2. Bundesliga

34 Spiele, 74 Punkte: Story für Optimisten beim FC St. Pauli

Platz 1 in der Jahrestabelle der 2. Bundesliga

34 Spiele, 74 Punkte: Eine Story für Optimisten beim FC St. Pauli

St. Paulis Sportdirektor Andreas Bornemann traf mit der Einstellung von Fabian Hürzeler eine mutige Entscheidung - und wurde belohnt.

St. Paulis Sportdirektor Andreas Bornemann traf mit der Einstellung von Fabian Hürzeler eine mutige Entscheidung - und wurde belohnt. IMAGO/Oliver Ruhnke

Der Blick zwölf Monate zurück wirkt, als seien Jahrhunderte vergangen. Als Andreas Bornemann im Dezember 2022 Fabian Hürzeler zum neuen Cheftrainer macht, ist dieser gerade mal 29 Jahre alt, und der FC St. Pauli hat mit 17 Zählern ein mickriges Pünktchen mehr als der Letzte und spätere Absteiger Sandhausen. Der Klub hat eine Mitgliederversammlung hinter sich, auf der Vereinspräsident Oke Göttlich als "Heuchler" beschimpft und der Sportchef mit empörten Buhrufen bedacht wird.

Es ist weniger die Verstrickung in den Abstiegskampf, die die Fan-Seele aufgewühlt hat, als vielmehr die Trennung von Vereins-Ikone Timo Schultz. Bornemann sieht sich deshalb dazu veranlasst, unter wütenden Pfiffen ans Rednerpult zu gehen und sich dem Sturm der Entrüstung zu stellen. "Ich gehe nicht über Leichen", ruft er den Mitgliedern zu, "dass mir die Attitüde angehängt wird, ich würde rechts und links eiskalt die Menschen wegräumen, trifft mich. Ich finde es schade und bedauerlich, dass ausgerechnet mir unterstellt wird, dass ich aus menschlichen und nicht aus sportlichen Erwägungen diese Empfehlung gegeben habe."

Überzeugungstäter Bornemann

Bornemann sieht sich als Überzeugungstäter, dem das eigene Wohlergehen im Verein weniger bedeutsam ist als das des Vereins. Er ist in seiner Zeit beim 1. FC Nürnberg nicht der Empfehlung des Aufsichtsrates gefolgt, den damaligen Trainer Michael Köllner zu feuern, weil er nicht von der Trennung überzeugt war. Und hat eingepreist, dass diese Entscheidung seine Abberufung zur Folge haben würde.

Jahrestabelle 2. Bundesliga 2023

Einsam an der Spitze: Der FC St. Pauli dominiert die Jahrestabelle 2023 in der 2. Bundesliga mit elf Punkten Vorsprung vor Stadtnachbar HSV. kicker

Im Dezember des Vorjahres wäre ein Festhalten am Trainer und Liebling der Massen jene Entscheidung gewesen, die Bornemann ein deutlich angenehmeres Weihnachten 2022 auf St. Pauli beschert hätte. 34 Zweitligaspiele und 74 Punkte später pfeift niemand mehr auf ihn und seine Entscheidung. St. Pauli hat unter dem Rookie auf der Trainerbank zum Überholmanöver angesetzt. Und obwohl ausgerechnet in den letzten Wochen eines atemberaubenden Jahres die Standspur eingenommen wurde, sind Platz 1 in der Jahrestabelle und Platz 2 zur aktuellen Halbzeit nicht das Resultat eines Laufs, sondern eines arbeitsintensiven Prozesses.

"Was Konstanz, Stabilität und Klarheit in unserem Spiel angeht, ist eine wahnsinnige Entwicklung innerhalb dieses einen Jahres passiert", sagt Bornemann und urteilt: "Fabian ist ein Glücksfall für St. Pauli." Der gebürtige Badener sagt das ohne Triumphgeheul. Die Frage, ob er Genugtuung verspüre, ist ihm in den zurückliegenden zwölf Monaten häufiger gestellt worden. Er beantwortet sie auch jetzt zur Jahreswende mit Worten, die zu seiner sachlichen Art passen, und mit gleichbleibender Tonlage, völlig unverdächtig, den eigenen Sätzen künstlich mehr Bedeutung verleihen zu wollen: "Ich fühle mich bestätigt."

Hürzeler und die "Penetranz"

Bornemann hat in Hürzeler schon im Sommer 2020, als er ihn als Verstärkung für Schultz’ Trainerteam geholt hat, ein außergewöhnliches Talent gesehen. Im zurückliegenden Jahr demonstrierte der eindrucksvoll, dass er auch zum Chef taugt. "Penetranz" ist eine Vokabel, die der in Texas geborene Bayer immer wieder verwendet. Und zwar dann, wenn er über die Detailarbeit mit seinen Profis redet. Doch der Begriff charakterisiert auch ihn selbst sehr gut. "Fabian ruht sich nie aus auf dem Erreichten, ist nicht zufrieden, jedoch ohne dass er in Gefahr gerät, ein Nörgler zu sein, der durch nichts zufriedenzustellen ist", erklärt Bornemann.

Wirklich zufrieden ist Hürzeler indes tatsächlich nicht, als er nach dem Hinrunden-Finale Bilanz zieht. Dreimal nacheinander hat St. Pauli nur Unentschieden gespielt, dreimal fahrlässig eine Führung vergeben. "Wir haben zu viele einfache Fehler gemacht, die uns jeweils das Zu-null gekostet haben", sagt er und schaut dabei, als habe er in eine Zitrone gebissen. "Die defensive Stabilität ist immer unsere Basis. Das hat uns stark gemacht, und das wird uns auch in der Rückrunde hoffentlich wieder stark machen." Fest steht: Hürzeler wird es nicht dabei belassen, nur darauf zu hoffen. "Wir werden die Kleinigkeiten abstellen", betont er. Denn, das ist klar: "Ich freue mich darauf, an den Details zu arbeiten."

Sebastian Wolff

Das sind die Zweitliga-Trainer der Saison 2023/24