eSport

Wir laufen als Sportnation Gefahr, den Zug zu verpassen

Henriette Reker - Oberbürgermeisterin Stadt Köln

"Wir laufen als Sportnation Gefahr, diesen Anschlusszug zu verpassen"

Henriette Reker (65): Christian Lindner sollte den eSport künftig in die Positivliste des Finanzministeriums aufnehmen!

Henriette Reker (65): Christian Lindner sollte den eSport künftig in die Positivliste des Finanzministeriums aufnehmen! Stadt Köln

Im Fernduell um die Ligaführung liefern sich der VfL Bochum und der 1. FC Köln ein packendes Rennen. Während die Kölner auf Schalke 6:3 liefern, patzt der VfL Bochum beim VfL aus Wolfsburg wenig später mit 3:6. Die Bochumer retten sich mit ihrem Punktepolster schließlich als erster in die Playoffs. Die Szene, die ich beschreibe, ist kein Kölner Fußball-Fiebertraum, sondern die Situation am 26. Spieltag der Virtual Bundesliga 2021.

Henriette Reker (65) ist seit 2015 Oberbürgermeisterin der Stadt Köln.

  • Dort ist die einzige Sportuniversität Deutschlands ansässig, dort findet die gamescom statt, die weltweit größte Messe für Computer- und Videospiele.

Der eSport ist inzwischen keine "eigene Welt" mehr, sondern Teil der ganz realen Sportwelt geworden. Seine Zuschauer werden immer mehr - und sie werden immer älter. Die eSport-Branche hat 2020 bundesweit 130 Millionen Euro umgesetzt, die Gaming-Branche ein Vielfaches davon. In Köln sind eSport und Gaming mit der Messe gamescom und internationalen Events wie der ESL One, der "Kathedrale des eSports", mittlerweile echte Standortfaktoren.

eSport ist eine Brücke zwischen analoger und digitaler Welt, zwischen den Generationen. eSport-Profis sind für heranwachsende Persönlichkeiten oftmals selbstverständliche Vorbilder.

So sorgt gerade die nicht-Anerkennung des eSports dafür, [...] dass sich gemeinnützige, nicht-kommerzielle Strukturen im Amateurbereich ausbilden können.

Henriette Reker

Und doch wird eSport in Deutschland nach wie vor mit institutioneller Skepsis und regulatorischen Hürden begegnet. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und weite Teile der Politik beharren auf einem tradierten Bild des eSports.

eSport und Gemeinnützigkeit: Die Übersicht

Schnell ist das Bild des killerspielenden Jugendlichen gezeichnet, der besser an der frischen Luft aufgehoben wäre. Ich bin davon überzeugt: Eine Unterteilung in pädagogisch "sinnvollen" und "nicht sinnvollen" Sport durch Politik und Verbände wird keinen Jugendlichen in der Wahl des Spiels beeinflussen, vermutlich im Gegenteil. Übrigbleibende Fragestellungen in diesem Kontext regelt bereits heute das Jugendschutzgesetz.

Des Weiteren wird beklagt, dass die Welt des eSports zu stark von kommerziellen Interessen dominiert sei. Das hat eine wesentliche Ursache: So sorgt gerade die nicht-Anerkennung des eSports als "offizielle" Sportart durch den DOSB und die damit verbundene, verweigerte Gemeinnützigkeit durch staatliche Behörden dafür, dass sich gemeinnützige, nicht-kommerzielle Strukturen im Amateurbereich ausbilden können. Tatsächlich riskieren Sportvereine, die eSport-Abteilungen gründen, gar ihre Gemeinnützigkeit.

Die Sportnation Deutschland läuft Gefahr, den nächsten Anschlusszug zu verpassen. Obendrein vergeben wir noch erhebliches soziales und wirtschaftliches Potential. Die neue Bundesregierung muss dem Thema eSport endlich die Bedeutung zubilligen, die er verdient.

Paragraph 52 muss geändert werden

Um den eSport-Standort Deutschland verdient macht sie sich, wenn sie das Gemeinnützigkeitsrecht im Paragraph 52 entsprechend ändert. Christian Lindner sollte den eSport künftig in die Positivliste des Anwendungserlasses des Finanzministeriums aufnehmen. Was nach technischen Details klingt, ist die rechtliche Bedingung für eine starke Zukunft des eSports in Deutschland.

Noch ist der eSport nicht olympisch. Ich prophezeie: Noch vor Ende dieses Jahrzehnts ist es soweit.

Henriette Reker

Und auch der organisierte Sport sollte sich bewegen. Wenn Jugendliche fragen, warum Schach von der institutionellen Sportwelt als Sportart anerkannt wird, eSport aber nicht, erhalten sie oft nur ein müdes Funktionärslächeln. Dabei haben die jungen Menschen Recht!

Die Tatsache, dass die Mehrzahl der Schachpartien mittlerweile online stattfinden, lässt die Einschätzung insbesondere des DOSB noch fragwürdiger erscheinen.

Es wäre schade, wenn ein Umdenken erst dann stattfindet, wenn auf offiziellen, internationalen Wettkämpfen erste Medaillen in Nationenwertungen verliehen werden. Besser wäre es, den eSport jetzt durch den DOSB als "offizielle" Sportart anzuerkennen und eSportlern schließlich konsequent auch Zugang zu leistungs- und Sportförderkadern zu gewähren.

Als Region Rhein-Ruhr wollen wir die Olympischen Spiele in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts als nachhaltige Spiele ausrichten. Zugegeben, bis dahin wird noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen.

"Wir könnten den eSport dominieren"

Als Sportnation müssen wir aber schon heute die Strukturen setzen, um dem anhaltenden Negativtrend in den Olympischen Medaillenspiegeln etwas entgegenzusetzen. Noch ist der eSport nicht olympisch. Doch die Front bröckelt von Jahr zu Jahr. Ich prophezeie: Noch vor Ende dieses Jahrzehnts ist es soweit.

Mit guten Entscheidungen und den entscheidenden Klicks an der richtigen Stelle könnten wir den eSport so dominieren wie heute nur noch wenige traditionelle Sportarten.

Ein Debattenbeitrag von Henriette Reker

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