Bundesliga

"Andere Ligen investieren gerade massiv, davon können wir uns nicht entkoppeln"

Eintracht-Vorstand Hellmann spricht vor der Wahl ins DFL-Präsidium im kicker

"Andere Ligen investieren gerade massiv, davon können wir uns nicht entkoppeln"

Warnt vor einer dauerhaften Abwärtsspirale in der Bundesliga: Axel Hellmann.

Warnt vor einer dauerhaften Abwärtsspirale in der Bundesliga: Axel Hellmann. imago images

Obwohl Hellmann im vergangenen Jahr mit seiner Warnung vor einer "Verzwergung der Bundesliga" diversen Klubvertretern auf den Schlips getreten ist, werde seine Kandidatur nun "von sehr vielen getragen", sagt Hellmann im großen Interview (Montagsausgabe). Die Entwicklung, die er bei der Eintracht mit vorangetrieben hat, sei schließlich auch ein beispielgebendes Modell für den deutschen Profifußball als Ganzes: "Wir müssen einen erfolgreichen Weg gestalten, ohne uns zu entwurzeln, ohne alle Perversionen der internationalen Gehaltsspirale mitzumachen. Bei Eintracht Frankfurt ist uns das ganz gut gelungen - und hat sogar zu Titeln geführt."

"Wir leben in der Bundesliga nicht auf einer Insel der Glückseligen"

Nach der bis zur Corona-Krise durch strammes Wachstum geprägten Ära von Ex-DFL-Boss Christian Seifert "stehen Liga-Präsidium und DFL-Geschäftsführung jetzt vor ganz neuen, massiven Herausforderungen und internationalen Verwerfungen", hält Hellmann fest. Und betont zugleich: "Gesundes nachhaltiges Wachstum ist weiterhin möglich - und auch notwendig. Denn wir leben in der Bundesliga nicht auf einer Insel der Glückseligen. Andere Ligen investieren gerade massiv in ihre Zukunft, bauen ihre Infrastruktur aus und stärken langfristig ihre Wettbewerbsfähigkeit, davon können wir uns nicht entkoppeln. Das gilt für die internationalen Spielermärkte, für die Medienverwertung oder Sponsorings. Ohne eine deutliche Stärkung der internationalen Attraktivität käme das Produkt Bundesliga dauerhaft in eine Abwärtsspirale. Zugleich muss nachhaltiges Wachstum kompatibel sein mit den Besonderheiten der Bundesliga und unserer traditionellen Werteorientierung, hier vor allem dem Erhalt von 50+1."

Trotz sinkender Zuschauerquoten etwa bei den Klassikern ARD-Sportschau und ZDF-Sportstudio sowie der international weggebrochenen Märkte in China und Russland glaubt Hellmann an Wachstumschancen auch über die TV-Vermarktung. Die (vermeintliche) Zauberformel: "Eine weitere Diversifizierung der Medienpakete, um uns mehr an den Bedürfnissen der jungen Zielgruppe zu orientieren, digitaler und beweglicher zu werden."

"90 Minuten Fußball - das allein wird nicht mehr das Format der Zukunft sein"

Bedeutet konkret: "Die Formate werden in Zukunft vielschichtiger und kleinteiliger sein und über vielfältigere Plattformen abgespielt werden. Da stehen wir erst am Anfang eines Veränderungsprozesses. Ich glaube, dass der Fan und der Kunde der Zukunft nach sehr unterschiedlichen und individuellen Formaten verlangt. Wir sind es gewohnt, ein Spiel 90 Minuten linear und voll konzentriert zu schauen. Das wird aber alleine nicht mehr das Format der Zukunft sein, weder national noch international. Für eine digital aufgestellte Bundesliga werden darin sehr viele Chancen liegen, weil wir dem internationalen Fan mehr bieten können als nur Topsport: eine hohe Authentizität, Leidenschaft und Begeisterung. Dies müssen wir stärker transportieren."

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Eine DFL-eigene Plattform zu schaffen, ähnlich dem einst angedachten Ligakanal, hält Hellmann "vor allem international für hochspannend. Dass die Bundesliga eine eigene OTT-Plattform aufbaut und damit ein globales Bewegtbildangebot schafft, eröffnet uns durch den direkten Zugang zum Fan völlig neue Chancen. In meiner bisherigen Funktion als Sprecher der Kommission Internationalisierung habe ich diesen Punkt immer wieder angeregt. Es ist ein Projekt, das langfristig gedacht werden muss."

Und: "So etwas in allen relevanten Zielmärkten aufzubauen und zu vermarkten wird sicher über mehrere Jahre in der Summe einen dreistelligen Millionenbetrag kosten." Was Hellmann zu dieser Schlussfolgerung führt: "Ich glaube, dass wir das nur gemeinsam mit Partnern meistern können." Also einem Liga-Investor ähnlich wie in Spanien oder Frankreich.

"Zukunftsinvestitionen aus dem Bestand sind der falsche Ansatz"

Axel Hellmann im Gespräch mit den kicker-Reportern Thiemo Müller, Julian Franzke, Michael Ebert und Rainer Franzke.

Axel Hellmann im Gespräch mit den kicker-Reportern Thiemo Müller, Julian Franzke, Michael Ebert und Rainer Franzke. kicker

Ein vergleichbares Modell wurde in Deutschland vor rund eineinhalb Jahren kraft eines klaren Mehrheitsbeschlusses der Liga nicht weiterverfolgt, inzwischen sieht Hellmann eine neue Diskussionsgrundlage: "Für uns alle sind jetzt die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise mit Blick in die Bilanzen zum 30.6. handfest geworden. Das Eigenkapital ist weggeschmolzen. Ich spüre eine große Offenheit, sehr pragmatisch über die Frage der weiteren Investition in die Zukunft der Bundesliga nachzudenken. Vor allem, wenn man sieht, dass die Klubs in Spanien und Frankreich Entscheidungen für Zukunftsinvestitionen mit Partnern bereits getroffen haben. Die Premier League ist sowieso sehr weit enteilt."

Solche Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung aus dem laufenden Betrieb zu stemmen, hält Hellmann nicht für praktikabel: "Jede Investition aus dem Bestand reduziert die finanzielle Beweglichkeit der Klubs im Alltag. Das ist in Zeiten, in denen wir vorsichtig formuliert eine eher stagnierende Entwicklung der Erlöse der Liga haben, aus meiner Sicht der falsche Ansatz. Das Ziel muss es sein, die Beweglichkeit aller 36 Klubs gerade nach Corona deutlich zu erhöhen."

Im großen kicker-Interview (Montagausgabe oder schon ab Sonntagabend hier im eMagazine) spricht Hellmann außerdem darüber, warum der Eintracht mit Blick auf ihre Gehaltskosten keine "Champions-League-Falle" droht, wieso außer dem FC Bayern lediglich der SC Freiburg mit einem wirtschaftlichen Plus aus der Corona-Krise kam, inwiefern viele deutsche Klubverantwortliche "aus dem Dämmerschlaf gerissen wurden" und welche Botschaft er bereits mehrfach an UEFA-Präsident Aleksander Ceferin übermittelt hat.

Michael Ebert, Julian Franzke, Rainer Franzke, Thiemo Müller

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