Bundesliga

125 Jahre Eintracht: "Der Kneipenwirt spendete den ersten Ball"

SGE-Museumsdirektor Thoma im Interview

125 Jahre Eintracht: "Der Kneipenwirt spendete den ersten Ball"

Attila, das lebende Maskottchen von Eintracht Frankfurt.

Attila, das lebende Maskottchen von Eintracht Frankfurt. IMAGO/HJS

Ein Jahr nach dem Sommermärchen 2006 eröffnete in der Haupttribüne des Waldstadions das Eintracht-Museum. Direktor Matthias Thoma ist von Anfang an dabei und kennt die Geschichte seines Vereins bis ins kleinste Detail. Das Museum ist längst nicht nur ein Ort, an dem ein paar staubige Pokale ausgestellt werden. Mit unzähligen Veranstaltungen wird die Geschichte der Eintracht für Jung und Alt erlebbar. Im vergangenen Jahr knackte das Museum erstmals die Marke von 50.000 Besuchern.

Besonders hervorzuheben ist das 2019 gemeinsam mit der Fanabteilung initiierte Projekt "Spurensuche", das bis heute unter anderem mit Veranstaltungen und Reisen die Zeit der Eintracht während der Nazi-Diktatur aufarbeitet. 2021 würdigte der DFB die "umfangreiche Erinnerungsarbeit des Museums" mit dem Julius-Hirsch-Preis. Kürzlich erschien Thomas Buch "Sonnys Geschichte. Von Ausgrenzung und Eintracht". Erzählt wird die Lebensgeschichte des im Alter von 13 Jahren nach Theresienstadt deportierten Eintracht-Fans Helmut Sonneberg, der bis zu seinem Tod vor einem Jahr als Zeitzeuge auch im Eintracht-Museum einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur leistete.

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Zehn Fußballer, vier Kneipengäste und der Wirt: Die Gründung des Frankfurter Vorgängervereins Victoria

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Wie kam es zur Gründung des Vorgängervereins der Eintracht, Herr Thoma?

Als immer mehr Leute für den ältesten Frankfurter Fußballklub Germania 1894 spielen wollten, es aber nicht genug Plätze in der Mannschaft gab, gründeten 15 Mann die Victoria. Das war in der Hohenzollernstraße 14, ganz in der Nähe vom Hauptbahnhof. Neben zehn Fußballern waren vier Kneipengäste und der Wirt die Gründungsmitglieder. Der Kneipenwirt spendete auch den ersten Ball, sein Sohn war einer der Fußballer.

Wie ging es weiter?

Im selben Jahr kam es noch zur Gründung der Frankfurter Kickers, daran war auch Walther Bensemann beteiligt (Gründer des kicker 1920, Anm. d. Red.). 1911 folgte der Zusammenschluss zum Frankfurter Fußballverein. Das war eine große Sache. Beim FSV Frankfurt, der nie fusionierte, gingen sie auf die Barrikaden. Deren Vereinsmotto "Aus eigener Kraft" geht auf diese Zeit zurück. Die Eintracht entstand 1920 durch den Zusammenschluss mit der Frankfurter Turngemeinde. Den Namen fanden viele damals übrigens überhaupt nicht gut, da viele Gesangvereine so hießen.

Wie viele Zuschauer kamen zu den Spielen?

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2000, 3000 Leute, bei einem Endspiel um die Deutsche Meisterschaft auch mal 11 000 oder 12 000. Der Boom kam nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, da waren auch mal 40 000 oder 50 000 in den Stadien. Wegen dieses Interesses wurden in den 20er Jahren viele städtische Stadien gebaut. Auch auswärts fuhren Fans mit. Als die Eintracht 1932 im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft in Nürnberg gegen die Bayern 0:2 verlor, fuhren 5000 Fans mit, es gab sogar einen Konvoi mit 103 Autos.

Wie sah die Rivalität in Frankfurt aus?

Die Derbys gegen den FSV waren eine unangenehme Sache, weil es immer wieder zu Prügeleien kam. Zwischen den Fans, aber auch den Spielern. Einmal musste sogar die Polizei das Spiel abbrechen. Das war eine wilde Zeit. Die Offiziellen gossen im Vorfeld Öl ins Feuer. In den Eintracht-Zeitungen aus den 20ern wurde über den Dorf-Pöbel aus Bornheim geschimpft, gemeint war der FSV.

Gab es damals internationale Spiele?

Ja, zum Beispiel gegen Bradford City kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in dem 106 Vereinsmitglieder ihr Leben ließen. Wir gewannen 3:1. Die Engländer schämten sich und behaupteten, dass sie von einem Zeppelin irritiert wurden, der über dem Stadion flog. Sie haben immer in die Luft geschaut.

Später im Nationalsozialismus fügte sich die Eintracht.

Ja, wie die anderen Vereine auch. Man begründete es damit, dass man den Sportbetrieb aufrechterhalten wollte. Die Nazis hatten eigentlich kein Interesse daran, Vereine zu erhalten. Aber die Eintracht machte alle Formen der Gleichschaltung mit, schloss Mitglieder aus. Ab 1936 mussten die Jugendlichen in der Hitler-Jugend sein, um Fußball spielen zu dürfen. Als es nach dem Krieg wieder bei null losging, brauchte man erst mal unbelastete Funktionäre. Das ist nicht in allen Fällen gelungen. Unserem früheren Präsidenten Rudolf Gramlich wurde aufgrund seiner Vergangenheit in der Waffen-SS erst 2020 die Ehrenpräsidentschaft aberkannt. Mit der Begeisterung für die Eintracht können wir die Fans über unsere Arbeit im Museum auch für andere Themen sensibilisieren: Sport im Nationalsozialismus, Ausgrenzung, Antisemitismus, Rassismus.

Das 3:7 gegen Real Madrid im Finale des Landesmeisterpokals 1960 wurde zum Jahrhundertspiel gewählt. Welche Folgen hatte das Spiel seinerzeit?

In den Jahren danach ist die Eintracht für Freundschaftsspiele mehrmals zu Weltreisen aufgebrochen, nach Asien oder auch Südafrika. Manche Verbände konnten es sich nicht leisten, Real Madrid einzuladen, dann nahmen sie eben den Gegner aus dem 1960er Endspiel … (schmunzelt) 1964 stand einen Tag nach dem Pokalfinale gegen 1860 München eine Tour nach Südafrika an. Das war ein Riesending, da wollte sich vorher keiner verletzen - wir verloren 0:2. Die Eintracht war schon immer eine Reisemannschaft, bereits in den 20ern wurde mit Spielen in England, Österreich oder Holland geworben.

Den Zuschauerrekord gab es im Waldstadion gegen den FK Pirmasens. Was hat es damit auf sich?

Das war ein Spiel in der Endrunde zur Deutschen Meisterschaft 1959. Kickers Offenbach trug seine Spiele in der Endrunde damals ebenfalls im Waldstadion aus, gegen den HSV hatten sie 80.000 Zuschauer. Die Eintracht hatte gegen Pirmasens bereits alle 80.000 Karten verkauft, 1000 davon sollten aber eigentlich an die Gäste gehen. Als Pirmasens mit einer Beschwerde beim DFB drohte, wurde für die Fans des FK Pirmasens noch eine Zusatztribüne aufgebaut. So kam es zu der einmaligen Rekordkulisse.

Welcher Spieler ist der bedeutendste in der Vereinshistorie?

Jürgen Grabowski. Der war ein Künstler, unser filigranster Spieler in den 70ern - und Weltmeister. Grabi begründete einen Mythos. Noch heute lassen ihn die Fans in einer Hymne hochleben. Unser 1954er Weltmeister Alfred Pfaff war auch ein ganz Großer, Schlitzohr Bernd Hölzenbein und Rekordspieler Karl-Heinz Körbel dürfen ebenfalls nicht unerwähnt bleiben.

Hinweis: Das Interview erschien erstmals am 4. März in der Print-Ausgabe des kicker.

Interview: Julian Franzke