Bundesliga

Dr. Felix Brych im Interview: "Es darf nie in Kumpanei ausarten"

Schiedsrichter absolviert 300. Bundesligaspiel in Bremen

Brych im Interview: "Es darf nie in Kumpanei ausarten"

Disput nach dem Viertelfinale der Champions League: Liverpool-Coach Klopp kritisiert Dr. Brych beim Spiel in Madrid.

Disput nach dem Viertelfinale der Champions League: Liverpool-Coach Klopp kritisiert Dr. Brych beim Spiel in Madrid. imago images

Er studierte Rechtswissenschaft und wurde 2004 von der Uni Regensburg zum Dr. iur promoviert. Seitdem tanzen nicht nur die Spieler der Bundesliga nach seiner Pfeife. Der Abteilungsleiter beim Bayerischen Fußball-Verband in München leitet auch Spiele der WM und EM, der Champions und Europa League. Vor seinem Jubiläum - Bremen gegen Gladbach - spricht Dr. Felix Brych (45) im kicker-Interview über prägende Erlebnisse.

Herr Dr. Brych, Sie leiten am Samstag Ihr 300. Bundesligaspiel. Was bedeutet diese Zahl für Sie?

Das ist eine große Zahl, die nur wenige erreichen. Von den Schiedsrichtern haben das bisher nur Wolfgang Stark und Markus Merk geschafft. Aber es erreichen auch nicht allzu viele Spieler diese Marke. Ich bin stolz darauf, dass ich so lange durchgehalten und das geschafft habe.

Ihr erster Einsatz in der Bundesliga war am 28. August 2004 beim Spiel Hertha BSC gegen Mainz. Haben Sie spontan noch Erinnerungen daran?

Ja, natürlich. Daran kann ich mich auch rund 17 Jahre danach noch gut erinnern. Es war damals ein Ziel, auf das ich einen längeren Zeitraum intensiv hingearbeitet habe, und dann hatte ich es geschafft. Aber es ist tatsächlich schon lange her, wie manche Personalien zeigen: Für Hertha stürmte noch Fredi Bobic, Dieter Hoeneß war Manager, und der Mainzer Coach hieß Jürgen Klopp. Pal Dardai und Marco Rose haben noch gegeneinander gespielt, jetzt treffen sie in der Liga als Trainer aufeinander.

Felix Brych

Der junge Brych: Im Jahr 2004 hat er seinen ersten Einsatz in der Bundesliga. imago images

Sie sind in dieser langen Zeit allen Größen des Fußballs in Deutschland begegnet. Haben Sie zu dem einen oder anderen eine besondere Beziehung aufgebaut?

Mit dem einen oder anderen hatte ich wirklich ziemlich häufig Kontakt. Hanno Balitsch zum Beispiel. Spiele mit ihm habe ich bestimmt 20-, 30-mal geleitet. Das erste Mal noch, als er bei Waldhof Mannheim in der B-Jugend am Ball war, bis hin zu seinem Karriereende als Profi beim FSV Frankfurt. Oder Mario Gomez. Auch er war noch Jugendlicher beim VfB Stuttgart, als wir das erste Mal aufeinandergetroffen sind. Da lernt man sich auch von der menschlichen Seite her kennen. Aber das darf nie in Kumpanei ausarten. Managern, Trainern und Spielern bin ich immer mit einer Mischung aus Nähe und Distanz begegnet. Nur damit konnte ich auch harte Entscheidungen treffen. Vor den Corona-Zeiten, als wir Schiedsrichter noch regelmäßig zwei Nächte am Spielort waren, hat man sich abends automatisch ab und zu mal im Mannschaftshotel getroffen und ein wenig zusammengesetzt.

Gab es besonders positive oder negative Erlebnisse für Sie?

Durch negative Erlebnisse, die mich auch geprägt haben, bin ich vor allem gereift, aus ihnen bin ich gestärkt hervorgegangen. Ein Beispiel ist das Viertelfinale des DFB-Pokals im Jahr 2006, die Partie FC St. Pauli gegen Werder Bremen. Der Rasen war schneebedeckt und eigentlich nicht bespielbar, aber ich habe mich als junger Schiedsrichter nicht getraut, kurzfristig vor vollem Haus abzusagen. Dann hat Drittligist St. Pauli, dem die Verhältnisse entgegenkamen, gewonnen, und von Bremer Seite gab es heftige Kritik an meiner Entscheidung. Vor ein paar Jahren habe ich ein Pokalspiel in Lotte bei ähnlichen Bedingungen kurzfristig abgesagt. Die Erfahrung hat mir geholfen, dies zu tun. Und da gab es noch das Phantomtor beim Spiel Hoffenheim gegen Leverkusen. Was danach auf mich eingeprasselt ist, wünsche ich niemandem. Aber auch diese heftige Kritik hat mich stärker gemacht.

Mir gibt der Videobeweis ein gutes Gefühl.

Felix Brych

Was passiert denn im privaten Umfeld eines Schiedsrichters nach einer solchen Fehlentscheidung?

Das ist schon heftig, das kann man nicht einfach in die Schublade legen und wieder funktionieren. Das klappt vielleicht kurzfristig, irgendwann musste ich das immer tiefgründiger verarbeiten. Ich habe daher schon früh in meiner Karriere angefangen, mich psychologisch betreuen zu lassen. Und ich hatte privat immer ein sehr stabiles Umfeld. Das hat mir am meisten geholfen.

Kießling

Das Phantomtor von 2013: Leverkusens Stefan Kießling (li.) köpft den Ball ans Außennetz, trotzdem landet der Ball im Tor. imago images

Wie hat sich der Fußball denn verändert seit Ihrem ersten Bundesligaeinsatz?

Es gab viele und starke Veränderungen in diesem Zeitraum. Besonders im physischen Bereich sind die Anforderungen an den Schiedsrichter wesentlich höher geworden. Aber gerade in der Bundesliga haben sich die äußeren Bedingungen stark verändert. 2004 waren im Vorfeld der WM 2006 in Deutschland viele Stadien noch im Bau. Danach war alles auf Hochglanz, der Fußball boomte, zehn Jahre lang waren viele Spiele ausverkauft. Das Image des Fußballs hat sich unheimlich entwickelt, bis mit Beginn der Pandemie die Fans nicht mehr direkt teilhaben konnten. Die Entwicklung war enorm, vielleicht war die Schraube sogar an der einen oder anderen Stelle überdreht.

Es gab auch im direkten Umfeld des Schiedsrichters viele technische Entwicklungen. Headset, Freistoßspray, Videobeweis zum Beispiel. Wie sind Sie damit umgegangen?

Ja, es gab alle drei, vier Jahre eine grundlegende Veränderung. In der Champions League waren wir eine Zeit lang mit sechs Schiedsrichtern unterwegs, weil es noch zwei Torrichter gab. Ich fand das immer spannend, war jeder Neuerung gegenüber aufgeschlossen und habe jede Hilfe gerne angenommen. Die größte Veränderung, noch einmal, hat jedoch im körperlichen Bereich stattgefunden. Sicher war ich als junger Schiedsrichter fitter und spritziger. Aber ich habe immer auf meinen Körper geachtet und entsprechend trainiert. Daher bin ich auch jetzt noch in einem guten körperlichen Zustand.

Gab es jemals zuvor eine in Ihre Spielleitung so stark eingreifende Veränderung wie den Videobeweis?

Nein. Aber mir gibt er ein gutes Gefühl, ich sehe ihn als Fallschirm. Nehmen wir das Beispiel Phantom-Tor von Sinsheim: Diese Fehlentscheidung wäre mir mit einem Video- Assistenten sicher erspart geblieben. Damals konnte ich sie leider nicht vermeiden, auch nicht durch Gespräche mit den Beteiligten auf dem Platz. Sie wussten es selbst nicht besser. Das ist jetzt anders. Wenn ich heute Stefan Kießling, den ich übrigens auch schon in der A-Jugend beim 1. FC Nürnberg kennengelernt habe, treffe, müssen wir beide immer leicht schmunzeln ...

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Früher hatte der Schiedsrichter auf dem Platz das alleinige Sagen, heute gibt es ein Team um ihn herum: Die Linienrichter sind zu Assistenten geworden, der vierte Offizielle und die beiden Video-Assistenten wurden eingeführt. Ist der Unparteiische vom Diktator zum demokratischen Manager geworden?

Nein, ein Diktator war er nie. Es gab immer Kommunikationsmöglichkeiten mit den Linienrichtern, wenn auch bei Weitem weniger als heutzutage. Aber unter dem Strich steht der Schiedsrichter mit seinem Namen für eine Spielleitung gerade, er ist für die Entscheidungen verantwortlich, auch nach außen hin. Dennoch sind die Aufgaben als Teamleiter gewachsen, und das Management ist wichtiger geworden, auch in Sachen Kommunikation mit Spielern und Verantwortlichen der Vereine.

Wo sehen Sie zeitnahe Entwicklungsmöglichkeiten für die Tätigkeit der Schiedsrichter?

Ich denke, im digitalen Bereich wird sich in naher Zukunft einiges entwickeln, im gesamten Sport. Es gab schon Tests, Körperkontakte und potenzielle Foulspiele digital zu bewerten. Das wird weitergehen, ich weiß aber nicht, in welchem Umfang.

Den Schiedsrichter auf dem Platz wird man nie ersetzen können.

Felix Brych

Macht diese Entwicklung irgendwann einmal den Schiedsrichter auf dem Platz unnötig, wird dieser seine Spiele sozusagen im Home-Office leiten können?

Nein, den Schiedsrichter auf dem Platz wird man nie ersetzen können. Er wird dort für die Spielleitung gebraucht, eine seiner wichtigsten Aufgaben ist es, mit Menschen umzugehen. Oberstes Prinzip ist es, die Menschen gleich und gerecht zu behandeln. Die Technik kann nur in Einzelfall-Entscheidungen helfen. Ein Beispiel: Die Modeerscheinung, seinem Gegner schmerzhaft auf den Fuß zu treten. Das ist für den Unparteiischen auf dem Platz sehr schwer zu erkennen. Oder das Handspiel. Hier kann es den Schiedsrichter unterstützen, wenn er objektive Parameter über die Flugbahn des Balles, Bewegungsabläufe oder Schussgeschwindigkeiten blitzschnell an die Hand bekommt. Aber als Spielleiter ersetzen werden ihn diese Informationen nie können.

Haben Sie sich schon Gedanken über Ihre Zukunft nach dem Ende der aktiven Karriere gemacht? Sie arbeiten als Abteilungsleiter beim Bayerischen Fußball-Verband, sehen Sie sich eher im organisatorischen Bereich des Schiedsrichterwesens oder vielleicht als Spezialist im Bereich Videobeweis, wie dies Günter Perl und Bibiana Steinhaus-Webb derzeit sind?

Nein, da gibt es noch keine konkreten Überlegungen oder gar Gespräche. Ich habe Jura studiert und daher auch in meinem Berufsleben viele Möglichkeiten. Ich kann nach aktuellem Stand noch zwei Jahre Spiele in der Bundesliga leiten. Und zwei Jahre sind im Fußball schon eine Zeit, in der sehr viel passiert. Ich bin derzeit allem gegenüber offen, denke aber noch gar nicht konkret darüber nach.

Interview: Thomas Roth