Südwest

TSG Balingen: Unerwartete Treuebekenntnisse nach der Absage

Überzeugungsarbeit trägt bei der Kaderplanung Früchte

TSG Balingen: Unerwartete Treuebekenntnisse nach einer Absage

Erst die Kickers, jetzt kommt der VfB: Moritz Kuhn und die TSG Balingen wollen im Pokal weiter die großen Stuttgarter Klubs ärgern.

Erst die Kickers, jetzt kommt der VfB: Moritz Kuhn und die TSG Balingen wollen im Pokal weiter die großen Stuttgarter Klubs ärgern. IMAGO/ULMER Pressebildagentur

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Wie wichtig der Gewinn des württembergischen Landespokals und die damit verbundenen erstmalige Teilnahme am DFB-Pokal für die TSG Balingen war, zeigt sich jetzt in den Vertragsgesprächen. Laut Neu-Manager Jonathan Annel seien diese beim Südwest-Regionalligisten bereits weitgehend abgeschlossen. Und bis auf die bekannten Abgänge sowie "ein, zwei Wackelkandidaten, bei denen es aber gut aussieht" und die mittlerweile auch mindestens mündlich zugesagt haben sollen, hätten alle Balinger ihre auslaufenden Verträge verlängert, so der 34-jährige Annel, der den erfolgreichen Geschäftsführer Jan Lindenmair (wechselt in die Wirtschaft) beerbte.

Dass die Truppe, die dem Fußball nur im Nebenjob nachgeht und nur dreimal die Woche nach Feierabend trainiert, derweil nahezu komplett zusammenbleibt, war keineswegs zu erwarten. Noch vor wenigen Monaten war der Balinger Mannschaftsrat an die Vereinsverantwortlichen mit dem Anliegen herangetreten, für die damals schon absehbare beste Saison der Vereinsgeschichte (Regionalliga-Platz 6 und WFV-Pokalsieg) auch mit mehr Geld kompensiert zu werden. Die Funktionäre erteilten der Mannschaft, die bekanntlich unter Amateurbedingungen arbeitet und entsprechend entlohnt wird, zunächst eine Absage. Vereinschef Eugen Straubinger verwies darauf, dass der Verein nach herausfordernden Corona-Jahren, in denen das Team schon einmal auf Gehalt verzichtet hatte, und aufgrund von höheren Prämienzahlungen bei nachlassendem Zuschauerzuspruch (852 im Schnitt) schon an der Grenzen des finanziell Machbaren angelangt sei.

Verbandspokal-Finale

Zu wirtschaftlichen Belangen schweigen sich die Schwaben traditionell aus, betonen aber regelmäßig, über den wohl geringsten Etat der Südwest-Staffel zu verfügen. Jedenfalls stand zu befürchten, dass es den ein oder anderen Leistungsträger zu den württembergischen Profiklubs ziehen könnte: Etwa zum Drittliga-Aufsteiger SSV Ulm 1846, eher noch zum finanzstarken Regionalliga-Rückkehrer Stuttgarter Kickers, den die Balinger im Pokalfinale im Elfmeterschießen niederrangen. Womöglich auch zur SG Sonnenhof Großaspach, die kürzlich in den Aufstiegsspielen zur 4. Liga scheiterte - für die TSG nicht unbedingt zum Nachteil - oder auch zum SGV Freiberg. Zumal ein nicht unerheblicher Teil der Balinger Spieler im Großraum Stuttgart respektive Ludwigsburg wohnt, studiert oder eine Vergangenheit bei den besagten Klubs aufweist.

Pokal-Los sorgt für Umdenken

Der Gewinn des WFV-Pokals, die daraus folgende Teilnahme am DFB-Pokal und das Erstrundenlos VfB Stuttgart haben einige der wechselwilligen Spieler nun offenbar zum Umdenken gebracht. Zumal der Verein die Prämien und Fernsehgelder in sechsstelliger Höhe wohl teilweise an die Spieler weitergeben und deren Bedürfnissen entsprechend nachkommen kann. "Ich bin sehr positiv überrascht", sagt Balingens Trainer Martin Braun. Er habe "schon damit gerechnet, dass uns noch zwei oder drei Spieler verlassen werden", so der frühere Bundesliga-Spieler (SC Freiburg, 1. FC Köln). "Nun freut es mich natürlich umso mehr, dass nahezu alle Spieler bleiben werden. Uns zeigt das, dass sich die Jungs bei uns wohlfühlen." Auch Kapitän Matthias Schmitz, eines von einigen Balinger Eigengewächsen, betonte zuletzt, man habe vereins- wie teamintern doch allerhand Überzeugungsarbeit geleistet, damit der gemeinsame Weg auch weiterhin zusammen beschritten werden kann.

So wird es wohl bei drei Abgängen bleiben, die den Württembergern zwar wehtun, aber vom Trainerteam zu kompensieren sein dürften. Dass Flügelspieler Laurin Curda, den Braun und Co. vor zwei Jahren aus dem Nachwuchsleistungszentrum des SV Sandhausen auf die Schwäbische Alb gelotst hatten, ablösefrei zum Zweitligisten SC Paderborn wechselt, nahm man in der Handballstadt Balingen eher als Kompliment für die eigene Arbeit auf. Weiterhin zieht es den früheren Freiburger Jonas Fritschi zum Studieren in die USA und Ersatzkeeper Plator Gashi in den Amateurfußball zurück zum TSV Plattenhardt. Da man den üppigen Kader nicht weiter aufblähen und durchaus sparen wolle, seien zunächst keine Neuzugänge geplant, erklärte Braun. Außer eine Verpflichtung würde sich geradezu aufdrängen.

Für die TSG wäre das nun nicht ungewöhnlich: So war der frühere Erstliga-Spieler Denis Epstein im Sommer 2019 mit seiner Familie auf die Alb gezogen und hatte seine Karriere in Balingen ausklingen lassen. Mittlerweile ist der 36-jährige Kölner als erfolgreicher U-23-Coach und Leiter der neugegründeten Fußballschule eine feste Größe im Verein.

Er kommt direkt vom Arbeiten auf dem Bau ins Training und hat eine wahnsinnige Spielfreude.

Balingen-Trainer Martin Braun über Moritz Kuhn

Im vergangenen Sommer hatte zudem der frühere Zweitliga-Profi Moritz Kuhn an die Tore der Bizerba-Arena geklopft. Der nun 31-Jährige war nach der Insolvenz von Türkgücü München ebenso plötzlich wie unverhofft vereinslos gewesen, stieg in den schwiegerväterlichen Baubetrieb ein und kickt nun nebenher in Balingen. Die TSG hievte der kreative Mittelfeldallrounder auf ein neues Niveau. "Moritz ist für uns als Mensch und als Fußballer ein Glücksgriff. Er kommt direkt vom Arbeiten auf dem Bau ins Training und hat eine wahnsinnige Spielfreude", erklärte Braun neulich in der Balinger Lokalpresse. "Er ist ein angenehmer Mensch, der sehr respektvoll mit allen umgeht", so der TSG-Coach weiter. "Wenn ich ihn mal nicht von Anfang an aufgestellt hatte, weil ich Spielzeiten verteilen wollte, gab es von ihm immer nur verständnisvolle Worte - obwohl er von seinen Fähigkeiten eigentlich immer hätte spielen müssen."

DFB-Pokal

Kuhn wird den Balingern definitiv erhalten bleiben. Als einziger Spieler des Balinger Kaders ist der Schwabe erfahren im DFB-Pokal. Wie berichtet ist neben des konkreten Termins (möglich ist 11. bis 14 August) auch noch offen, wo das Erstrunden-Spiel gegen den VfB Stuttgart stattfinden wird. Die eigene Bizerba-Arena scheint als Austragungsort ungeeignet, die Balinger hätten daher gerne das Heimrecht getauscht und wären in die Mercedes-Benz Arena ausgewichen. Diesem Anliegen hat der Bundesligist aber eine Absage erteilt.

Bleiben noch die Kreuzeiche in Reutlingen, die Arena in Aspach oder das Gazi-Stadion der Stuttgarter Kickers, an das die TSG seit dem WFV-Pokalsieg gute Erinnerungen hat. Die Gespräche liefen, erklärte Annel, die Entscheidung dürfte wohl in dieser Woche fallen. Favorit ist derzeit wohl die Kreuzeiche. Hier hätten über 15.200 Zuschauer Platz.

Und wie stehen die Chancen auf ein Weiterkommen? "Auch wenn die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen nicht sehr hoch ist, sollte man zu Beginn des Spiels daran glauben, dass es möglich ist", sagt Braun. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Fußballer der TSG Balingen alle überraschen würden.

Marcel Schlegel

Alle Torschützenkönige der Regionalliga Südwest