen."

… junge Spieler früher und heute: "Zum Glück gibt es Unterschiede (lacht). Die jungen Wilden, wie wir sie früher waren, gibt es heute nicht mehr. Und das ist auch gut so. Die Jungs heute sind fokussierter, konzentrieren sich mehr auf ihren Sport. Sie sind nicht mehr so verrückt, wie wir es früher waren. Ganz ehrlich: Solche Typen fehlen mir manchmal, die sind am Aussterben."

Boateng: "Messi ist ja auch noch frei"

… Herthas Ziele: "Hertha will in naher Zukunft Europa spielen, da brauchst du Erfahrung und Tiefe im Kader. Daran arbeiten alle. Ich habe mir in den letzten zwei Jahren Herthas Spiele intensiv angeschaut. Das schlaucht natürlich, immer gegen den Abstieg zu spielen, in letzter Sekunde den Klassenerhalt zu schaffen. Wir werden alles dafür tun, dass es diese Saison viel besser läuft."

… mögliche Neuzugänge, nachdem er vor einem Jahr angeregt hatte, dass Hertha Julian Draxler und Mario Götze holen solle: "Draxler hat gerade bei PSG verlängert, und Götze fühlt sich wohl in Eindhoven. Wenn ich irgendwo helfen kann, mache ich das. Das war auch bei mir so. Wenn ich die Möglichkeit hatte, habe ich Spieler angerufen und gefragt: Wie ist es da, was kann man da machen? Oder man fühlt sich zu einem Klub hingezogen, weil schon ein größerer Spieler da ist. Ich weiß aber nicht, was Fredi Bobic noch vorhat. Messi ist ja auch noch frei (lacht)."

… die Karriere nach der Karriere: "Die TV-Experten-Rolle (in der ARD, d. Red.) hat mir gefallen. Das könnte ich mir vorstellen, ab und zu im Fernsehen zu sitzen und Deutschland zu zeigen, wie man einen Anzug trägt. Das ist nicht so schlecht."

… seinen Weggang von Hertha 2007 zu Tottenham: "Ich bin nicht nur weggegangen, ich wurde auch ein bisschen weggeschickt. Ich kann das verstehen, sie haben ja ein bisschen Geld bekommen (7,8 Millionen Euro, d. Red.). Im Rückblick hätte ich noch zwei oder drei Jahre in Berlin bleiben können oder sogar müssen. Aber ich hatte damals keine Angst. Ich habe gesagt, ich schaffe alles allein und bin nach London gezogen."

Boateng: "Alles ist wie ein Top-Klub aufgebaut, das war damals nicht so"

… Hertha damals und Hertha heute: "Zecke ist noch da (lacht). Das Trainingsgelände ist komplett anders. Alles ist wie ein Top-Klub aufgebaut, das war damals nicht so. Die Seele ist immer noch die Gleiche. Das hat Hertha so stark gemacht, dass Pal, Arne und Zecke da sind, die noch die richtige Hertha kennen. Auch Fredi hat hier gespielt. Ich hab' mit den Vieren noch zusammengespielt, das passt schon. Es ist sehr wichtig, dass du diese Hertha-DNA im Verein behältst."

… Identifikation: "Das Wichtigste ist, dass du dich identifizierst. Das Wappen oder Emblem, das du da gerade trägst, ist kein Durchgang. Ich habe so viele Vereine gewechselt. Aber ich habe verstanden, dass es für einen Fan das Leben ist. Du musst nicht sagen, es ist mein Lieblingsverein oder ich sterbe für den Verein, aber du musst eines respektieren: Der Fan trägt das Wappen auf der Brust, weil es sein Leben ist. Dafür musst du als Spieler arbeiten."

… Herthas Hoffnung auf eine Verpflichtung seines Bruders Jerome Boateng: "Wenn ich irgendwann Sportdirektor bin, kann ich darauf antworten. Ich hab' keine Ahnung, was Fredi vorhat, was Jerome vorhat. Ich hab' hier so viel zu tun, dass ich keinen Kopf habe für andere Sachen."

… die Saison: "Ich hab' viele Sachen vor in dem Jahr. Ich will Berlin etwas zurückgeben: nicht nur Hertha, sondern auch der Stadt. Ich habe Berlin und Hertha zu danken dafür, dass ich das schaffen konnte, was ich geschafft habe. Es wird kleine Überraschungen geben, die ich jetzt noch nicht preisgeben kann. Es wird auf jeden Fall ein buntes Jahr."

aufgezeichnet von Steffen Rohr

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