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Der kicker beleuchtet die Brennpunkte beim Schlusslicht

Krisenklub Mainz: Ein sportliches Pulverfass

Ein später Punktgewinn in Bochum - und trotzdem viele Probleme: Mainz 05.

Ein später Punktgewinn in Bochum - und trotzdem viele Probleme: Mainz 05. IMAGO/Eibner

Mit dem fulminanten 2:2 in letzter Sekunde verhinderte Tom Krauß vielleicht den ganz großen Knall. Die Bestandsaufnahme nach dem Kellerduell in Bochum - für Mainz saisonübergreifend das 14. Ligaspiel in Folge ohne Sieg - ergibt dennoch: Mainz 05 sitzt sportlich betrachtet auf einem Pulverfass. Sportdirektor Martin Schmidt erklärt völlig zu Recht:  "Das 2:2 übertüncht einiges, es war eine schreckliche erste Halbzeit. Es bringt nichts, hier etwas zu loben oder schön zu reden." Die Zeit der Lippenbekenntnisse müsste allerdings sowieso schon längst vorbei sein. Stattdessen herrscht Explosionsgefahr an allen Ecken und Enden. Der kicker beleuchtet die diversen Brennpunkte.

Brennpunkt Führungsspieler: Der Mannschaft fehlt die in den Vorjahren funktionierende Achse - ein elementares Manko. Die "Köpfe" des Teams kämpfen außer Keeper Robin Zentner allesamt mit zu großen individuellen Problemen als dass sie Sicherheit ausstrahlen könnten. Abwehrchef Stefan Bell (32) wurde in Bochum nach einer halben Stunde aus taktischen Gründen geopfert. Dabei wäre der Routinier gerade in der Krise als Charakter und Zweikämpfer eine Führungsfigur par excellence, ist aber nur sehr bedingt tauglich für eine Viererkette. Die wiederum wird bei 05 als System der Zukunft gehandelt, während Bells Vertrag im kommenden Sommer endet - ist die Identifikationsfigur inzwischen also ein Auslaufmodell?

"Aggressive leader" Kohr schmerzt nur noch die Teamkollegen

Auf der Sechserposition verkörpert Dominik Kohr (29) den Prototypen des im Abstiegskampf gefragten "aggressive leader" - nominell. Tatsächlich ist der ligaweit gefürchtete Abräumer aber seit geraumer Zeit nur noch ein Papiertiger in kurzen Hosen. Mit sinnlosen Gelben Karten tut er nur noch seinen Teamkollegen weh. Worauf auch immer Kohrs Leistungsverfall beruht, mit der Auswechslung nach 33 Minuten reagierte Trainer Bo Svensson in Bochum keine Sekunde zu früh.  Gleiches gilt für Ludovic Ajorques (29) Herausnahme zur Pause. Vergangene Saison hob der hünenhafte Franzose mit Physis und Mannschaftsdienlichkeit die 05-Offensive auf ein neues Niveau, heute zieht er mit resignativer Körpersprache die Nebenleute höchstens noch nach unten.

Die Kommunikation um Kapitän Widmer irritiert

Und der etatmäßige Kapitän? Silvan Widmer (30) wird von Svensson nach langer Verletzungspause seit Wochen öffentlich als Kandidat für die Startelf gehandelt - hat es jedoch bisher nicht geschafft, den konstant wackligen Danny da Costa auf der rechten Schiene zu verdrängen. Widmer noch nicht ins Feuer zu schicken, mag vernünftig sein. Doch Svenssons Kommunikation in dieser Sache muss irritieren. Ähnlich wie der Fall Josuha Guilavogui (33). Die vermeintliche Soforthilfe gab in Bochum nach gut vier Wochen ein 15-Minuten-Debüt, übrigens auf der dafür dann doch wieder eingerichteten "Bell-Position" im Zentrum einer Dreierkette…

Das Dilemma im Fall El Ghazi ist noch nicht final gelöst

Brennpunkt Problemspieler:  Bei der konsequenten Freistellung Anwar El Ghazis (28) nach dessen Anti-Israel-Post gab Mainz 05 als Klub ein Bild von Stärke und Geschlossenheit ab. Ein Ruck innerhalb der Mannschaft blieb indes aus. Dafür hat nun die mediale Debatte über eine mögliche Rückkehr begonnen, da El Ghazi einen neuen Post absetzte, in dem er "die Tötung aller unschuldigen Zivilisten in Palästina und Israel" verurteilt und anheimstellt, seine "bisherigen Äußerungen in den sozialen Medien" seien "missverstanden" worden.

Bleiben die Verantwortlichen jetzt bei ihrer klaren Haltung? Oder nutzt man El Ghazis Vorlage für eine Begnadigung auch im Sinne der wirtschaftlichen Klub-Interessen? Dieses Dilemma ist neu eröffnet.  Weniger gravierende, aber offenbar disziplinarische Gründe hatte in Bochum das Fehlen von Marco Richter (25). Svensson sprach auf DAZN von einem "internen Thema".  In der vergangenen Länderspielpause war Richter noch als einer der wenigen besonders Engagierten aufgefallen, bekam gegen Bayern  (1:3) dennoch nur einen Kurzeinsatz. Folgte darauf etwa eine beleidigte Trotzreaktion des nicht zuletzt wegen seiner positiv-professionellen Mentalität verpflichteten Angreifers?

Bo Svensson.

Auch Mainz-Coach Bo Svensson schon im Fokus. IMAGO/Jan Huebner

Auch um die OP von Nelson Weiper gab es hinter den Kulissen Wirbel

Brennpunkt Jungstars: Dass der zuletzt herausragende Brajan Gruda (19) nicht der alleinige Heilsbringer sein kann, versteht sich von selbst - und wurde anhand einer bemühten aber wirkungslosen Vorstellung in Bochum bestätigt. Bei anhaltender Mainzer Krise werden sich das Top-Talent und seine Berater unweigerlich umso früher fragen, wie lange der Heimatklub noch die ideale Umgebung zur persönlichen Weiterentwicklung bietet. Erst Recht gilt das für Leandro Barreiro (23), dessen Vertrag ausläuft.

Die Vorstellung der Bosse, das Eigengewächs werde seinen Kontrakt nach Ablauf der jüngsten Transferfrist verlängern, um seinem Verein kommenden Sommer eine Ablöse zu sichern, droht sich als naive Erwartung zu entpuppen. Stand jetzt bestünde im Winter letztmals Gelegenheit, mit dem Luxemburger zumindest ein bisschen Geld zu verdienen - die sportliche Schwächung wäre indes unverhältnismäßig groß.  Wirbel gab es hinter den Kulissen zudem um Nelson Weiper (18) und dessen Knie-OP. Beim 1:3 gegen Stuttgart sollte der Mittelstürmer zum Kader zählen, ließ sich aber nach kicker-Informationen am Vorabend von Vertrauenspersonen aus dem Teamhotel abholen - um sich gemäß einer externen ärztlichen Zweitmeinung operieren zu lassen.  Für Begeisterung sorgten intern weder dieses Vorgehen an sich noch der Zeitpunkt nach Transferschluss.

Svensson hat ein rechtzeitiges Commitment zur Verlängerung verpasst

Brennpunkt Trainer: "Ich trage die Verantwortung, sowohl taktisch als auch  für die Mentalität", brachte es Svensson in Bochum auf den Punkt. "Da stellt man sich auch selbst infrage." Was allerdings bis auf weiteres nicht als Rücktrittsgedanke zu interpretieren ist. "Es muss einfach nachdenklich machen mit Blick auf die nächsten Spiele und darauf, wie man den Prozess nach vorne bringen kann."

Grundsätzlich spricht Svenssons bewährte Arbeit in den vergangenen knapp drei Jahren absolut dafür, den Fußballlehrer weiterhin als Teil der Lösung zu betrachten. Ein Problem ist inzwischen aber seine ungeklärte Vertragssituation über die Saison hinaus. Der Verein will bereits seit dem vergangenen Frühjahr verlängern, doch Svensson hat den Moment für ein rechtzeitiges Commitment verpasst. Bei der in Teilen stark auf ihn fixierten Mannschaft könnte ihn das zumindest unterbewusst Überzeugungskraft gekostet haben. Was wiederum eine logische Erklärung für viele Krisensymptome wäre.

Thiemo Müller

Bilder zur Partie VfL Bochum gegen 1. FSV Mainz 05