Bundesliga

Stindl im Interview: "Ein Titel mit Borussia - das wär's gewesen"

Gladbachs scheidender Kapitän über große Spiele und lustige Mitspieler

Stindl im großen Interview: "Ein Titel mit Borussia - das wär's gewesen"

Lars Stindl verlässt Borussia Mönchengladbach nach acht Jahren.

Lars Stindl verlässt Borussia Mönchengladbach nach acht Jahren. IMAGO/Team 2

Der "Capitano" geht. Als Rekord-Kapitän von Borussia Mönchengladbach. Und als Legende. Lars Stindl bestreitet am Samstag nach acht Jahren sein letztes Pflichtspiel für die Fohlenelf, dann geht es zurück in die Heimat, zum Karlsruher SC. Der kicker traf Stindl vergangene Woche zum Abschiedsinterview.

Herr Stindl, wie viele Gäste haben sich für Samstag angekündigt, um bei Ihrem Abschied dabei zu sein?

Der Kreis besteht aus rund 30 Personen. Familie und Freunde, bunt gemischt. Ich freue mich riesig.

Dürfen beim Abschied auch Tränen fließen?

Es wird bestimmt sehr emotional. Ich lasse mich einfach überraschen, was passiert. Noch spüre ich ausschließlich Vorfreude, aber in den nächsten Tagen kommt sicherlich auch Wehmut dazu.

Was bleibt nach acht Jahren Borussia hängen?

So viele verschiedene Dinge, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann. Vor allem ist es das Gefühl, dass ich bei einem unglaublich großen Verein in einer unglaublich erfolgreichen Zeit spielen durfte und meinen Teil zu den vielen Highlights beitragen konnte. Als ich mich mit 26 für Gladbach entschieden habe, war da dieses Gefühl, dass der Klub und ich gemeinsam wachsen können, dass hier etwas entsteht, bei dem ich eine wichtige Rolle einnehmen kann. Und ich spürte vom ersten Tag an: Ja, hier bin ich richtig. Dass es auch schwierige Phasen gab oder Dinge nicht so laufen, wie man es sich wünscht - etwa in dieser Saison - gehört über einen so langen Zeitraum irgendwie auch dazu. Trotzdem: Der Spaß war immer da.

Mir würde es reichen, wenn die Leute sagen: Der Stindl war ein cooler Typ, der hat immer alles für unsere Borussia gegeben.

Lars Stindl

Sie gehen als Rekord-Kapitän, haben die Binde sieben Jahre lang getragen. Was bedeutet Ihnen das?

Das macht mich megastolz, ganz ehrlich. Schauen Sie sich doch mal um im Borussia-Park: Überall spürt man die Größe und die gewaltige Tradition des Klubs, da sind an den Wänden die Bilder von früher mit der Meisterschale, mit dem DFB-Pokal, mit dem UEFA-Cup. Günter Netzer, Berti Vogts und die vielen anderen Persönlichkeiten. Bei so einem Traditionsverein Kapitän zu sein, sogar über so einen langen Zeitraum, ist schon etwas Besonderes. Es zeigt mir, dass ich als Fußballer und als Mensch doch vieles richtig gemacht haben muss.

Sie werden als "Legende" verabschiedet.

Legende - das ist ein sehr großes Wort. Mir würde es reichen, wenn die Leute sagen: Der Stindl war ein cooler Typ, der hat immer alles für unsere Borussia gegeben. Klar, in ein paar Statistiken stehe ich ganz gut da, was etwa Tore und Vorlagen angeht. Aber Legende? Ich verrate Ihnen was.

Aber gerne doch.

Je näher der Tag meines Abschieds rückt, desto häufiger denke ich daran, wie gerne ich mal ein richtig dickes Ausrufezeichen mit diesem Klub gesetzt hätte. Ein Titel mit Borussia - das wär’s gewesen! Seit Wochen schwirren mir die Momente durch den Kopf, in denen wir etwas Großes verpasst haben.

Es fühlt sich mit jedem Tag richtiger an.

Lars Stindl über seine Entscheidung, in die Heimat zurückzukehren

Zum Beispiel?

2017 das verlorene Pokal-Halbfinale gegen Frankfurt im Elfmeterschießen. Einen Monat vorher das Aus in der Europa League gegen Schalke. Wir waren zweimal das klar bessere Team und fliegen nach zwei Unentschieden raus. Das ist für mich heute noch schwer zu fassen. In der Zwischenrunde hatten wir den AC Florenz ausgeschaltet, da waren wir uns alle einig: Dieses Jahr können wir das ganz große Ding landen. Und dann platzen kurz hintereinander gleich zwei Träume. Das waren zwei der schwierigsten Augenblicke in meiner Gladbacher Zeit.

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Wie viele Leute sind der Meinung, dass Sie zu früh die Bundesliga verlassen?

Die Rückmeldungen sind gemischt. Es gibt viele, die mir noch ein Jahr zugetraut hätten, weil es ja körperlich stimmt und die Leistungen okay sind. Andere finden es klasse, dass ich mich genau jetzt zu diesem Schritt entschlossen habe. Man muss berücksichtigen: Die Entscheidung fiel aus rein privaten Gründen. Wir wollen zurück in die Heimat. Und seitdem ich es ausgesprochen habe, fühlt es sich mit jedem Tag richtiger an. Zwischendurch dachte ich daran, sogar ganz aufzuhören. Dafür war aber die Lust auf den Fußball noch viel zu groß.

Welche Ziele haben Sie mit dem Karlsruher SC?

Darüber können wir im Sommer sprechen. Jetzt genieße ich meine letzten Tage als Borusse.

Dieter Hecking meinte einen Tag vor dem Spiel: Lars, du fängst an. Ich war selbst ganz perplex.

Lars Stindl

Schauen wir zurück auf ein paar Highlights: Steht das Spiel in Florenz vom Februar 2017 auf Platz 1?

Wenn diesem Europapokalabend sogar ein eigenes Zimmer im Vereinshotel gewidmet wird, dann sagt das alles aus. Wir verloren das Hinspiel zu Hause 0:1 und lagen in Florenz 0:2 zurück. Wir waren eigentlich ausgeschieden. Dann gelingen mir drei Tore hintereinander, Andreas Christensen macht das 4:2, wir sind weiter, was für ein Comeback!

Im Oktober 2018 gab es ein 3:0 beim FC Bayern.

Das Besondere war, dass ich gerade erst aus einer langen Reha kam nach meinem Syndesmoseriss vom April. Dieter Hecking meinte einen Tag vor dem Spiel: Lars, du fängst an. Ich war selbst ganz perplex. Dann spiele ich gut, mache auch ein Tor. Und am Tag nach dem Spiel sind wir gleich mit neun Mann wieder zurück nach München und haben es auf dem Oktoberfest krachen lassen.

Stindls persönliche Highlights

Welche Spiele würden Sie noch erwähnen?

Unser Champions-League-Spiel bei Celtic Glasgow 2016. Was für eine unfassbare Atmosphäre, als das ganze Stadion vorm Anpfiff "You’ll never walk alone" singt. Wir haben uns beim Aufstellen im Spielertunnel viel weiter nach vorne gestellt, als erlaubt war, damit wir die Atmosphäre aufsaugen konnten. Oder 2017 mein spätes 3:2-Siegtor beim 1. FC Köln. Ach ja, es gäbe noch so einige Spiele ...

Ihr persönlich härtester Augenblick in der Gladbach-Zeit: der Syndesmoseriss 2018 gegen Schalke?

Klar. Die Verletzung kostete mich die WM-Teilnahme in Russland. Wenn du kein Weltklassespieler bist, sondern wie ich nur ein ganz guter Bundesligakicker, dann bekommst du diese Chance nur einmal im Leben. 2018, das war meine große Chance, weil damals alles passte, auch mit dem Gewinn des Confed-Cups ein Jahr zuvor. Das WM-Aus tat schon brutal weh. Für Deutschland eine WM spielen zu dürfen, ist das Größte.

Für die Mannschaftskasse hat Marcus tatsächlich viel Gutes getan.

Lars Stindl über Teamkollege Thuram

Ihr lustigster Mitspieler in acht Jahren Gladbach?

Ich hatte echt viele lustige Mitspieler, aber der "Verrückteste" ist auf jeden Fall Tikus. (lacht)

Warum gerade Marcus Thuram?

Mit ihm erlebt man immer etwas. Tikus bringt dich mit seiner chaotischen Art manchmal zum Lachen - und genauso oft zum Verzweifeln.

Wenn er mal wieder zu spät kommt?

Für die Mannschaftskasse hat Marcus tatsächlich viel Gutes getan (lacht) ... Ich muss bei den Stimmungstypen aber auch Patrick Herrmann, Tony Jantschke mit seinem speziellen Humor und natürlich Chris Kramer - bekannt aus Funk und Fernsehen - erwähnen.

Wer war Ihr bester Mitspieler?

Auch da waren echt viele dabei, von denen einige heute sogar bei den absoluten Topklubs spielen. Granit Xhaka oder Andreas Christensen zum Beispiel. Ich habe es geliebt, mit Oscar Wendt auf dem Platz zu stehen. Und natürlich muss ich Raffael hier erwähnen. Ein genialer Kicker. Und als Typ so angenehm und bescheiden.

Wen werden Sie besonders vermissen?

Tobi Sippel. Unsere Familien sind eng befreundet, er ist seit Jahren mein bester Kumpel. So eine Freundschaft findet man im Fußball selten. Wir ziehen uns heute noch regelmäßig auf: Er, der Pfälzer, Roter vom FCK - und ich der Badenser, Blauer vom KSC. Toll, dass wir in Gladbach für so lange Zeit eine gemeinsame Heimat gefunden haben.

Ich finde das Haareschneiden im Hotel nicht verwerflich.

Lars Stindl

Manche Mitspieler sind erst 18 Jahre alt. Merken Sie manchmal den Generationenunterschied?

Zunächst mal finde ich, dass ich einen prima Austausch mit der jungen Generation habe. Jeder lernt vom anderen, man muss nur offen dafür sein.

Aber Modeschauen am Abend vorm Spiel in den sozialen Medien posten? Friseurtermine im Teamhotel?

Wenn der Fokus nicht verloren geht und die Gruppe nicht gestört wird, das ist entscheidend, finde ich es prinzipiell nicht schlimm, abends mal ein paar Klamotten anzuprobieren. Oder sich die Haare machen zu lassen. Man muss aber ein Gespür haben, wann so etwas geht und wann nicht. Dass man solche Sachen dann auch mit Fotos in den sozialen Medien öffentlich macht, darüber kann man sicherlich diskutieren.

Lars Stindl mit der Confed-Cup-Trophäe

Im Sommer 2017 gewann Stindl mit der Nationalmannschaft den Confed-Cup. imago/ZUMA Press

Haben Sie sich die Haare im Hotel machen lassen?

Nein, aber ich finde das Haareschneiden im Hotel nicht verwerflich. Die Zeit dafür hat man ja zwischen den Sitzungen und Terminen. Andere spielen Playstation, glotzen in ihr Handy oder machen sonst was. Ich gebe es jetzt mal zu: Als wir europäisch spielten und ständig auf Reisen waren, habe ich einige Male daran gedacht, mir die Haare im Teamhotel schneiden zu lassen. Damit ich meine Zeit zu Hause komplett der Familie widmen kann und nicht gleich wieder weg zum Friseur muss.

Verbunden mit Gladbach ist Ihre Zeit in der Nationalelf. Sind es unter dem Strich zu wenige Länderspiele?

Elf Länderspiele, vier Tore; ich bin damit glücklich. Außerdem zähle ich den Gewinn des Confed-Cups 2017, mit meinem Siegtor im Finale, zu den Höhepunkten meiner Karriere. Dieses Turnier war eine Riesensache für mich. Irgendwann werde ich meinen Kids (Tochter Livia, 7 Jahre alt, und Sohn Malo, 3; Anm. der. Red.) ein paar Videos und Szenen mal zeigen, denn auf diesen Confed-Cup-Gewinn bin ich richtig stolz. Wissen Sie, was ich diesem Turnier noch zu verdanken habe?

Sie verraten es hoffentlich gleich.

Bei der Siegerehrung habe ich Diego Armando Maradona die Hand geschüttelt. Maradona! Ein Idol meiner Kindheit! Die Geschichte mit Maradona erzähle ich meinen Kindern auch einmal. Das war für mich ein ganz besonderer Augenblick.

Wie sehen Sie Borussias Zukunft?

Der Verein steckt in keiner einfachen Situation. Es herrscht Unzufriedenheit nach den vergangenen eineinhalb, zwei Jahren, und es stehen Veränderungen an in der Mannschaft. Aber ich habe ein positives Gefühl. Dieser Verein verfügt über ein sehr großes Potenzial, über so viel Wucht und Energie, dass sich alles ganz schnell in die gewünschte Richtung entwickeln kann. Der Verein ist gesund, es sind gesunde Strukturen vorhanden. Ich bin optimistisch.

Es ist sehr wichtig, dass sich die Mannschaft neu strukturiert, auch in der Hierarchie.

Lars Stindl

Was muss und wird sich in der Mannschaft ändern?

Es ist bekannt, dass eine Blutauffrischung ansteht, und durch neue Spieler werden auch andere Impulse reinkommen. Es ist sehr wichtig, dass sich die Mannschaft neu strukturiert, auch in der Hierarchie, denn das Team hat in den vergangenen Jahren einige Führungsspieler verloren. Den einen Chef braucht es aber gar nicht, es muss sich, wie vorher auch, eine Gruppe finden, die die Verantwortung übernimmt. Ich betrachte das als große Chance für die Mannschaft.

Schlagen Sie irgendwann die Trainerlaufbahn ein?

Gut möglich, weil mich der Trainerjob, erst mal im Nachwuchsbereich, reizt. Mit Chris Kramer habe ich die B+ Lizenz erworben. Aber ich kann mir später auch andere Aufgaben im Fußballbereich sehr gut vorstellen.

Was wünschen Sie sich für Ihren Abschied?

Das Bochum-Heimspiel war eigentlich schon der perfekte Abschluss. Mein Tor vor unserer Nordkurve, in der Schlussminute, der Heimsieg, die Party-Stimmung im Stadion. Dieses Gänsehaut-Erlebnis wird schwer zu toppen sein. Aber schauen wir mal.

Das Interview erschien erstmals in der kicker-Ausgabe vom vergangenen Montag - hier können Sie sich den kicker als eMagazine im Flex-Abo sichern.

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