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Wenn ein Togolese ABBA hört

Afrika-Cup zeigt viele Probleme auf

Wenn ein Togolese ABBA hört

Besser, aber nicht gut: Straßen in Abidjan während des Afrika-Cups.

Besser, aber nicht gut: Straßen in Abidjan während des Afrika-Cups. AFP via Getty Images

Aus Abidjan berichtet Michael Bächle

Maeva sagt einen Satz, den man sonst in der Elfenbeinküste eigentlich nie hört: "Fußball interessiert mich eigentlich nicht so." Sie ist Schülerin am Lycee classique de Cocody, einem Gymnasium in Abidjan. Und sie hat heute einen außergewöhnlichen Schultag. Heute interessiert sie sich für Fußball.

Viele Fotografen und Kamera-Teams sind gekommen, belagern in der sengenden Mittagshitze den Sportplatz, auf dem Jugendtrainer mit ihren Mannschaften Übungen machen. "Kick and Learn" heißt die Veranstaltung, die der afrikanische Fußballverband CAF unter viel PR-Aufwand an diesem Tag startet. Der Generalsekretär des CAF ist da, referiert über den Vormarsch des afrikanischen Fußballs und wie wichtig die Bildung dafür ist.

Und auch Salomon Kalou ist da. Der ehemalige Chelsea- und Hertha-Angreifer sagt Sätze wie: "Talent kann dich weit bringen, aber Bildung bringt dich noch weiter." Dann dribbelt er für die Fotografen um ein paar aufgestellte Hindernisse herum. Das Smartphone legt er dabei nicht aus der Hand.

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"Das ist alles Folklore", sagt Bakari Coulibaly und lächelt durch seine Zahnlücke. Er sitzt in seinem Büro im obersten Geschoss seines Firmensitzes in einer kleinen Seitenstraße im Stadtteil Angré. Die meisten Gebäude hier sind baufällig, der Müll türmt sich vor den Häusern auf. Aber es könnte schlimmer sein. Einer der besseren Stadtteile von Abidjan.

Afrika-Cup, Finale in Abidjan

Coulibaly ist ein erfolgreicher Unternehmer, hat seine eigene Medizintechnik-Firma gegründet. Und dann irgendwann einen Fußballverein gekauft. RFC Aboisso heißt er. Aber er hieß nicht immer so. Coulibaly hat ihn bei seiner Übernahme umbenannt. Dazu ein neues Logo, neue Vereinsfarben - natürlich die seiner Firma - und sogar einen eigenen Radiosender hat der Verein. Mittlerweile spielt der RFC Aboisso in der zweiten ivorischen Liga, aber Coulibaly will ihn ganz nach oben bringen.

Von Initiativen wie "Kick and Learn" hält er wenig. "Bei solchen Veranstaltungen wird vorgespielt, dass Afrika sich geändert hat", sagt er. "Aber die Realität ist anders." Seine Realität ist anders.

Die Kinder sehen Sadio Mané im Fernsehen und denken, sie müssen nicht mehr in die Schule.

Bakari Coulibaly

"Die Kinder hier sehen Sadio Mané im Fernsehen und denken: Toll, wenn ich auch so gut Fußball spiele, muss ich nicht mehr in die Schule gehen", sagt er. Das sei schon immer so gewesen, überall in Afrika. Wirklich unternommen worden, um daran etwas zu ändern, sei nichts, sagt er. Da nutze auch kein Salomon Kalou.

Coulibaly betreibt beim RFC Aboisso eine Fußballschule, Unterstützung vom Staat oder vom Verband hat er nie bekommen. Das duale Ausbildungssystem, der ganze ivorische Fußball hänge an privaten Geldgebern wie ihm. Zuletzt bestätigte der CAF zwar, die Fördergelder für die Mitgliedsverbände zu verdoppeln. Aber beim ivorischen Verband, sagt Coulibaly, "hat niemand Ahnung von Fußball", die Gelder verschwinden einfach. Ob das nun 200.000 oder 400.000 US-Dollar sind, mache in den meisten Ländern keinen großen Unterschied.

Die Hoffnung auf Besserung hat er aufgegeben, stattdessen wünscht er sich Hilfe aus Europa. "Und wenn es nur Bälle, Schuhe oder Tornetze sind. Wenn ich sehe, dass europäische Vereine ihren Rasen wechseln und den alten einfach wegschmeißen, tut mir das richtig weh. Wenn man den Jugendspielern hier keine Perspektive bietet, dann fliehen sie durch die Wüste nach Tunesien oder Libyen und setzen sich in ein Boot nach Europa."

Stade Alassane Ouattara

Schmuckstück ohne Zukunft? Im Stade Alassane Ouattara wird das Finale des Afrika-Cups ausgetragen. AFP via Getty Images

Abidjan ist orange, auch wenn die Elfenbeinküste nicht spielt. Die Farbe des während des Turniers allgegenwärtigen Nationaltrikots, sie ist auch die Farbe der Taxis, die einen Großteil des dichten und unübersichtlichen Stadtverkehrs ausmachen. Drei Spuren werden zu fünf, die Hupe wird häufiger gedrückt als das Gaspedal, die Auspuffe qualmen. Es hat dauerhaft 35 Grad, aber die Sonne ist nie zu sehen und der Himmel ist nie blau. Über der Stadt liegt eine Wolke aus Arbeit. Arbeit, die es hier gibt und woanders nicht.

1950 hatte Abidjan noch etwa 50.000 Einwohner, jetzt sind es über sechs Millionen. Viele sind aus Burkina Faso gekommen, einige aus Mali oder Ghana. Oder aus Togo, so wie Angelo. "Zu Hause gab es keine Jobs", sagt er, Mitte 30. Jetzt hat er sogar zwei: Fahrer für eine Autovermietung und Maler. Es geht ihm und seiner Familie hier besser als in Togo, aber nicht gut.

Auswandern wegen Haaland

Sein Traum ist der Traum von so vielen hier: Europa. Am liebsten hört er ABBA und Chris de Burgh. Die Texte kann er auswendig, auch wenn er nur gebrochen Englisch spricht. Abidjan ist eine der reichsten Städte Westafrikas. China investiert mittlerweile im großen Stil in die Küstenstadt. Wer hier lebt, hat es besser als an vielen anderen Orten Afrikas. Aber es reicht nicht.

Angelo will entweder nach Deutschland, nach England oder nach Norwegen. Auf Norwegen gekommen ist er, weil er viele Dokumentationen über das Land gesehen hat - "und wegen Haaland". Angelo ist großer Fußballfan. Eigentlich ist hier so gut wie jeder Fußballfan. Die Spiele des Cups laufen überall. Unter einem kleinen Vordach aus Wellblech im Stadtteil Biafra drängen sich zehn, fünfzehn Menschen um einen kleinen Röhrenfernseher, um das Achtelfinale von Ägypten gegen die DR Kongo zu sehen.

Und als die Elfenbeinküste ihr Viertelfinale gegen Mali in Bouaké austrägt, sind die Schranken einer Mautstelle auf der Straße ins Landesinnere offen. Die Beamten winken die Autos euphorisch jubelnd durch, die Menschen sollen auf keinen Fall zu spät zum Spiel kommen.

Das Spiel im "Stade de la Paix", dem Stadion des Friedens. Die ivorische Nationalmannschaft um Volksheld Didier Drogba hat 2007, während des Bürgerkriegs, darum gebeten, ein wichtiges Qualifikationsspiel von Abidjan nach Bouaké, in die Rebellenhochburg, verlegen zu lassen. Ein Akt mit riesiger Symbolkraft für das damals gespaltene Land, ein halbes Jahr später war der Friedensvertrag unterzeichnet. Es ist so viel mehr als ein Spiel.

Bakari Coulibaly

Auf sich alleine gestellt: Klubbesitzer Bakari Coulibaly präsentiert ein Trikot des RFC Aboisso. kicker

Auf dem Schreibtisch von Bakari Coulibaly liegen drei Handys. Eines leuchtet kurz auf. 156 ungelesene WhatsApp-Nachrichten. Es ist der 1. Februar, das Transferfenster schließt morgen. Einmal hatte er eine Anfrage für einen seiner Spieler aus Europa, von einem Klub aus Estland. "Aber mit dem Verein selbst habe ich nie gesprochen, es waren zu viele Mittelsmänner involviert", erklärt er.

Dann nimmt er eines seiner Smartphones in die Hand und zeigt Bilder aus dem Stade d'Oyem in Gabun. Dort fanden mal sieben Spiele des Afrika-Cups 2017 statt. Gebaut von Shanghai General Construction. Erst wenige Tage vor Turnierbeginn war es unter der Anwesenheit des Staatspräsidenten eröffnet worden. Halbfertig.

Nur sieben Jahre später kommt es daher wie eine Ruine mitten im Urwald. Die Plastikschalen auf den Rängen strahlen noch immer in den gabunischen Nationalfarben, auf dem ehemaligen Spielfeld sprießen die Sträucher, im Außenbereich schimmelt sogar der Boden. Immerhin: Die Glasfenster und die Anzeigetafel scheinen intakt, niemand hat sie mit Steinen zertrümmert. Dazu müsste ja auch jemand dorthin kommen.

ABIDJAN, IVORY COAST - FEBRUARY 7: Sebastien Romain Teddy Haller of Ivory Coast scores the teams first goal during the TotalEnergies CAF Africa Cup of Nations semi-final match between Ivory Coast and DR Congo at Olympic Stadium of Ebimpe on February 7, 2024 in Abidjan, Ivory Coast. (Photo by Ulrik Pedersen/DeFodi Images via Getty Images)

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"Genau das wird in Ebimpé auch passieren", sagt Coulibaly. In Ebimpé, einem Vorort von Abidjan, steht das Stade Alassane Ouattara, benannt nach dem amtierenden Staatspräsidenten. Austragungsort von Eröffnungsspiel und Finale. Beim Spatenstich 2016 standen neben dem damaligen ivorischen Premierminister mehrere chinesische Botschaftsbeamte. Gebaut von der Beijing-Construction Engineering Group. Die Plastikschalen auf den Rängen strahlen in den ivorischen Nationalfarben. Kennt man.

Während des Afrika-Cups zeigt sich die Arena von seiner besten Seite. Beeindruckende Architektonik, hervorragende Akustik, stimmiges Gesamtbild. Aber es ist ja auch Trockenzeit. Bei einem Freundschaftsspiel der Elfenbeinküste im September reichten ein paar Minuten Unwetter aus, um das Stade Alassane Ouattara zu überfluten - und Alassane Ouattara in rasende Wut zu versetzen. Sportminister und Premierminister wurden entlassen. Eine Chance, sich der Welt zu präsentieren - und nicht nur dem Groß-Investor China - kommt nicht so oft. Da muss alles stimmen.

Ein Plan für die Arena liegt nicht vor

Und nach dem Finale? Ein Plan für die Arena in Ebimpé wurde nie kommuniziert. Die etwa 218 Millionen Euro Baukosten liegen dann irgendwo in einem schlecht erreichbaren Vorort - und für welche Spiele braucht man nach dem Afrika-Cup noch ein Fassungsvermögen von 60.000 Zuschauern? "Niemand denkt daran, was nach dem Turnier kommt", sagt Coulibaly.

Nachhaltige Investitionen in die Infrastruktur wurden verpasst. "Man hätte in Ebimpé ja um das Stadion herum Trainingsplätze bauen können. Wir trainieren teilweise mit vier Mannschaften gleichzeitig auf einem Platz. Manchmal sitzen die Spieler schon in unserer Kabine und dann heißt es: Das Training fällt heute aus, wir haben keinen Platz. Und das im bezahlten Fußball." Man habe zwar im afrikanischen Fußball "immer viele Talente, das war nie das Problem", sagt er. "Aber es fehlt an der Infrastruktur und an der Ausbildung."

Maeva, die Schülerin am Lycee classique de Cocody, findet das "Kick-and-Learn"-Projekt eine gute Sache, auch wenn sie sich ja eigentlich nicht so für Fußball interessiert. "Es ist schön, wenn man träumen kann", sagt sie. Manchmal muss das reichen.

Dieser Text erschien erstmals in der Donnerstagsausgabe des kicker am 8. Februar.

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