Europa League

Darum startete Victor Osimhen nach dem VfL Wolfsburg durch

Einer der begehrtesten Stürmer in Europa

Bald 100 Millionen Euro? Darum startete Osimhen nach Wolfsburg durch

Reiht bei Napoli Tor an Tor: der Ex-Wolfsburger Victor Osimhen.

Reiht bei Napoli Tor an Tor: der Ex-Wolfsburger Victor Osimhen. Getty Images

Die Geschichte des jungen Victor Osimhen liest sich wie ein modernes Märchen. Es war der Fußball, der Osimhen den Weg aus einem Slum in der nigerianischen Metropole Lagos wies. Über die 'Ultimate Strikers Academy' schaffte er den Sprung zur nigerianischen U-17-Auswahl. Mit dieser ging sein Stern bei der WM 2015 in Chile auf: Er wurde Torschützenkönig und zum zweitbesten Spieler gewählt. Die europäischen Klubs standen Schlange.

In Wolfsburg fand Osimhen kein Glück

Doch Osimhen entschied sich damals statt für "Arsenal, Fiorentina oder Inter" für den VfL Wolfsburg. "Meine Entwicklungschancen sind hier am besten", sagte er, nachdem er wenige Tage nach seinem 18. Geburtstag zum 1. Januar 2017 offiziell VfL-Profi geworden war. "Wolfsburg ist der beste Ort für mich, um meine Karriere zu starten." Ein Irrtum, wie sich herausstellen sollte.

Denn bei den Niedersachsen, die damals in sportlich schwieriges Fahrwasser gerieten, geriet sein rasanter Aufstieg jäh ins Stocken. Wegen einer Verletzung samt anschließender Operationen sowie einer Malaria-Infektion auf Heimatbesuch verlor Osimhen komplett den Anschluss an das Team. Aus dem hoffnungsvollen Sturmjuwel wurde ein Missverständnis. Nach enttäuschenden zweieinhalb Jahren kam es bereits im Sommer 2018 wieder zur Trennung.

Statt - mindestens - einen Schritt nach vorne gemacht zu haben, stand Osimhen an einem entscheidenden Scheidepunkt seiner jungen Karriere. Und dass diese wieder an Fahrt aufnehmen würde, war im Sommer 2018 keinesfalls sicher. Doch dreieinhalb Jahre später steht Osimhen wieder auf den Einkaufszetteln der europäischen Topklubs. Und mittlerweile werden auch die ganz Großen der Branche, wie die spanischen Schwergewichte Real Madrid und der FC Barcelona, die finanzstarken englischen Großklubs aus Manchester und London oder das nicht minder ausgestattete PSG mit ihm in Verbindung gebracht. Was hat sich seit seinem Weggang aus Wolfsburg getan?

"Liebe und Akzeptanz" halfen Osimhen in Charleroi

Sein Wechsel im Sommer 2018 zu RSC Charleroi erwies sich als erster Wendepunkt. Zunächst wollte Osimhen aber eigentlich gar nicht nach Belgien, nachdem es zuvor bei Zulte-Waregem und beim FC Brügge wegen Bedenken an seiner körperlichen Eignung nicht mit einem Engagement geklappt hatte. Sein Berater drängte aber auf einen Wechsel nach Charleroi - und setzte sich durch. Ein Glücksfall: In Charleroi fand Osimhen sein verlorenes Selbstvertrauen sowie seinen verschütteten Torinstinkt wieder und erzielte in 36 Pflichtspielen 20 Tore. "Die Liebe und Akzeptanz, die ich in Charleroi erfahren habe, haben sehr geholfen“, erklärte er bei DAZN den Grund für seine Steigerung. Anders als in Wolfsburg fand Osimhen in Charleroi das stabile Umfeld und die 'Nestwärme', die er benötigt, um sein Können zu zeigen.

Mentor Luis Campos: "Er hat mir geholfen und mich motiviert, der Spieler zu werden, der ich heute bin"

Nur wenige Kilometer von Charleroi entfernt war ein gewisser Luis Campos damals Sportdirektor von Lille OSC. Der Portugiese hatte den Werdegang Osimhens bereits seit dessen Jugend verfolgt und wollte ihn schon nach der U-17-WM 2015 für Monaco verpflichten. "Dieser Spieler ist unglaublich. In zwei Jahren wird er einer der besten in Europa sein", war sich Campos bei 'Sky Sports' schon damals sicher. Der geplante Transfer scheiterte aber am Einspruch der Bosse.

Vier Jahre später verfolgte Campos Osimhens Aufblühen in Charleroi weiterhin aufmerksam. Und als im Sommer 2019 die Millionen, die der Transfer von Nicolas Pepé zu Arsenal in die Kassen Lilles gespült hatte, reinvestiert werden mussten, nutzte er die Gelegenheit und holte Osimhen im zweiten Anlauf zu sich. Sehr zur Freude auch von Osimhen: "Luis Campos hat in meinem Leben immer eine wichtige Rolle gespielt. Wir haben eine sehr gute Beziehung und ich bin sehr glücklich, er hat mir geholfen und mich motiviert, der Spieler zu werden, der ich heute bin."

Die Zusammenarbeit mit Campos erwies sich als zweiter Glücksfall in der Wiederauferstehung Osimhens. Dieser schlug auf Anhieb ein und erzielte in der wegen Corona vorzeitig abgebrochenen Saison 2019/20 für LOSC in 27 Ligaspielen 13 Tore. Doch Campos hat nicht nur ein besonderes Näschen für Talente, sondern ist ein ebenso versierter Geschäftsmann. Und so veräußerte er Osimhen im Sommer 2020 für gutes Geld an die SSC Neapel.

Osimhen verbessert seine Athletik und sein Kopfballspiel

Seine Debütsaison in Napoli verlief für den Rekordeinkauf der SSC zunächst allerdings schleppend. Lange Zeit kam er über den Status eines Ergänzungsspielers nicht hinaus, in den ersten 28 Ligapartien gelangen ihm nur drei Tore. Dann aber blühte Osimhen auf, eroberte sich einen Stammplatz und schlug bis Saisonende noch siebenmal zu.

Sein Aufwärtstrend sollte sich in der Saison 2021/22 zunächst nahtlos fortsetzen. Osimhen war nun Dreh- und Angelpunkt im Angriff der Partenopei und erzielte bei elf Startelfeinsätzen bis zum 13. Spieltag fünf Tore. Sein Durchbruch in Neapel beweist, dass Osimhen gereift ist - eine weitere Wendung seit seinem Weggang aus Wolfsburg. Denn anders als beim VfL, wo er mit äußeren Umständen wie dem für ihn schlechten Wetter, dem ungewohnten Essen sowie der Einsamkeit fernab der Heimat haderte, nimmt er sich nun verstärkt selbst in die Pflicht: "Er ist ein kluger Junge, der zuhören kann und immer dazulernen möchte", berichtete sein Sturmkollege Dries Mertens gegenüber ESPN aus dem Trainingsalltag mit Osimhen. "Er ist ein großartiger Profi, ein liebenswerter Typ, der sich stetig verbessert."

Mit einer Cristiano-Ronaldo-würdigen Hangtime schickte er den Ball ins Tor."

ESPN über das 1:0 Osimhens gegen Torino

So hat Osimhen an seiner körperlichen Grundkonstitution gearbeitet und kommt deutlich athletischer daher. Was auch seinem Kopfballspiel und damit seiner Torgefährlichkeit zugutekommt: Denn trotz seiner 1,85 Meter Körpergröße mied Osimhen lange Zeit den Luftkampf. "Wir baten ihn zu köpfen, doch er glaubte nicht an die Wirksamkeit seines Kopfballspiels", sagte Osimhens ehemaliger U-17-Nationalcoach Emmanuel Amuneke gegenüber nigerianischen Medien. Das hat sich grundlegend geändert. Nach seinem 1:0-Siegtor am 8. Spieltag gegen Torino wurde er bei ESPN auf eine Stufe mit CR7 gestellt: "Mit einem gewaltigen Sprung und einer Cristiano-Ronaldo-würdigen Hangtime schickte er den Ball ins Tor."

Spalletti: "Er muss noch begreifen, dass er nicht alles alleine lösen kann"

Dennoch ist Osimhen laut Amuneke "immer noch ein Rohdiamant". Der aber bei Napoli "eine großartige Ausbildung" erhält: "Ein großes Lob an Luciano Spalletti (SSC-Coach: d. Red.)." Noch hat Spalletti aber einige Arbeit vor sich. Denn obwohl Osimhen auch taktisch und spielerisch Fortschritte gemacht hat, besitzt er in diesen Bereichen noch Steigerungspotenzial. So setzt er allzu häufig seine Geschwindigkeit und seine Dynamik ein, um möglichst schnell hinter die Abwehrreihen zu gelangen. "Er muss noch lernen, zurückzukommen, seine Teamkollegen zu unterstützen und dann erst einen Lauf zu starten", schrieb ihm sein Sturmkollege Mertens ins Stammbuch.

Zwar hat Osimhen seinen durchschnittlichen Ballbesitz im Vergleich zur Vorsaison gesteigert, doch noch immer zieht er laut ESPN "Ballbesitz als Option für sich zu selten in Betracht, um damit seinen Kollegen zu ermöglichen, nachzurücken." Zudem steht sich Osimhen mit seiner Dickköpfigkeit noch zu häufig selbst im Weg. "Er muss noch begreifen, dass er nicht alles alleine lösen kann", richtete Spalletti einen Rat an seinen Stürmer. "Er hilft der Mannschaft nicht, indem er es allein mit vier oder fünf Gegenspielern aufnimmt."

Napoli-Boss De Laurentiis hört erst "ab 100 Millionen Euro" zu

Doch Spalletti ist sich sicher, die letzten Defizite im Spiel Osimhens ausmerzen zu können und sieht diesen dank seiner Dynamik, seiner Tempoläufe und seiner Torgefahr auf dem Weg in die oberste Riege der internationalen Topstürmer. Damit ist er nicht allein. Wie bereits geschrieben steht Osimhen, der erst Mitte Januar nach einer schlimmen Kopfverletzung wieder in das Geschehen eingreifen konnte, bei etlichen zahlungskräftigen europäischen Klubs auf dem Einkaufszettel.

Egal welcher Verein das Rennen macht, billig wird Osimhen nicht zu bekommen sein: Laut der "Gazzetta dello Sport" ist SSC-Boss Aurelio De Laurentiis erst "ab 100 Millionen Euro" bereit, sich Angebote für Osimhen überhaupt anzuhören. Nachdem dieser im Hinspiel der K.-o.-Runden-Play-offs der Europa League beim FC Barcelona (1:1) torlos blieb, bietet sich ihm im heutigen Rückspiel im Stadio Diego Armando Maradona die nächste Gelegenheit zu beweisen, dass er diesen Preis wert ist.

Jörg Wieserner