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Runjaic: "Ist das wirklich eine kleinere Bühne?"

Der deutsche Trainer von Legia Warschau spricht im kicker

Runjaic im Interview: "Ist das wirklich eine kleinere Bühne?"

Kosta Runjaic wagte 2017 den Schritt nach Polen - und hat ihn nicht bereut.

Kosta Runjaic wagte 2017 den Schritt nach Polen - und hat ihn nicht bereut. IMAGO/Newspix

Herr Runjaic, stimmen Sie zu, dass man Legia Warschau als den FC Bayern Polens bezeichnen kann - nicht nur, weil beide Klubs Rekordmeister ihres Landes sind?

Legia war zwar mit "nur" sieben Meisterschaften in den vergangenen zehn Jahren nicht ganz so erfolgreich wie Bayern, aber vom Stellenwert, von der öffentlichen Wahrnehmung kann man das schon sehr gut vergleichen. Auch die Infrastruktur ist top, zum Beispiel haben wir ein hochmodernes Trainingszentrum 25 Kilometer außerhalb von Warschau, das in der Form nicht mal alle Bundesligavereine vorweisen können.

In beiden Ligen steht der letzte Spieltag an. In München herrscht jedoch angesichts des drohenden zweiten Platzes Weltuntergangsstimmung, in Warschau freut man sich gerade über Platz zwei. Warum ist das so?

Weil der Klub in der vergangenen Saison, als ich noch nicht hier war, eine ganz schwierige Phase durchlebt hat. Er stand zwischenzeitlich auf einem Abstiegsplatz, wurde am Ende nur Zehnter. Das ist man als erfolgsverwöhnter Verein nicht gewohnt. Eigentlich ist man hier zum Erfolg verpflichtet. Doch die Lage war schon gefährlich, vielleicht vergleichbar mit Dortmund, das 2014/15 auch mal in Abstiegsgefahr schwebte. Ich hatte dann seit Juli 2022 den Auftrag, eine Übergangssaison zu gestalten. Die Erwartungshaltung war nicht allzu hoch, auch wenn ein Rang unter den Top 3 intern das Ziel war. Daher ist Platz 2 in diesem Jahr ein Erfolg. Die Fans sind in der Tat zufrieden, was einer der höchsten Zuschauerschnitte hier jemals, mehr als 20.000, verdeutlicht.

Sie haben Legia also quasi auf Platz 10 übernommen. Warum haben Sie Ihren Job in Stettin dafür aufgegeben, nachdem sie Pogon auch zweimal in die Europacup-Quali geführt und zuvor vor dem Abstieg gerettet hatten?

Pogon war 2017 ein Abenteuer für mich. Meine Entscheidung, ins Ausland zu wechseln, zu einem weit abgeschlagenen Tabellenschlusslicht, haben viele nicht verstanden. Aber ich wollte einfach etwas Neues machen, aufbauen, mitgestalten. Das ist uns geglückt, weil ich die Zeit bekommen habe. Aber 2022 hat es sich dann richtig angefühlt für beide Seiten, wieder neue Impulse zu setzen. Wir haben uns freundschaftlich getrennt, ich ging zu Legia, nachdem Pogon zu einem Vorzeigeklub geworden ist und wir dort all das erreicht haben, was wir uns vorgenommen hatten.

Was mich als Trainer antreibt, ist, eine Mannschaft oder im Idealfall sogar einen ganzen Verein zum Wachsen zu bringen.

KOSTA RUNJAIC

Was steckt denn eigentlich hinter der über Polens Grenzen hinaus bekannten Pogon-Akademie, was wird dort besser gemacht als in manchen Großklubs in Europa?

Ich kam ja neulich mit Legia quasi als Außenstehender wieder zurück nach Stettin und war begeistert, was dort entstanden ist. Das Stadion ist mittlerweile fertig, alles ist hochprofessionell. Das war 2017 anders, da war alles recht bescheiden. Ich denke, dass in der Akademie einfach gut und hart gearbeitet wird in Kombination mit Eindrücken, die man selbst aus dem Ausland mitgenommen hat. Vielleicht sind manche Talente dort auch hungriger als im Ausland. Die jungen Spieler sind wissbegierig und demütig und es treibt sie an, in die Top-Ligen zu wechseln. Aber es ist nicht nur Stettin, auch Legia und Posen haben starke Akademien.

Sie sind in Deutschland in den vergangenen Jahren etwas unter dem Radar geflogen. Brauchen Sie demnach die große Bühne offenbar nicht für Ihr persönliches Glück?

Na ja, Legia ist der größte Verein in einem traditionsreichen Fußball-Land mit 38 Millionen Einwohnern. Ist das wirklich eine kleinere Bühne als die 2. Bundesliga? Aber ich verstehe, was Sie meinen, aus deutscher Sicht mag mein Weg unüblich erscheinen. Ich habe damals bewusst diese Bauchentscheidung getroffen, nach Polen zu gehen. Es war eine Fügung. Letztlich ist daraus eine Win-Win-Geschichte geworden. Dass sie nicht im ganz großen deutschen Rampenlicht stattfand, darauf reagiert mein Ego nicht, auch nicht darauf, dass ich der ausländische Trainer mit den meisten Spielen in Polens 1. Liga bin (139, Anm. d. Red.). Was mich als Trainer antreibt, ist, eine Mannschaft oder im Idealfall sogar einen ganzen Verein zum Wachsen zu bringen. Das ist in Stettin wie in Warschau geglückt, obwohl bei Legia die Quoten eher niedrig standen, dass das etwas wird. Ich genieße hier eine gewisse Anerkennung.

Eigentlich ist der Fußball schnelllebiger als in Ihrem Fall.

Ja: Heute gefeiert, morgen gefeuert - so kann es in unserem Job oft gehen. Ich bin froh, dass ich hier diese Kontinuität habe. Ich bin als Mensch reifer geworden und gewachsen. Das tut mir selbst gut. Wie andere mich wahrnehmen, darauf habe ich nicht den großen Einfluss, und ich selbst habe schon lange nichts mehr gepostet, um mich irgendwie darzustellen. Vereine, die einen Trainer suchen, oder Journalisten wie Sie, die mit mir sprechen wollen, sind informiert. Ich arbeite im Hier und Jetzt und versuche glücklich zu sein. Als jüngerer Trainer ist man da vielleicht auch anders, etwas besessener, ungeduldiger.

Was haben Sie seit 2017 an Polen kennen und schätzen gelernt?

Ein tolles Land mit freundlichen Menschen, schönen Städten, viel Kultur und vielfältiger Natur. Ein Land im Wachstum. Als Trainer kann man hier in Ruhe arbeiten, ich bin von Menschen umgeben, die mir guttun.

Wenn wir mal kurz weggehen vom Fußball - wie empfinden Sie es, angesichts der deutsch-polnischen Geschichte als Deutscher in Polen zu arbeiten?

In Deutschland wurde ich mal beschrieben als "in Wien geborener Deutscher mit jugoslawischen Wurzeln". So viel zum Thema "Deutscher". Ich bin in Deutschland aufgewachsen, es ist ein großer Teil meines Ichs. Aber ich fühle mich als Europäer, als Mensch, dem die Persönlichkeit anderer Menschen wichtig ist und nicht ihre Herkunft. Die Frage, auch mit Blick auf die traurige Vergangenheit, die Sie ansprechen: Wie präsentiert man sich als Mensch? Gewisse Werte wie respektvoller Umgang und Miteinander sind sehr wichtig, wenn man das vorlebt, bekommt man das auch zurück. Ich weiß, dass man gerade als ausländischer Trainer in seinem Job eine Verantwortung hat. Wenn Sie sich umhören würden, beim Verband, den Schiedsrichtern oder den Journalisten: Da spricht keiner schlecht über mich.

Poldi ist ein Botschafter, eine Persönlichkeit, ein toller Mann und immer noch mit dem besten linken Fuß der Liga ausgestattet.

KOSTA RUNJAIC ÜBER LUKAS PODOLSKI

Sie wurden in der Tat von Medienkollegen gelobt. Allerdings hieß es auch: "Kosta Runjaic …"

… lassen Sie mich raten: "Er spricht kein Polnisch, sondern nur auf Englisch mit uns."

Korrekt. Warum, nach sechs Jahren dort?

Ich kann Serbo-Kroatisch. Obwohl es mit dem Polnischen etwas verwandt ist, dachte ich, das Polnische wird mir leichter fallen. Aber ich habe es tatsächlich aus verschiedenen Gründen noch nicht gelernt, sodass ich über das Leichte hinaus kommunizieren könnte. Es ist bisher auch so gut gelaufen. Ich würde mich nicht wohlfühlen, wenn ich letztlich ein "Runjaic-Polnisch" reden würde, das dann, bei allem Respekt, dem "Trapattoni-Deutsch" ähnelt. Einfach, weil das dann auch schnell gegen einen verwendet werden kann, wenn es nicht gut läuft sportlich.

Seine Botschaften hat man dennoch verstanden.

Aber Trap war schon ein großer Spieler, ein großer Trainer, auch in einem gewissen Alter. Ihm hat man das abgenommen. Als Pep Guardiola nach Deutschland kam, konnte er vorher ein halbes Jahr die Sprache lernen. Auch das war bei mir nicht so. Hinzu kam, dass ich mir in Stettin die Patellasehne gerissen habe, das war eine langwierige, schmerzhafte Geschichte. Da habe ich jede freie Minute in meine Reha gesteckt, da blieb dann auch nicht viel Zeit für die Sprache. Mit der Mannschaft rede ich auch Englisch, aber ein bisschen schimpfen kann ich auf Polnisch … Aber in der Öffentlichkeit will ich, dass man mich gut versteht, daher rede ich kein Pseudo-Polnisch.

Welche Rolle spielt Lukas Podolski, der jetzt noch mal in Zabrze verlängert hat, für die polnische Liga?

Kosta Runjaic

Kosta Runjaic (li.) und sein Kapitän Josué nach dem Pokalsieg über Rakow. IMAGO/Newspix

Eine große. Durch ihn erfährt der polnische Fußball eine enorme Aufwertung, mehr Aufmerksamkeit. Poldi ist ein Botschafter, eine Persönlichkeit, ein toller Mann und immer noch mit dem besten linken Fuß der Liga ausgestattet.

Ihr Höhepunkt der Saison war sicher der Pokalsieg gegen Meister Rakow. Kann man anhand der Spiele gegen Rakow (0:4, 3:1, dann Sieg im Elfmeterschießen auch in Unterzahl im Pokal) die Entwicklung Ihrer Mannschaft am besten ablesen?

Auf jeden Fall. Legia ist nicht auf Rosen gebettet finanziell. Es hat Zeit gebraucht, bis wir uns gefunden haben. Aber dann hat sich das auf dem Platz gezeigt, wir sind Zweiter geworden nach einer Systemumstellung.

Sie haben die Kontinuität im Projekt des Meisters Tschenstochau bereits gelobt. Was imponiert Ihnen dort noch?

Dort gibt es rund um den Eigentümer einen kleinen Kreis der Entscheidungsträger, sie haben gute Strukturen. Das ist alles ehrlich gewachsen. Sie sind verdient Meister geworden. Es ist eine sympathische Geschichte eines Underdogs, aber sie haben natürlich auch die finanziellen Mittel.

Zurück zu Ihrer Mannschaft: Bekannte Namen gibt's dort nicht, am ehesten noch den Ex-Bremer Maik Nawrocki, und als Top-Torschütze fällt der portugiesische Kapitän Josué auf.

Man muss die Mannschaft insgesamt hervorheben, unser 2. Platz und der Pokalsieg, das waren Teamleistungen. Josué ist erfahren, ein toller Fußballer. Nawrocki kommt aus dem Werder-NLZ, hat als Innenverteidiger stabil gespielt und als Talent einen guten Weg vor sich, denke ich. Aber er muss sich noch steigern.

Wie sehen Sie die Situation mit den Fans? Einerseits ein guter Zuschauerschnitt von 20.000, andererseits hatten Legia-Fans einen schlechten Ruf in der Vergangenheit, Stichwort: Nazi-Verbundenheit.

Es mag im polnischen Fußball vielleicht vereinzelte Vorfälle geben, wobei ich denke, dass diese Probleme bei Legia vor allem vor meiner Zeit aufgetreten sind. Ich habe in diesem Jahr ehrlich nichts Negatives mitbekommen und kann persönlich nur von einer guten Unterstützung sprechen. Die Atmosphäre im Stadion ist wirklich spektakulär, positiv.

Bei Darmstadt freue ich mich über den Weg, der mit guten Entscheidungsträgern eingeschlagen wurde.

KOSTA RUNJAIC ÜBER SEINEN EX-VEREIN

Was sagen Sie aktuell so zu einigen Ihrer Ex-Klubs aus Deutschland?

Bei Darmstadt freue ich mich über den Weg, der mit guten Entscheidungsträgern eingeschlagen wurde und der nun schon zum zweiten Aufstieg binnen einiger Jahre geführt hat. Lautern kann diese Rolle vielleicht nächste Saison einnehmen, und bei den Drittligisten freue ich mich speziell für Duisburg, das es den Klassenerhalt in der 3. Liga geschafft hat. Im Pott wird ehrliche Arbeit abgeliefert.

Die wichtigste Frage zum Schluss: Ihr Vertrag läuft noch ein Jahr, doch der Pokalsieg und andere Erfolge haben Sie wieder mehr ins Blickfeld rücken lassen. Bleiben Sie, um sich vielleicht auch für die Europa Conference League zu qualifizieren? Oder könnten Sie sich auch einen Wechsel im Sommer vorstellen, zum Beispiel nach Deutschland?

Die Frage nach meiner unmittelbaren Zukunft wurde mir auch von Ihren Kollegen gestellt, die hier gerade eine Doku über uns fertiggestellt haben, die bald bei "Amazon" gesendet wird. Ich habe geantwortet, dass meine Zukunft im Hier und Jetzt liegt.

Das sagen Sie aber nicht, wenn ein Bundesligist anruft? André Breitenreiter zum Beispiel hat tolle Arbeit in Zürich geleistet, wurde Schweizer Meister und wechselte kurz darauf nach Hoffenheim.

Vielleicht klingelt bei der Agentur, die mich berät, nach diesem Interview das Telefon. Aber ehrlich: Ich weiß es nicht, was passiert. Ich bin da auch komplett entspannt, weil ich es nicht erzwingen oder beeinflussen oder etwas ausschließen kann. Wichtig ist, dass ich mich wohlfühle und dass Legia das Projekt mit mir weiter entwickeln will. Dann schauen wir, was passiert. Das ist meine ehrliche Meinung. Wer sich informieren möchte über mich und meine Arbeit, wird wissen, wo und wie er das tun kann.

Interview: Thomas Böker