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WM 2022: Kolumne: Jede Personalie muss hinterfragt werden

WM-Kolumne

Wenn ich Bundestrainer wäre: Jede Personalie muss hinterfragt werden

Wenn ich Bundestrainer wäre: Jede Personalie muss hinterfragt werden

Wenn ich Bundestrainer wäre: Jede Personalie muss hinterfragt werden kicker

Schon wieder raus. Schon wieder nach drei Spielen. Es ist also eine Selbstverständlichkeit, dass nun eine sofortige und schonungslose Analyse erfolgen muss. Und zwar auf allen Ebenen. Am besten fängt man da immer bei sich selbst an.

An der Zusammenstellung des Kaders lag es nicht. 26 Mitglieder in einem Turnierensemble sind aber zu viele, es eskaliert der Grad der Unzufriedenheit bei denen, die im Grunde keine Aussicht auf einen Einsatz oder allenfalls eine auf einen kurzen haben. Die zuvor diskutierte Nichtnominierung des 2014er Weltmeisters Mats Hummels war richtig und während der WM-Tour kein Thema. Die personellen Entscheidungen während des Turniers sind diskutabel, insbesondere nach einem Spiel, wenn der Effekt einer Ein- und Auswechslung ausbleibt.

Aber einem Leon Goretzka mit seiner Klasse sollte man schon zutrauen, selbst einen starken Ilkay Gündogan zu ersetzen. Niclas Füllkrug wäre gegen Costa Rica mit Sicherheit die bessere Wahl für die Sturmmitte gewesen. Joshua Kimmichs Positionierung rechts außen in der Viererkette machte Sinn, weil damit beide Außenverteidiger im Wechsel offensiv werden konnten. Flankengeber waren damit vorhanden, so dass der Seitentausch - Gnabry nach links und Sané nach rechts - erfolgte, damit beide nach innen ziehen und mit ihrem starken Fuß schießen konnten. Gnabry zielte kurz vor der Pause um Zentimeter an der langen Ecke des gegnerischen Tores vorbei, Sané leider zweimal hoch drüber.

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Zu zaghaft war die Formulierung des Zieles gegen Costa Rica. Statt zuallererst einen Sieg anzupeilen und diplomatisch den Respekt vor dieser eigentlich schwachen Mannschaft aus Costa Rica auszusprechen, hätte ein Sieg so hoch wie möglich deutlich und laut formuliert werden müssen, um die Spieler von der ersten Minute an auf Torabschlüsse zu fokussieren und auch den Gegner psychologisch zu beeindrucken. Respekt hätte man ihm trotzdem zollen können. In der letzten halben Stunde, als es um alles ging, rollte die Lawine. Da wurde deutlich, was möglich gewesen wäre, mit permanentem Druck im Spiel nach vorne und sofortigem Gegenpressing, das nicht oder viel zu lasch praktiziert wurde.

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Die eigentlich vorgegebene Intensität muss künftig über 90 Minuten gelingen. Es wird nicht mehr reichen, eine Halbzeit lang oder sporadisch alles von sich zu fordern. Auch die ständigen Freiräume in der Defensive müssen abgeschirmt werden. Irgendwann muss es die Mannschaft kapieren. Der Kuschelkurs wird vorbei sein, allein über die harmonische Schiene werden keine Erfolge eingefahren. Für Niklas Süle, Serge Gnabry und Leroy Sané darf es nicht mehr reichen, ihre großen Fähigkeiten nach Lust und Laune vorzutragen und dann wieder vor sich hin zu schlampen. Wenn die jetzt mittlere Generation in ihrer Karriere auch mit der Nationalmannschaft Titel gewinnen will, muss sie schleunigst damit anfangen.

Neuer darf weitermachen - weil kein besserer Keeper in Sicht ist

Ohnehin ist jede Personalie und Person zu hinterfragen, selbst im Tor, wo Manuel Neuer die unumstrittene Nummer 1 war. Der Kapitän will weitermachen, bitte, sehr gerne, weil weiterhin kein deutscher Keeper besser ist als er. Aber es wird für die EM 2024 auch auf dieser Position der Konkurrenzkampf ausgerufen. Sonst erstarrt der Ehrgeiz der anderen Schlussmänner in Lethargie. Sollten zwei andere Routiniers, Thomas Müller (33) und Ilkay Gündogan (32), ihre DFB-Karriere beenden wollen - wie es Müller für sich andeutete -, muss mit ihnen offen über ihre Aussichten gesprochen werden. Jamal Musiala, Kai Havertz und bald Florian Wirtz drängen fest auf deren Planstellen.

Den gestarteten Aufbruch zurück in die Weltspitze hat das Jahr 2022 gebremst

Havertz muss dazu aber seine besonderen Fähigkeiten nonstop nutzen und aus seinem Hochbegabtenschlummer aufwachen . Rechts in der Außenverteidigung muss sich Lukas Klostermann etablieren, links David Raum, der insbesondere sein taktisches Verhalten (Defensive, Stellungsspiel) schulen muss. Ein Lernprozess steht genauso Nico Schlotterbeck, Karim Adeyemi, Youssoufa Moukoko und Armel Balla Kotchap bevor.

Die große Auswahl für die Außenverteidigung besteht nicht, für die andere Problemzone in der Angriffsmitte hat sich Füllkrug mit drei Toren in den vier Spielen am Golf empfohlen. Obwohl er als schon 29-jähriger Debütant eine überschaubare Zukunft vor sich hat, kann er der Mannschaft bei der EM 2024 und vielleicht auch bei der WM 2026 helfen.

Den im August 2021 gestarteten Aufbruch zurück in die Weltspitze hat nach gutem Start das Jahr 2022 mit der krassen Enttäuschung bei der WM und dem vorherigen Zickzackkurs gebremst. Vier Siege, sechs Unentscheiden und zwei Niederlagen ergeben eine dünne Bilanz. Die Partien vor der WM und die durchwachsenen Leistungen in der Nations League hätten als Warnzeichen interpretiert werden müssen. Ist die Qualität dieser Mannschaft doch nicht so toll? Oder noch nicht?

Mit Blick auf die Heim-EM in anderthalb Jahren bleibt der Auftrag in jedem Fall spannend, das Potenzial dieser Mannschaft komplett auszuschöpfen. Zur Klasse gehören auch Konstanz und Konsequenz im Umgang mit der eigenen Kompetenz. Misslingt dieser Nachweis, fehlt eben die Klasse. Mit diesen Spielern das Gegenteil zu beweisen, bleibt eine interessante Herausforderung.

Ein Rücktritt vor dem Vertragsende nach der EM 2024 kommt also nicht infrage.

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