2. Bundesliga

Wenn es drauf ankommt, ist der HSV zu oft nicht da

Späte Gegentore, vergebene Chancen und zwei Derby-Niederlagen sind kein Zufall

Wenn es drauf ankommt, ist der HSV zu oft nicht da

Der Frust saß tief: Der HSV kassierte beim VfB eine bittere Niederlage.

Der Frust saß tief: Der HSV kassierte beim VfB eine bittere Niederlage. Getty Images

Dieter Hecking ist seit 20 Jahren Trainer, hatte zuvor eine lange Profikarriere. Hamburgs Trainer weiß, dass es am Ende die Kleinigkeiten sind, die entscheiden. Auch darüber, wie Bewertungen ausfallen. Sein HSV war spielerisch sehr ordentlich aus der Corona-Pause gekommen, das hatte zunächst Übergewicht bei der öffentlichen Einordnung zweier siegloser Partien nach dem Re-Start. Seit dem neuerlichen Last-Minute-Schock von Stuttgart aber wird den Fakten mehr Bedeutung zugemessen (werden müssen). Weil sie nicht zu ignorieren sind. Und weil die Wiederholung der Ereignisse eben auch etwas aussagt über diesen HSV-Kader, der in Fürth in der letzten Aktion den Sieg wegwarf, diesen gegen Bielefeld wegen fehlender Konsequenz liegen ließ und am Donnerstagabend ein Abziehbild beider Spiele lieferte: spielerisch ansprechend, aber im entscheidenden Moment nicht da. Das ist keine Kombination, die Hoffnungen auf den Aufstieg nährt.

Ein klarer Trend, der auf Zweitklassigkeit hindeutet

Das 2:3 von Stuttgart spiegelt den Saisonverlauf des HSV nahezu perfekt wieder. Ein starker Start, aber Rückschläge hinterlassen Spuren. Und am Ende fehlt die Bedingungslosigkeit. Das war bereits die Ursache für zwei empfindliche Derby-Niederlagen gegen St. Pauli, bei denen Heckings Elf spielerisch jeweils die bessere war, der Stadtnachbar aber mehr wollte und trotz individueller Unterlegenheit alles gewann. Seit dem 6:2 im Hinspiel gegen den VfB, nach dem der HSV mit 24 Zählern nach elf Partien die Tabelle angeführt hatte, holte er nur noch 22 Punkte aus 17 Spielen - das ergibt einen Schnitt von 1,29 über eine gesamte Halbserie, ist alles andere als aufstiegsreif und längst nicht mehr mit einer kleinen Delle oder den von Hecking und Jonas Boldt oft öffentlich einkalkulierten Schwankungen zu erklären. Es ist ein ebenso klarer Trend, der auf ein weiteres Jahr Zweitklassigkeit hindeutet wie die jüngsten Zahlen: Nur ein Sieg aus sieben Pflichtspielen.

2. Bundesliga - 28. Spieltag
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2. Bundesliga - Tabelle
Pl. Verein Punkte
1
Arminia Bielefeld Arminia Bielefeld
53
2
VfB Stuttgart VfB Stuttgart
48
3
Hamburger SV Hamburger SV
46
Trainersteckbrief Hecking
Hecking

Hecking Dieter

Es stellt sich die Qualitätsfrage

Boldt hat kürzlich erst erklärt, der in Hamburg übliche Reflex, bei einem Scheitern nach Schuldigen zu suchen, wird unter ihm nicht erfolgen. Aber es müssen Gründe gesucht werden. Hecking sagt: "Stuttgart ist ein Rückschlag, den können wir nicht einfach rausschütteln, das muss auch ich erstmal verarbeiten und der Mannschaft dann wieder Halt geben. Aber wir können nicht liegen bleiben und die Mannschaft hat schon viele Nackenschläge hinnehmen müssen." Er will mit diesen Worten ausdrücken: an der Mentalität liegt es nicht. Ist dem so, stellt sich die Qualitätsfrage. Offensichtlich wurde auch bei dem plump verursachten Elfmeter durch Daniel Heuer Fernandes in Stuttgart wieder, dass der HSV im Tor keinen Rückhalt hat. Ebenso deutlich wird, dass die seit Monaten immer wieder kehrenden schweren Aussetzer von Rick van Drongelen nicht mehr allein mit einem Formtief zu erklären sind, sondern grundsätzliche Zweifel hervorrufen. Das zentrale Mittelfeld agiert oft herausragend, wenn der HSV das Spiel bestimmt, wenn Widerstände auftreten, tauchen auch Adrian Fein, Jeremy Dudziak und Aaron Hunt zu oft ab. Symbolisch dafür der Schlussakt von Stuttgart als Hunt mit einem haarsträubenden Ballverlust den Knockout eingeleitet hat. Dazu kommen offensichtliche Fehleinschätzungen: Martin Harnik etwa attestierte Hecking zu Wochenbeginn, dass er seinen Führungsauftrag in der Kabine sehr gut ausfülle - auf dem Platz hingegen wirkt der 32-Jährige wie ein Auslaufmodell: willig, aber ohne Explosivität.

Der HSV hat eine denkbar ungünstige Ausgangsposition

Gegen Wehen Wiesbaden, erklärt Hecking, zähle nur ein Sieg. Im Hinspiel hatte die Minusserie ihren Anfang. Der HSV führte 1:0, hatte aber nachlässig drei oder gar vier weitere Tore vergeben und in der letzten Aktion den Ausgleich kassiert. Dass Spielverläufe wie diese zu einem ständigen Begleiter geworden sind, ist weder mit Pech noch mit Zufall zu erklären. Es entspricht einem Muster und ist ein Hinweis, dass etwas fehlt. Immer wieder. "Wir haben eine deutlich bessere Ausgangsposition verpasst", sagt Hecking. Die Wahrheit ist: Sie haben eine denkbar ungünstige Ausgangsposition: Stuttgart ist zwei Punkte weg und Heidenheim als Vierter nur ein Zähler dahinter. Dort war der HSV schon im Vorjahr eingelaufen, weil er nicht da war, als es in der Endphase um alles ging. Viele Gelegenheiten, die Muster zu durchbrechen, darf dieser kostspielig zusammengestellte Kader nicht mehr liegen lassen. Weil sich die vielen Kleinigkeiten sonst summieren - zur nächsten ganz großen Enttäuschung.

Sebastian Wolff