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Afrika-Cup: Die besondere Geschichte von Stanley Ratifo

Angreifer trifft auf Ägypten und Salah

Als Fünftligaspieler beim Afrika-Cup: Die besondere Geschichte von Stanley Ratifo

Mal Oberliga-, mal Nationalspieler: Stanley Ratifo beim Schuss für Pforzheim (li.) und Mosambik.

Mal Oberliga-, mal Nationalspieler: Stanley Ratifo beim Schuss für Pforzheim (li.) und Mosambik. IMAGO/Eibner

Und plötzlich war er Nationalheld. Eine jubelnde Menschenmenge am Flughafen. Laute Gesänge und Rufe: Stanley Ratifo, Stanley Ratifo. "Ich wurde auf den Straßen erkannt", sagt er über den Tag im Juni 2017. "Das hat mein Leben in Mosambik verändert."

Kurz zuvor hatte der in Halle an der Saale geborene Ratifo, damals 22 Jahre alt, das Siegtor im prestigeträchtigen Duell mit Nachbarland Sambia erzielt. In seinem ersten Länderspiel. In der 90. Minute, natürlich. "Es war ein unbeschreibliches Gefühl, plötzlich von so vielen Menschen gefeiert zu werden", erklärt er dem kicker. "Zurück in Deutschland kannte mich dann wieder niemand."

Mit diesem Spagat lebt Ratifo seitdem. In Mosambik ein Star, in Deutschland ein Fünftligakicker. Wobei: Ein gewöhnlicher Amateurfußballer ist Ratifo auch wieder nicht. Wäre er auch nicht, wenn er nicht Nationalspieler wäre. Denn Ratifo ist nicht nur Fußballspieler, sondern auch Musiker. Auf Spotify hat er knapp 9000 Hörer monatlich, sein bekanntestes Lied "PradaShades" steht bei 224.000 Streams.

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"Eine bedeutende Leidenschaft" ist die Musik für ihn - und gleichzeitig der Grund, dass er heute für den CfR Pforzheim aufläuft. Denn eigentlich hatte er mit dem Fußball schon abgeschlossen. Zwar macht Ratifo 2014 vier Drittligaspiele für den Halleschen FC, doch auf den großen Durchbruch hofft er beim 1. FC Köln. Ab 2016 gehört er der zweiten Mannschaft an, das Ziel klar: Profivertrag. "Alles schien perfekt", erinnert sich Ratifo, der zu dieser Zeit ja schließlich auch Nationalheld wird. Unter Peter Stöger soll er einmal im Kader der ersten Mannschaft stehen, dann meldet sich Leonardo Bittencourt doch fit, Ratifo wird gestrichen. Aus dem Profivertrag wird letztlich auch nichts.

"Mental war das sehr belastend für mich", erzählt er. "Ich dachte: Wenn nicht beim FC, dann nirgendwo." Trotz Angeboten aus der 3. Liga entscheidet er sich gegen eine Fortsetzung der Profikarriere - und für die Musik. Denn ein Label aus Pforzheim ist auf ihn aufmerksam geworden, will ihn unter Vertrag nehmen. Ratifo zieht dorthin, will eigentlich gar nicht mehr Fußball spielen. "Aber die Leidenschaft ließ mich nicht los", sagt er. Also marschiert er einfach mal zum Trainingsgelände des besten Vereins der Stadt, des CfR Pforzheim, und sagt: "Hallo, mein Name ist Ratifo, ich würde hier gerne mittrainieren."

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Seitdem führt er quasi ein Doppel-, wenn nicht ein Dreifachleben. Tagsüber Fußball, abends Musik - und alle paar Monate Nationalspieler. "Die Abstellungen zur Nationalmannschaft kommen oft kurzfristig", erklärt der 1,90 Meter große Mittelstürmer. "Es ist definitiv eine Herausforderung und erfordert eine gewisse Anpassungsfähigkeit."

Anpassungsfähigkeit, wieder ein Spagat: Am Wochenende vor 500 Zuschauern gegen Mutschelbach oder Denzlingen, ein paar Tage später vor 50.000 gegen Sadio Mané oder Riyad Mahrez. Oder jetzt eben: Mo Salah. Am Sonntagabend spielt Ratifo mit Mosambik gegen Ägypten, einen der Mitfavoriten mit dem wohl größten Namen des Turniers im Kader. In der Gruppe B geht es außerdem gegen Ghana um Mohammed Kudus und Inaki Williams. Eine sehr schwere Gruppe, zumal für ein Land, das seit 2010 nicht mehr für das Turnier qualifiziert war und noch nie die Gruppenphase überstanden hat.

Stanley Ratifo, Amine Gouiri

Darf sich mit den Großen messen: Stanley Ratifo im Zweikampf mit Algeriens Star Amine Gouiri. picture alliance / empics

Dass Mosambik überhaupt dabei ist, bezeichnet Ratifo als "historischen Moment für das Land". Beim letzten Qualifikationsspiel gegen Benin fällt der entscheidende Treffer erst in der Nachspielzeit - dann brechen im Estadio Nacional do Zimpeto alle Dämme. "Der Lärmpegel war so hoch, dass Gespräche nicht mehr möglich waren, das gesamte Stadion hat gebebt", berichtet Ratifo. "Nach dem Spiel haben wir vor dem Stadion mit den Fans gefeiert. Ich konnte kaum das Ende der Menschenmenge erkennen. Sie haben uns gefeiert, als hätten wir den Afrika-Cup gewonnen."

Die Teilnahme am Cup ist gesellschaftlich von unschätzbarer Bedeutung für ein Land, das unter den zehn ärmsten Ländern der Welt rangiert und dessen Bevölkerung durch die Ausbreitung des Islamischen Staats und den Nachwehen eines langanhaltenden Bürgerkriegs gebeutelt ist.

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Auch Ratifos Vater hatte einst aufgrund des Bürgerkriegs das Land verlassen. Als einer von 20.000 Vertragsarbeitern aus Mosambik war er Ende der 80er in die damalige DDR gekommen, auf der Suche nach einer besseren Perspektive. Ratifo junior und sein Management nahmen selbst Kontakt zum Verband auf, wiesen darauf hin, dass es da im deutschen Amateurfußball einen gebe, der für die Nationalmannschaft spielen kann.

Jetzt ist der vorläufige Höhepunkt erreicht. "Als ich meinen Namen in der Kaderbekanntgabe hörte, war ich sprachlos", erzählt Ratifo. "Der Afrika-Cup war ein lang gehegter Traum von mir. Und ich habe trotz einiger Rückschläge nie aufgehört, diesem Ziel entgegenzustreben." Im Kader Mosambiks steht er nun neben Atletico Madrids Linksverteidiger Reinildo und Sporting Lissabons Angreifer Geny Catamo - aber auch neben zahlreichen Spielern, die noch in der heimischen Liga spielen. "Diese Vielfalt", sagt Ratifo, "macht unser Team so besonders."

In einen Streit um das Trikot von Salah nach dem Spiel am Sonntagabend würde er sich jedenfalls nicht einmischen. Warum? Relativ simpel: "Ich bin gar kein Fußballfan."

Michael Bächle

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