Bundesliga

Als Oliver Kahn in Freiburg ein Golfball traf - Ex-Freiburger Zeyer erinnert sich

Ex-Freiburger Zeyer erinnert sich im kicker

Heute vor 20 Jahren: Als Oliver Kahn ein Golfball traf

Oliver Kahn zeigt den Golfball, der ihn getroffen hat.

Oliver Kahn zeigt den Golfball, der ihn getroffen hat. imago images

Es ist der 12. April 2000. Zwei Tage vorher ist Angela Merkel zur Parteichefin der CDU gewählt worden, bis sie Kanzlerin wird, sollten noch fünfeinhalb Jahre vergehen. Jadon Sancho ist 18 Tage alt und Erling Haaland noch gar nicht auf der Welt. Und in der Bundesliga liefern sich der FC Bayern und Bayer Leverkusen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. An diesem Mittwoch erwartet Freiburg die Münchner. Beim Sportclub steht Richard Golz im Tor, zu den Leistungsträgern zählen Kobiashvili und der manchmal geniale Dribbler Iashvili, zwei Georgier. Für die Bayern sind Effenberg, Elber und Lizarazu sowie der heutige Sportdirektor Salihamidzic am Ball, Scholl wird eingewechselt.

Im Tor des FCB steht Oliver Kahn, seinerzeit der beste Torwart der Welt. Auch an diesem Abend hält er überragend, der kicker gibt ihm die Note 1,5. Für Kahn war Fußball nicht bloß ein Spiel. Es war ein Kampf. Harte Arbeit. Kahn wurde Titan genannt, und das vermutlich völlig zu Recht. Nie rückte er davon ab, dem Erfolg alles unterzuordnen - wirklich alles. Ein Dickschädel.

Kein Spiel für die Geschichtsbücher, wenn es da nicht diese 90. Minute gegeben hätte...

"Ich konnte mich noch nicht einmal an das Ergebnis erinnern", erzählt Andreas Zeyer, der mehr als 400 Punktspiele für den SCF bestritt und auch an diesem Abend dabei war. Heute lebt der 51-jährige Vater von drei Söhnen wieder daheim in der Nähe von Heidenheim und führt den elterlichen Stahlbaubetrieb. Obwohl es ein packendes Spiel war mit starken Freiburgern und obwohl mit dem frühen Platzverweis gegen Sammy Kuffour und einem späten, umstrittenen Foulelfmeter, den Scholl zum 2:1-Sieg der Bayern verwandelte, auch ordentlich Pfeffer drin war, wäre es doch nie ein Spiel für die Geschichtsbücher geworden. Wenn es da nicht diese 90. Minute gegeben hätte.

Es gibt Abstoß vom Tor der Bayern - und plötzlich geht Kahn zu Boden. Er hält sich den Kopf, das Blut rinnt ihm über die Wange. Erst mal weiß keiner, was eigentlich los ist. Dann steht Kahn auf, läuft in Richtung Eckfahne und hebt etwas vom Rasen auf: Es ist ein Golfball. Diese Dinger haben etwa 4,2 Zentimeter Durchmesser und eine harte Kunststoffschale. Dieser Golfball hat den Bayern-Torwart an der Schläfe getroffen, nur ein paar Zentimeter neben dem linken Auge, und hinterlässt eine klaffende Wunde. Später wird sie mit zwei Stichen genäht. "Wenn er nur etwas tiefer getroffen worden wäre, dann könnte er jetzt blind sein", sagt sein Trainer Ottmar Hitzfeld.

Kahn verliert die Kontrolle

Zunächst bleibt auf dem Platz alles erstaunlich ruhig, Kahn stellt sich nach einer Erstversorgung wieder ins Tor. Doch als Schiedsrichter Uwe Kemmling einige Sekunden später das Spiel beendet, bricht es aus Kahn heraus. Der damals 30-Jährige rastet aus, seine verständliche Erregung über das Erlebte nur Augenblicke zuvor raubt ihm die Kontrolle. Wie wild beschimpft er die Freiburger Spieler und das Publikum. Bayern-Manager Uli Hoeneß müht sich, Kahn zu beruhigen - es gelingt ihm nicht. "Der Titan wurde zum Vulkan", lautete damals eine Schlagzeile. Zeyer verwickelt Kahn in ein Wortgefecht. Ausgerechnet Zeyer: Nie hat man erlebt, dass ihn etwas aus der Ruhe gebracht hätte. Ein besonnener, bescheidener Mensch, der parallel zur Profikarriere ein Maschinenbaustudium absolvierte und damals mit 31 Jahren auch schon reichlich erfahren war.

Zeyer: Die Emotionen sind "hochgekocht"

Kahn blutüberströmt: Der Golfballwurf von Freiburg

Die Szene, die dem entscheidenden Treffer in der 87. Minute vorausgegangen war, "war kein Elfmeter", berichtet Zeyer, nachdem ein paar YouTube-Videos seinem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen haben. Diarra soll Sergio gefoult haben, "doch das war ein Geschenk", so Zeyer weiter, "und wir haben vorher einen klaren Handelfmeter nicht bekommen. Wir haben uns benachteiligt gefühlt". Dadurch seien die Emotionen "hochgekocht", auf dem Feld, aber auch auf den Rängen.

Auf dem Weg in die Kabine sei Kahn "voller Adrenalin" gewesen. Und dann hat er Kahn mit einer abfälligen Handbewegung bedacht und ihm etwas zugerufen. "Ich kann mich wirklich nicht erinnern, was ich gesagt habe", sagt Zeyer. "Aber es war sicherlich etwas, das die Situation nicht gerade beruhigt hat. Ich glaube, ich habe nichts Schlimmes gesagt, doch bei all dem, was da von außen auf uns eingeprasselt ist, waren wir eben extrem unter Stress. Und natürlich", fügt Zeyer hinzu, "war ich froh, dass ihm nichts Ernstes passiert ist." Sein Dickschädel hat Kahn vor Schlimmerem bewahrt, auch mental kriegt der Bayern-Keeper die Sache gut geregelt. Drei Tage später gegen die Löwen steht er wieder im Kasten.

Ein Schüler war der Täter

Als Täter wurde ein 16-Jähriger ermittelt, dank Hinweisen anderer Fans, für die der Verein 500 Euro Belohnung ausgesetzt hatte. Das Gericht glaubte ihm, dass er den Nationaltorhüter nicht hatte verletzen wollen, und so kam der Schüler mit 30 Stunden gemeinnütziger Arbeit wegen fahrlässiger Körperverletzung davon. Der Sportclub wurde vom DFB zu 38.000 Euro Geldbuße verurteilt. Im nächsten Heimspiel gegen Schalke hingen viele Transparente am Zaun. "Sorry Olli"‚ war darauf zu lesen. Oder: "Es tut uns leid."

Fünf Wochen später war das alles nur noch höchstens zweitrangig: Am letzten Spieltag gewannen die Bayern im heimischen Olympiastadion 3:1 gegen Bremen, während Tabellenführer Leverkusen 17 Kilometer weiter in Unterhaching 0:2 verlor. Kahns Mannschaft war doch noch Meister geworden, dank der besseren Tordifferenz. Auch etwas für die Geschichtsbücher.

Peter Nickel

Titan, Zielscheibe und Vorstand: Die Karriere von Oliver Kahn